Hermann Scheer: Speichertechnologien für Solar- und Windstrom werden die Energiemärkte revolutionieren
„Unaufhörlich wird von einschlägiger Seite die Behauptung wiederholt, dass Solar- und Windstrom nicht grundlastfähig seien und sich nicht speichern ließen, weshalb diese Lücken von atomaren und/oder fossilen Großkraftwerken gefüllt werden müssten“, kritisierte Dr. Hermann Scheer, Präsident von EUROSOLAR und Vorsitzender des Weltrats für erneuerbare Energien bei einer Medienpräsentation von EUROSOLAR am 24.10.2007 im Frankfurter Presseclub. Bei den Zweifeln an den Stromspeichertechnologien handle es sich um „Techniklügen“, mit denen das Festhalten an konventionellen Kraftwerken begründet werden solle. Diese falschen Behauptungen würden in Hessen vor allem von der CDU verbreitet, stellt Scheer fest. Tatsächlich gebe es eine breite Palette technischer Lösungsansätze für eine ausschließlich auf erneuerbare Energien gründende Stromversorgung, bei der sich die Quellen erneuerbarer Energien wechselseitig ergänzen und mit denen ein breiter Ausbau von Solar- und Windkrafterzeugung realisiert werden könne.
Das Spektrum der Möglichkeiten wird vom 19.-21. November auf der Internationalen Konferenz zur Speicherung erneuerbarer Energien in Bonn in über 40 wissenschaftlich-technischen Vorträgen vorgestellt. Diese Konferenz wird von EUROSOLAR und dem Weltrat für Erneuerbare Energien organisiert.
Kein modernes Energiesystem könne ohne Speicher- und Ersatzkapazität bestehen, betont Scheer. Das gelte nicht nur für erneuerbare Energien, sondern auch für fossile und atomare. Die Frage, was zu tun sei, wenn kein Wind weht, sei berechtigt, werde aber meist einseitig gestellt und den erneuerbaren Energien zur Last gelegt. Die Antwort sei klar: Dann werde eine andere Quelle zugeschaltet – und diese könne wiederum eine erneuerbare sein. Gegenwärtig seien in Deutschland vier Atomkraftwerke außer Betrieb – und für alle gebe es Reservekapazitäten, betont Scheer.
Im Daten- und Stromnetzwerk verbundenes System dezentraler Erzeugungsanlagen verringert Bedarf an Reservekapazitäten
„Das Potenzial an Reservekapazitäten kann in dem Maße verringert werden, in dem es im Strommarkt ein größeres Feedback zwischen Nachfrage und Angebot gibt, etwa durch ein System flexibler zeitvariabler Tarife nach technischen Lastkurven und laufender Preisinformationen bei den Verbrauchern. Es lässt sich aber auch verringern durch ein im Daten- und Stromnetzwerk verbundenes modulares System dezentraler Erzeugungsanlagen gerade mit erneuerbaren Energien. Dadurch sind ‚overhead‘-Kosten von Großkonzernen ebenso wie Leitungsverluste besser vermeidbar“, heißt es in der Pressemitteilung von Hermann Scheer und des SPD-Zukunftsteams für Wirtschaft und Umwelt in Hessen.
Bei Solar- und Windstrom entfallen Primärenergietransporte
Der grundlegende Unterschied zwischen den im konventionellen Energiesystem überwiegend genutzten Speicherformen und der Speicherung von Solar- und Windkraft sei, dass im herkömmlichen System in der Regel die Speicherung vor der Umwandlung in Strom erfolge (Kohlehalden, atomares Brennstoffzellenlager, Öl- und Gasbehälter). Dies sei bei Sonne und Wind nicht möglich, die Speicherung müsse nach der Umwandlung in Strom stattfinden.
Dabei könne jedoch auf durchaus bewährte Techniken zurückgegriffen werden, neben neu hinzukommenden. Der wesentliche Unterschied sei, dass bei großen Anteilen von Solar- und Windstrom mehr Stromspeichermöglichkeiten benötigt würden, dafür aber der Speicherbedarf für Primärenergie sowie die Primärenergietransporte wegfallen.
„Es ist logisch, dass der zu mobilisierende technische Speicherbedarf für Solar- und Windstrom nicht vor der diesbezüglichen Stromerzeugung eingeführt wird, sondern erst danach – und zwar sobald der Bedarf dafür auftritt. Alles andere wäre wirtschaftlicher Unsinn“, fasst Scheer zusammen und skizziert das Spektrum der Speichermöglichkeiten, das als Stand der Technik bezeichnet werden könne:
Kombination erneuerbarer Energien in Hybridsystemen
Hybridsysteme sind technisch realisierte Kombination zweiter Stromerzeugungen, die sich wechselseitig so ergänzen, dass eine kontinuierliche Stromversorgung möglich ist. Ansätze dazu könnten zum Beispiel die Kombination von Wasserkraft aus Skandinavien und den alten Bundesländern mit Windkraft in einem großräumigen Netzverbund sein. Sobald nicht genug Windstrom im Netz ist, werde dann die Bedarfslücke durch das Zuschalten zusätzlicher Wasserkraftturbinen unmittelbar gedeckt. Ein Beispiel im kleinräumigen Maßstab sei die Kombination von Windkraft mit Biogas: Sobald nicht genug Wind weht, wird ein Gasmotor zur Stromerzeugung angetrieben oder auf höhere Leistung gebracht.
Alle weiteren Speicherformen gehen über Hybridanlagen hinaus und kombinieren Solarkraft, Windkraft, Wasserkraft, Biomasse und geothermische Energie mit zusätzlichen Speicherformen, die in der Elektrizitätswirtschaft genutzt werden: etwa Wasser in Pumpspeichern, elektrolytisch erzeugter Wasserstoff oder Druckluft.
Neue Entwicklungen bei Pumpspeicherwerken
Die Technik der Pumpspeicherwerke ist bekannt, betont Scheer. Auch dort gebe es neue Entwicklungen, die in der Schweiz vor der Anwendung stünden – und zwar in Form von Bergspeichern, Talspeichern oder der Speicherung von Wasser in Kavernen und Salzstöcken. „Es ist also nicht nötig mit neuen Pumpspeicherkapazitäten unbedingt in Höhenlagen zu gehen. Es gibt ein großes Potential an natürlichen Erdkavernen in Deutschland. Dieses Potential wurde 1973 systematisch erfasst, als in Zeiten der Ölkrise Vorkehrungen für vermehrte Erdölspeicher getroffen werden sollten. Diese Kavernen müssen tendenziell weitgehend genutzt werden, und zwar für die Speicherung großer Biogasmengen, Wasserstoff- und Druckluftmengen. Kapazitäten für intelligente Speichervolumen ergeben sich auch aus der Nutzung der Leerräume von Türmen von Windkraftanlagen“, so Scheer.
Forschung der IT- und Automobilindustrie verbessert Stromspeicherung in Batterien
Hinzu kommen laut Scheer neue technische Sprünge bei der Stromspeicherung in Batterien, besonders aus der Informationstechnologie, der Hybrid-Automobiltechnologie und den darüber hinausgehenden Ansätzen der Automobilindustrie hin zum reinen Elektromobil. Ein Stromwechsel hin zu erneuerbaren Energien bis hin zum vollständigen Ersatz atomarer und fossiler Energien sei technisch machbar, so Scheers Fazit. Dabei würden Wind- und Solarstrom die wichtigste Rolle spielen – und die Bioenergie werde als Reserve die prominenteste Rolle bei allen regionalen Konzepten eines Mixes aus erneuerbaren Energien spielen.
60 % des Windstroms in Deutschland deckt Grundlasten
Außerdem müsse in Rechnung gestellt werden, dass der Beitrag von Solar- und Windstrom zur Grundlast mit der Erhöhung des Wirkungsgrades und der damit verbundenen Jahresleistung permanent steige. Schon jetzt stünden 60 % der Windstromerzeugung in Deutschland für die Grundlast zur Verfügung. Mit der Leistungssteigerung durch Repowering und der Möglichkeit, mehr als 3.000 Jahresvolllaststunden zu erreichen werde dieser Anteil weiter steigen.
26.10.2007 | Quelle: Hermann Scheer; SPD-Landtagsfraktion Hessen | solarserver.de © EEM Energy & Environment Media GmbH