Gebäudeintegrierte Photovoltaik auf dem Weg zum Massenprodukt

von Andreas Karweger, Economic Forum LTD, London – München – Bozen22.04.2010 Die vom Europäischen Rat am 17. November revidierte Gebäuderichtlinie wird anhaltendes Wachstum der Solarbranche bewirken. Dies haben mehrere Referenten in ihren Vorträgen beim ENERGY FORUM zur Solararchitektur hervorgehoben, das vom 2.-4. Dezember 2009 in Brixen, Südtirol, stattfand. Nach dem Jahr 2020 müssen in allen EU […]

von Andreas Karweger, 
Economic Forum LTD, London – München – Bozen
22.04.2010
Die vom Europäischen Rat am 17. November revidierte Gebäuderichtlinie wird anhaltendes Wachstum der Solarbranche bewirken. Dies haben mehrere Referenten in ihren Vorträgen beim ENERGY FORUM zur Solararchitektur hervorgehoben, das vom 2.-4. Dezember 2009 in Brixen, Südtirol, stattfand. Nach dem Jahr 2020 müssen in allen EU Mitgliedsstaaten neue Gebäude "nearly-zero energy buildings" sein. Die vom europäischen Parlament vorgeschlagene Formel "net-zero" hatten die Regierungen im November in Brüssel in "nearly-zero" abgeschwächt. Bis Mitte 2011 müssen EU Mitgliedsstaaten Förderprogramme erarbeiten, mit denen sie die Umsetzung der Richtlinie unterstützen, sei es mit Zuschüssen, Darlehen mit niedrigen Zinssätzen oder anderen Anreizprogrammen. Bereits ab 2018 müssen alle öffentlichen Neubauten "nearly-zero" sein.
Als Folge werden erneuerbare Energien an Bedeutung gewinnen. Größere Gebäude ("high-rise buildings"), die eine zu geringe Dachfläche haben, um auf ihnen ausreichend Solarenergie zu generieren, können die neuen Kriterien nur erfüllen, wenn sie Photovoltaik und Solarthermie in die Fassade integrieren.
In einer von der Economic Forum LTD in Auftrag gegebenen Studie prognostiziert Architekt Torsten Masseck von der Polytechnischen Universität Barcelona für die gebäudeintegrierte Photovoltaik (BIPV) ein starkes Wachstum als Folge der neuen EU Richtlinie: "BIPV ist von großer Bedeutung, um den zukünftigen Standard von Niedrigenergiegebäuden zu erfüllen." Masseck hatte die Ergebnisse der Studie "Costs and Benefits of BIPV" auf dem Energy Forum im Dezember vorgestellt. Der Solar-Report April 2010 fasst die wichtigsten Ergebnisse zusamm

Preisrückgang bei den Systemkosten

Der Preiseinbruch bei Photovoltaik-Modulen im Jahr 2009 reduziert die Gesamtkosten eines BIPV-Systems. Außerdem wird die zunehmende Standardisierung der Solar-Dächer und Solarmodule die Systemkosten weiter senken. So sind beispielweise Montagesysteme für die Dachinstallationen und die Verkabelung günstiger geworden, weil diese zunehmend standardisiert wurden. Würden die gesetzlich garantierte Einspeisevergütung, die PV-Anlagen über zwei Jahrzehnte erwirtschaften, in einer Gesamtkostenkalkulation berücksichtigt, finanzierte sich eine PV-Fassade von selbst. Dieser Rückfluss über die Einspeisevergütung wird noch nicht hinreichend in der Kalkulation berücksichtigt.
Während bei aufgeständerten PV-Anlagen die Modulkosten ca. 75% der Gesamtkosten betragen (Wert von Anfang 2009), belaufen sich die Modulkosten bei BIPV-Systemen lediglich auf 38%, wie Manfred Starlinger von der Colt International auf dem Energy Forum erklärte. Die Grafik zeigt die Kostenverteilung einer PV-Verschattungsanlage mit einachsigem Nachführsystem. Bei kleineren Projekten würden laut Starlinger die Modulkosten 52% der Gesamtkosten betragen.
Sowohl Masseck als auch Starlinger hatten in ihren Berechnungen noch nicht den Preisverfall des Jahres 2009 berücksichtigt. Die Großhandelspreise für kristalline Module aus Europa und Japan sanken im vergangenen Jahr um ca. 35 %, kristalline Module aus China waren sogar um 45 % günstiger als vor einem Jahr. CdS/CdTe Dünnschichtmodule verbilligten sich um rund 20 %, amorphe und mikrokristalline Dünnschichtmodule um fast 34 %.
Laut Martha Lutz-Steiner vom Helmholtz-Zentrum Berlin folgen die Modulkosten einer Lernkurve. "Bei einer Verdoppelung der kumulierten Produktionsmenge sinken die PV-Modulkosten um 22 %", erklärte Lutz-Steiner in ihrem Vortrag "Cost Aspects of BIPV" auf dem Energy Forum.Auf Systemebene sieht Lutz-Steiner Potenzial für eine Halbierung der Kosten bis zum Ende des Jahrzehnts: von ca. 3.000 €/kWp in 2010 auf unter 1.500 €/kWp in 2020.Die Werte von Lutz-Steiner für 2009 und 2010 werden von einer Umfrage der Meine Solar GmbH bestätigt, die 500 Besitzer von schlüsselfertigen Solarstromanlagen in Deutschland befragt hatte. Lag der Durchschnittspreis im Jahr 2008 in Deutschland noch bei 4.300 €/kWp, sank dieser im Vorjahr auf 3.450 €/kWp, eine Reduzierung um ca. 20% für schlüsselfertig installierte Photovoltaik innerhalb eines Jahres. Die Durchschnittspreise dürften 2010 auf ca. 3.000 €/kWp fallen.

Italienischer BIPV-Markt hat größtes Potenzial

Zum Teil sind die sinkenden Modul- und Systempreise auf den Preisverfall beim Silizium zurückzuführen. Der Preis für Polysilizium liegt nur noch bei 55 $/kg, ein Sechstel des Preises von Anfang 2008, eine weitere Halbierung könnte schon im kommenden Jahr erreicht werden: die chinesische Yingli Solar will 2011 für unter 25 $/kg produzieren. Zum Vergleich: 1955 kostete ein Kilogramm Silizium noch 800 $, der Preis für die 1W-Zelle lag bei fast 300 $. Die Herstellung von Silizium lässt sich bei der Waferdicke und der Ingotausbeute noch weiter optimieren. Da die Materialkosten bei kristallinen Modulen bislang ca. 80% der Gesamtkosten ausmachten, ist mit weiteren Senkungen der Modulpreise zu rechnen.
Neuste Entwicklungen zeigen, dass das Potenzial für weitere Kostensenkungen noch längst nicht ausgeschöpft ist. Die Sandia National Laboratories (USA) haben Mikrozellen entwickelt, die zu einem Bruchteil der Kosten herkömmlicher PV-Zellen hergestellt werden können. "Sie benötigen 100 mal weniger Silizium, um dieselbe Menge an Strom zu erzeugen", erklärte Murat Okandan von den Sandia National Laboratories im Dezember.
Aufgrund des starken Preisverfalls prognostiziert die Schweizer Bank Sarasin für 2010 für den globalen PV-Markt ein Wachstum von 40%. Die Schweizer Banker empfehlen den Unternehmen, nicht weiter die  Kapazitäten auszubauen, sondern vielmehr „die Kosten entsprechend dem rasanten Preisverfall anzupassen und die Verkaufsaktivitäten zu verstärken.“ Für BIPV sind insbesondere die Märkte Frankreich und Italien interessant, aufgrund der nach wie vor hohen Einspeisevergütung und einem Bonus für die Gebäudeintegration. In Europa dürfte sich der italienische Markt mittelfristig als der interessanteste erweisen, da hier aufgrund des hohen durchschnittlichen Strompreises (Italien: 0,21 €/kW; Deutschland: 0,18 €/kW; Frankreich: 0,12 €/kW; Griechenland: 0,07 €/kW) und der hohen Anzahl an Sonnenstunden die Netzparität (Grid-Parity) zuerst erzielt wird.Im Rahmen der Studie "Costs and Benefits of BIPV" hat Masseck mehrere Projekte analysiert. Die Fallstudien stellen Aufwand und Ertrag europäischer BIPV-Projekte gegenüber. An dieser Stelle soll exemplarisch die Solarfassade der Schott Iberica dargestellt werden. Bei dem Projekt handelt es sich um die Renovierung eines fünfstöckigen Treppenhauses in Barcelona, das von Architekt Masseck selbst betreut wurde. Masseck standen daher sämtliche Daten zur Verfügung, um Aufwand und Ertrag bewerten zu können.
Die Anlage besteht aus semi-transparenten Glasmodulen mit amorphen Siliziumzellen (ASI Thru mit 10% Transparenz) und hat eine 45º-Südwestorientierung mit einem Neigungswinkel von 90º. Der jährliche Ertrag wurde innerhalb einer dreijährigen Evaluierungsphase mit 1,2 MWh ermittelt. Die Zusatzkosten für BIPV beliefen sich auf 44.200 €, wobei die PV-Module 15.000 € (34 %) ausmachten. Die Kosten für Verkabelung und Wechselrichter beliefen sich auf 8.000 € (18 %), die Kapitalkosten wurden mit 9.000 € (20 %) angesetzt.Den Kosten von 44.000 € stehen Einsparungen im Wert von 66.800 € gegenüber. Dieser Wert setzt sich zusammen aus realen Einsparungen von 16.800 € bei der Fassade und den Energiekosten für Beleuchtung und Lüftung. Den indirekten Nutzen schätzt Masseck auf 25.000 €. Da bei dem Projekt die Module des Auftraggebers eingesetzt wurden, lag der ungewöhnliche Fall vor, dass der Bauherr auch gleichzeitig Lieferant der Module war und daher der Bauherr auch einen Nutzen aus den rund 50 Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und Präsentationen auf Konferenzen ableiten kann. Ähnlich verhält es sich mit den 25.000 €, die Masseck für Prototyp-Testing und Imagegewinn angesetzt hat.
Da es sich bei dieser Anlage um eine kleine Anlage handelt mit der atypischen Situation bei der Bauherr und Modullieferant identisch sind und dieser einen hohen immateriellen Nutzen aus der BIPV-Fassade zieht, hat Masseck in einer weiteren Gegenüberstellung Kosten und Nutzen einer fiktiven Anlage von 12 kWp ermittelt. Auf der Ertragsseite steht anstelle des PR-Nutzens und der Einsparung durch Prototypen-Testing diesmal die Wertsteigerung der Immobilie, die mit der BIPV-Anlage einhergeht (dass energieeffiziente Gebäude höhere Wertsteigerungen und weniger Leerstände aufweisen als Gebäude mit niedrigem Energiestandard, hatte vor zwei Jahren die CoStar-Studie in den USA nachgewiesen).

Komplexe Kostenkalkulation von BIPV-Anlagen

Wie schwierig derzeit noch die Planung und Kostenkalkulation von BIPV-Anlagen ist, zeigt ein Vergleich der Kostenrechnungen von Starlinger und Masseck. Anders als Starlinger kommt Masseck bei der größeren Anlage auf einen höheren Anteil bei den Modulen, die fast die Hälfte der Gesamtkosten ausmachen (49 % von 123.800 € bzw. 63 %, wenn Kosten für Wartung und Kapital wie bei Starlinger nicht berücksichtigt werden). Während in Starlingers Rechnung mit zunehmender Projektgröße der Anteil der Planungs- und Systemkosten an den Gesamtkosten steigt, nimmt deren Anteil in Massecks Rechnung im Vergleich zu den Modulkosten ab. Starlingers Ergebnis wird auch von Thomas Randall gestützt, der die Kosten einer 2 kWp-Anlage mit denen einer 40 kWp-Anlage verglich: während bei der kleineren Anlage die Kosten für PV-Module 62 % ausmachten, lagen diese bei der größeren Anlage bei ca. 50 % (Photovoltaics and Architecture, 2001).Masseck hatte eine weitere Rechnung für eine fiktive Anlage präsentiert, die im Jahre 2020 errichtet wird. Er kommt zu dem Schluss, dass die immateriellen Erträge im Laufe der nächsten Jahre stark abnehmen werden, weil die Fassadenintegration zur Selbstverständlichkeit wird und daher kein Imagegewinn durch BIPV mehr zu erwarten sei.

Bedingen Fassaden ohne PV künftig einen Imageverlust?

Der Autor stellt sich indes die Frage, ob eine BIPV-Fassade im Jahre 2020 nicht dennoch einen Imagegewinn erzielt, denn wenn BIPV zur Selbstverständlichkeit wird, wäre eine Fassade ohne PV mit einem Imageverlust verbunden, der zu Mindereinnahmen bei der Immobilie führen würde. Zukünftige Geschäftsmodelle werden die Kosten eines Gebäudes über seinen kompletten Lebenszyklus inklusive der kumulierten Betriebskosten und Erträge aus Photovoltaik berücksichtigen müssen.
Es existieren bereits Softwareprogramme, die die Kosten über den Lebenszyklus von Gebäuden kalkulieren, in den USA beispielsweise das BLCC-Programm (Building Life-Cycle Costs) und in Europa das LEGEP-Programm. LEGEP errechnet für den kompletten Lebenszyklus eines Gebäudes die Kosten für Bau, Instandhaltung, Betrieb inkl. Primärenergiebedarf, bis hin zum Abriss des Gebäudes. Derartige Softwareprogramme unterstützen den Architekten bei der ganzheitlichen Betrachtung, d.h. integralen Planung eines Gebäudes.

Standardisierung und Massenproduktion von Solarhäusern

In welche Richtung sich der Markt für Solarhäuser mit BIPV langfristig entwickeln könnte, hat Goeffrey Thün auf dem Energy Forum vorgestellt. Thün ist Architekturprofessor an der University of Michigan und Leiter des Ontario Teams, das im Oktober 2009 das North House beim Solar Decathlon in Washington präsentiert hatte. Thün hat sich intensiv mit einer zukünftigen Massenproduktion und Vermarktung des Hauses beschäftigt. Er hat die Erfahrungen der japanischen Industrie bei der Produktion von vorgefertigten Solarhäusern analysiert. Einer der größten japanischen Fertighausanbieter ist die Firma Sekisui Chemical, die einen Großteil ihrer Häuser serienmäßig mit PV-Systemen und Wärmepumpe ausstattet. Zusätzlich bietet sie eine Finanzierung der Sumitomo Bank an: je stärker die Leistung der PV-Anlage, desto niedriger der Zinssatz des Darlehens.

BIPV-Häuser in Japan

Der Erfolg gibt den japanischen Anbietern von industriell vorgefertigten BIPV-Häusern Recht: sie können ihre Häuser mit einem Aufpreis von 8% gegenüber traditionell gebauten Häusern verkaufen. Während hierzulande BIPV das Image anhaftet, dass sie zu teuer ist und sie daher nur einen Nischenmarkt besetzt, haben japanische Fertighausanbieter erfolgreich die höhere Qualität ihrer Häuser und deren geringere Betriebskosten kommuniziert, so dass industriell vorgefertigte Häuser mit BIPV in Japan ein entsprechendes Image genießen und sich gut verkaufen lassen. Japanische Konsumenten sind bereit, einen Aufpreis für ein industriell vorgefertigtes Haus zu zahlen, denn bei einem japanischen Fertighaus sind die Betriebskosten niedriger als bei einem traditionell gebauten Haus, erklärt Masa Noguchi vom Department of Architecture der Glascow School of Art. Beispielsweise argumentiert die Firma Misawa Homes, dass der höhere Dämmstandard ihrer Fertighäuser zu Einsparungen von 32% bei den Heiz- und Kühlkosten führt.
Japanische Fertighausproduzenten nutzen ihren Kostenvorteil, den sie aufgrund der Massenproduktion erzielen, nicht um den Preis ihres Produktes zu senken, sondern statten ihre Häuser serienmäßig mit PV-System, Wärmepumpe, Belüftungsanlage und wärmebrückenfreier Dämmung aus.
Misawa Homes produziert industriell vorgefertigte Häuser nach individuellen Kunden wünschen in vollautomatischen Produktionslinien mit fortgeschrittener Robotertechnologie, erläuterte Thün in Brixen. Im Sommer reisen Thün und sein Team nach Japan, um mit der japanischen Industrie die Produktion und Vermarktung des North House inklusive BIPV zu erörtern.
Würden die japanischen Fertighausproduzenten BIPV nicht serienmäßig ausstatten sondern nur als Option anbieten, wäre der Absatz von PV-Anlagen längst nicht so groß. Eine Untersuchung des Lawrence Berkeley National Laboratory hat gezeigt, dass Kunden beim Hauskauf derartig viele Entscheidungen treffen müssen, dass sie sich im Zweifelsfalle gegen eine PV-Anlage entscheiden.
Massenproduktion von Häusern mit integrierter PV-Anlage senkt Kosten
Bei der Massenproduktion von Häusern mit integrierter PV-Anlage fällt für den Kunden der Aufwand für Planung und Projektentwicklung weg. Fertighausproduzenten können „in eine ausgeklügelte Planung investieren, die sich über die Stückzahlen schnell amortisiert. Dadurch können die Mehrkosten stark reduziert oder sogar zu Kostenvorteilen gedreht werden“, heißt es in der Studie „Gebäudeintegrierte Photovoltaik“ des Österreichischen Klima- und Energiefonds vom Oktober 2009. Skaleneffekte aufgrund hoher Stückzahlen lassen sich bei PV-Anlagen von Fertighäusern in allen Bereichen erzielen: bei den Modulen, Wechselrichtern, der Montage inklusive Verkabelung und beim Planungsaufwand. Insgesamt würde laut Studie bei einer BIPV-Anlage von 4 kW in einem Fertighaus ein Preisvorteil von 16% gegenüber einer Anlage auf einem traditionell gebauten Haus bestehen.
Autor: Andreas Karweger ist Geschäftsführer des Economic Forum LTD, London – München – Bozen, und Veranstalter des internationalen Energy Forum in Brixen, Italien.
Das 5. Energy Forum findet vom 2. – 3. Dezember 2010 statt und steht unter dem Motto 
Solar Building Skins
 mit den Themen intelligente Gebäudehülle, Tageslichtnutzung und gebäudeintegrierte Photovoltaik und Solarthermie.
Die Konferenzdokumentation vom 4. Energy Forum liegt in Englisch und Italienisch vor und kann bestellt werden unter www.energy-forum.com

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