Erneuerbare Energien in Osteuropa auf Vormarsch
Die „grüne Welle“ hat endgültig den Osten des Kontinents erreicht. Mit ehrgeizigen Plänen zur Stromerzeugung aus alternativen Quellen, beispielsweise über die energetische Nutzung von Biomasse, melden sich mittlerweile alle neuen und angehenden EU-Staaten Mittel- und Osteuropas zu Wort. Das berichtet die Energiefachmesse enertec, welche dieses Jahr einen Schwerpunkt auf Bioenergie in Osteuropa setzt, in eine Pressemitteilung. So wolle Polen als größtes Neumitglied bis 2010 laut einem nationalen Plan 7,5 Prozent seines Stromverbrauches aus regenerativen Quellen decken; 2020 sollen es sogar 14 Prozent sein. Zum Teil noch weit darüber liegen laut enertec ähnliche Vorhaben bis 2010 in Lettland, der Slowakei und Slowenien. Deutliche Sprünge bei der Nutzung von Biomasse, Wind-, Sonnen- und Wasserkraft sowie Erdwärme bis zum Ende des Jahrzehnts planen auch Tschechien, Litauen, Estland und Ungarn.
Sämtliche dieser Länder hätten bereits entsprechende Fördermaßnahmen beschlossen, informiert der Dresdner Bioenergie-Experte Dr. Markus Reichel,der mit seiner Firma INERCONSULT die umweltpolitische Entwicklung in Mittel- und Osteuropa verfolgt und dieses Insiderwissen auch zur Leipziger Energiemesse enertec vom 8. bis 11. März 2005 präsentieren wird. Als Beispiele nennt Reichel garantierte Abnahmepreise sowie „Grüne Fonds“ zur Finanzierung solcher Projekte. In Tschechien und Litauen existierten zudem Programme zur Förderung des Einsatzes von Biotreibstoffen, in Slowenien regele dies bereits ein Gesetz, so der Fachmann.
Sieben fette Jahre für die Bioenergie
Damit eröffnet sich in diesen Ländern nach Ansicht von Marktbeobachtern ein gewaltiger Markt für Know-how und Technik aus dem Westen. Dr. Stephan Schwarzer, Abteilungsleiter für Umwelt- und Infrastrukturpolitik bei der Wirtschaftskammer Österreich, spricht diesbezüglich von „sieben fetten Jahren“, die namentlich in Slowenien, Ungarn, der Slowakei, Tschechien sowie Polen bereits begonnen hätten. Nach seiner Einschätzung entfällt dabei ein hoher Investitionsbedarf auf Anlagen zur Ausbeutung regenerativer Energiequellen. In der Slowakei, Slowenien, Polen und Rumänien betreffe dies vor allem die Biomassenutzung, in Bulgarien, Slowenien und Kroatien auch Kleinwasserkraftwerke und in Tschechien zunehmend die Windkraft. Mit umgerechnet 9,38 Cent je Kilowattstunde zahle Prag hier bereits höhere Einspeisetarife als etwa Österreich.
Biomasse-Energie: 800-fache Steigerung von 2001 bis 2010 in Polen
Polen richte dagegen ein besonders Augenmerk auf die Strom- und Wärmegewinnung aus Biomasse und Biogas. „Insbesondere die Beschickung der Fernheizungssysteme und Heizkraftwerke mit Holz, Holzabfällen und Biogas wird deutlich zunehmen“, ist der Warschauer Energieexperte Dr.-Ing. Stanislaw Derlatka überzeugt. Ganze Städte und Regionen würden künftig Energie und Wärme aus Kesseln beziehen, in denen Biomasse veredelt wird, darunter auch Sägemehl und Holzspäne. Denn laut offiziellen Statistiken produziert Polens Holzindustrie jährlich 9,4 Millionen Kubikmeter Holzabfälle, die polnische Landwirtschaft zudem 25 Millionen Tonnen Stroh und 12 Millionen Tonnen Heu. Im staatlichen Forstsektor werden darüber hinaus mangels Nachfrage rund zwei bis 2,5 Millionen Kubikmeter Holz jährlich nicht gefällt.
Polens nationaler Biomassefachverband rechnet deshalb mit einem momentanen energetischen Potenzial bei Holz von 31 Terawattstunden (TWh),bei agrarischen Nutzpflanzen von 31 TWh und bei Deponiegas von 38 TWh. Bis 2010 soll sich in Polen auf diesem Wege die Energiegewinnung aus Biomasse gegenüber 2001 um das 800-fache erhöht haben. Ein Garant dafür bestehe darin, dass in Polen für wenig Geld Holzabfälle auf dem Markt zu erhalten seien, so der Verband. Zunächst erfordere dies aber einen immensen Technologietransfer in sein Land, betont Derlatka. Nach seiner Überzeugung werde dabei ein beträchtlicher Teil aus Deutschland kommen, wobei polnische Firmen vor allem an Partnerschaften mit ausländischen Anbietern interessiert seien, beispielsweise in Form von Joint-Ventures.
Slowakei: Förderung von Energiepflanzen
Auch in der Slowakei gewinnt die energetische Nutzung von Biomasse deutlich an Gewicht. Die Regierung kündigte an, vor allem für den Anbau „energetischer Agrokulturen“ die ökonomischen Rahmenbedingungen spürbar zu verbessern. Für ausländische Lieferanten von speziellen Kesselanlagen und anderen Ausrüstungen dürften sich somit in absehbarer Zeit interessante Absatzchancen ergeben, heißt es dazu bei der Bundesagentur für Außenwirtschaft (bfai) in Köln.
Solaranlagen für Ungarn
Einen Zukunftsmarkt dürfen nach Sicht des Umweltbundesamtes exportorientierte deutsche Hersteller von Solaranlagen in Ungarn erwarten. Im Rahmen des Energiesparprogramms des Landes – des so genannten Szechenyi-Plans – will das Wirtschaftsministerium Investitionen zur Nutzung der Sonnenenergie finanziell fördern. Bereits 2001 wurde das Vorhaben mit 1,8 Millionen Euro unterstützt. Nach Expertenschätzungen sind in dem Land derzeit gut 50.000 Quadratmeter Solarmodule installiert.
Windräder an der Schwarzmeerküste
In Bulgarien sind einige Windkraftprojekte in Vorbereitung. Wegen der momentanen Einspeisebedingungen entstehen sie vor allem an der bulgarischen Schwarzmeerküste sowie einigen sehr exponierten Gebirgsstandorten, wo sie sich rentabel betreiben lassen. Das nationale Energiegesetz schreibt den Netzbetreibern zudem vor, den gesamten Solarstrom abzunehmen, allerdings wurden noch keine Mindestpreise festgelegt. Eine Verbesserung dieser Situation
werde jedoch für die Zukunft erwartet, heißt es hierzu beim Bundesumweltamt.
Experten berichten auf der enertec über Marktperspektiven in Osteuropa
Die Leipziger Energiefachmesse enertec vom 8. bis 11. März 2005 in Leipzig legt im Rahmen ihres Schwerpunktthemas „Erneuerbare Energien“ ein besonderes Gewicht auf den Bioenergie-Markt in Osteuropa. „Die Nachfrage in diesem Segment steigt immens. Auf der enertec erfahren die Unternehmen im Detail, wo und wie sie von dieser Entwicklung profitieren können“, sagt Dr. Deliane Träber, Bereichsleiterin der Leipziger Messe. In Zusammenarbeit mit dem Leipziger Institut für Energetik und Umwelt sowie INERCONSULT Dresden veranstaltet die Leipziger Messe beispielsweise einen Workshop zum Thema „Bioenergie in den osteuropäischen EU-Beitrittsländern“. Experten aus Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowenien, Tschechien und Ungarn sprechen hier über den Entwicklungsstand, Marktperspektiven sowie technologische, rechtliche und finanzielle Aspekte von ausländischen Investitionen in ihren Ländern. Der Bundesverband BioEnergie stellt auf seiner Veranstaltung konkrete Projekte im osteuropäischen Ausland vor, an denen sich deutsche Unternehmen beteiligen können.
16.08.2004 Quelle: Leipziger Messe GmbH