Europas Energieexperten: Vorrang für Technik, die den Verbrauch senkt

Auskunft über langfristige Entwicklungen im europäischen Energiesektor bis zum Jahr 2030 gibt eine neue Studie. Die Ergebnisse zeigen, dass es aus Sicht der Fachleute bis 2030 keinen „Business-as-usual“-Entwicklungspfad für das Europäische Energiesystem gibt: Weitere strukturelle Veränderungen seien für die kommenden Jahrzehnte zu erwarten. „Das markanteste Ergebnis der Studie ist, dass die befragten Experten durchgängig denjenigen […]

Auskunft über langfristige Entwicklungen im europäischen Energiesektor bis zum Jahr 2030 gibt eine neue Studie. Die Ergebnisse zeigen, dass es aus Sicht der Fachleute bis 2030 keinen „Business-as-usual“-Entwicklungspfad für das Europäische Energiesystem gibt: Weitere strukturelle Veränderungen seien für die kommenden Jahrzehnte zu erwarten. „Das markanteste Ergebnis der Studie ist, dass die befragten Experten durchgängig denjenigen Technologien die höchste Priorität einräumten, die den Energieverbrauch bei gleichbleibendem Nutzen reduzieren – im Fachjargon ‚Steigerung der Energieeffizienz’“, so Projektleiter Timon Wehnert vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung Berlin (IZT).   Thematisiert wurden unter anderem auch erneuerbare Energien, Fusionsenergie, Kernspaltung und alternative Treibstoffe. Bei der hohen Bewertung der Energieeffizienz sei besonders interessant, dass nicht nur ökologische Gesichtspunkte (wie zum Beispiel die Klimaveränderungen) die Experten zu dieser eindeutigen Aussage bewegten.

Ergebnisse einer europaweiten Delphi-Befragung vorgestellt

Ein internationales Forschungskonsortium unter Leitung des IZT – Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung Berlin führte sie durch. Kernstück des von der EU geförderten Forschungsprojektes war eine Delphi-Befragung in allen EU-Staaten und den osteuropäischen Beitrittsländern. 670 Internationale Experten beteiligten sich an der Umfrage „European Energy Delphi“ (EurEnDel). Die Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena) und das IZT präsentierten die Ergebnisse am 22.11.2004 in Berlin.

Ökologische und soziale Aspekte gewürdigt

Auch wirtschaftliche und soziale Aspekte wie Kosteneinsparungen und langfristige Versorgungssicherheit spielten eine bedeutende Rolle. Das Besondere am Ansatz der vorliegenden Delphi-Studie ist laut IZT, dass sie unterschiedliche gesellschaftliche Bedürfnisse mit einbezogen hat. Den Befragten wurden drei Visionen skizziert. Die erste Vision fragte nach der optimalen Energieversorgung einer überwiegend nach wirtschaftlichen Kriterien ausgerichteten Gesellschaft, die zweite Vision war mit dem Energiepfad einer Gesellschaft verknüpft, die der Ökologie höchste Priorität einräumt und die dritte Vision war mit der Frage verbunden, welche Energieversorgung einer am sozialen Ausgleich ausgerichteten Gesellschaft am besten entspricht. Bei allen drei Visionen erhielt die Verbesserung der verbrauchsorientierten Strategien, mit dem Ziel den Energiebedarf zu senken, immer die höchste Priorität. Gleichzeitig zeigten die Analysen, dass gerade in diesem Bereich das Risiko einer Unterfinanzierung am höchsten ist.

Umdenken erforderlich

„Hier sind die Wirtschaft, die Politik und die Bürger gefordert, um notwendige Effizienztechnologien in allen Verbrauchssektoren – Industrie, Haushalte, Verkehr und Dienstleistungsbereich – weiter zu entwickeln, zu fördern und einzusetzen“, betont Prof. Dr. Rolf Kreibich, Direktor des IZT. Stephan Kohler, Geschäftsführer der dena, bekräftigte während der Präsentation die Prioritätensetzung der Delphi-Experten: „Energieeffizienz ist das Schlüsselthema der Zukunft –es geht darum, aus jeder eingesetzten Kilowattstunde den größtmöglichen Nutzen zu ziehen und damit unnötigen Energieeinsatz zu vermeiden. Hier ist ein großes gesellschaftliches Umdenken erforderlich.“

Erneuerbare dringen notwendig

Auch zeige die Studie, dass sich die Ziele der EU und Deutschlands in Hinblick auf Reduzierung der CO2-Emissionen nur erreichen lassen, wenn der Energieverbrauch reduziert wird, betonen IZT und dena. Eine verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien sei von den Experten als sehr positiv und dringend notwendig bewertet worden. Dies allein werde jedoch als nicht ausreichend eingestuft. Denn wie hoch der Beitrag aus erneuerbaren Quellen am Gesamtverbrauch sein kann, hänge stark davon ab, ob der Verbrauch durch effiziente Anlagen und Systeme eingeschränkt werden kann. Einen Anteil von 25 Prozent Erneuerbaren an Europas Energieverbrauch hält die Mehrheit der befragten Experten noch vor 2030 für möglich, wenn die Rahmenbedingungen in Richtung Energieeffizienz und Förderung der regenerativen Energien entsprechend gesetzt werden.

Ein großes, kurzfristig erschließbares, regeneratives Energiepotenzial zur CO2-Reduzierung stellt die Biomasse dar, so die Studie. Jedoch konkurrierten hier wegen der begrenzten Kapazitäten langfristig unterschiedliche Anwendungsoptionen: Biomasse zur Strom- und Wärmegewinnung einerseits und Biotreibstoffe sowie Nutzung der Biomasse als nachwachsende Rohstoffe andererseits.

Atomenergie umstritten

Bei der Bewertung der technischen Machbarkeit der verschiedenen Technologien gab es kaum nennenswerte nationale Unterschiede. Eine wichtige Ausnahme stellt die Atomkraft dar. Sowohl bei Fragen zur Zukunft der Kernfusion als auch zum Thema neuer Reaktortypen zur Kernspaltung waren die Experten aus unterschiedlichen Ländern geteilter Meinung. Während 40 Prozent der befragten deutschen Energieexperten nicht an die Verwirklichung eines Fusionsreaktors glauben, haben ihre spanischen Kollegen kaum Zweifel, dass diese Technologie innerhalb der nächsten 30 bis 50 Jahre zur Verfügung stehen wird.

Kleine dezentrale Kraftwerke; neue Speichertechnologien

Sichere Vorhersagen wie Europas Energiesystem der Zukunft aussehen wird, lassen sich aufgrund der Delphi-Befragung nicht machen, betonen IZT und dena. Der Derzeitige Wandlungsprozess werde als zu groß eingeschätzt. Zu groß seien auch die Unsicherheiten, die diesen Prozess auf globaler Ebene beeinflussen. Große Einigkeit unter den Experten herrschte jedoch bei der Aussage, dass Europas Energiesystem in Zukunft wesentlich dezentraler organisiert sein werde. Zur Stromerzeugung werde ein Anteil kleiner Anlagen (< 10 MW) von 30 Prozent bis zum Jahre 2020 erwartet. Timon Wehnert, Projektleiter am IZT, prognostiziert: „Die Bedeutung erneuerbarer Energiequellen wird deutlich zunehmen. Und zur Integration von Erneuerbaren wird wiederum der Bedarf für Energiespeichertechnologien: Um den Bedarf zu decken, sollten nach Ansicht der befragten Experten unterschiedliche Technologien weiterentwickelt werden. (Batterien, Hochleistungskondensatoren, Schwungräder, etc.).

Wasserstoff-Wirtschaft erst nach 2030

Die großflächige Nutzung von Wasserstoff ist nach Meinung der Fachleute aus zahlreichen Gründen noch keine Option der näheren Zukunft. Hier erwartet die Mehrzahl der Delphi-Experten einen breiten Einsatz erst nach 2030. Für die Bewertung der Wasserstofftechnologie sei entscheidend, wie der Wasserstoff hergestellt wird. Eine Produktion, die ausschließlich erneuerbare Energiequellen nutzt, wird von den befragten Experten nicht nur unter ökologischen Gesichtspunkten deutlich positiver bewertet, als etwa eine Produktion, die auch auf nukleare oder fossile Quellen zurückgreift.

Weitere Informationen zur Studie finden Sie unter
http://www.eurendel.net
Die Studie wird unter dieser Adresse Anfang Dezember zum kostenlosen
Herunterladen zur Verfügung gestellt werden. Vorläufige Ergebnisse sind dort bereits veröffentlicht.

24.11.2004   Quelle: IZT, dena   Solarserver.de   © EEM Energy & Environment Media GmbH

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