Marburg: Regierungspräsidium hebt Beschluss über die Solar-Satzung auf

Das Gießener Regierungspräsidium beanstandet die Marburger Solarsatzung, die Bauherrn bei Neu- oder Umbauten zum Einbau solartechnischer Anlagen verpflichtet, wegen rechtlicher Mängel. Am 07.10.2008 sei die kommunalaufsichtliche Verfügung dem Marburger Oberbürgermeister Egon Vaupel übermittelt worden, berichtet das Regierungspräsidium in einer Pressemitteilung. „Damit wird das Inkrafttreten der in mehreren Punkten rechtswidrigen Satzung verhindert“, erläutert Regierungspräsident Wilfried Schmied. […]

Das Gießener Regierungspräsidium beanstandet die Marburger Solarsatzung, die Bauherrn bei Neu- oder Umbauten zum Einbau solartechnischer Anlagen verpflichtet, wegen rechtlicher Mängel. Am 07.10.2008 sei die kommunalaufsichtliche Verfügung dem Marburger Oberbürgermeister Egon Vaupel übermittelt worden, berichtet das Regierungspräsidium in einer Pressemitteilung. „Damit wird das Inkrafttreten der in mehreren Punkten rechtswidrigen Satzung verhindert“, erläutert Regierungspräsident Wilfried Schmied. Mit der Beanstandung gelte der Satzungsbeschluss von Juni 2008 als aufgehoben. „Es geht nicht um ein Pro oder Contra in der Frage der Nutzung der Solarthermie“, so der Regierungspräsident weiter.
„Auch als Regierungspräsidium setzen wir auf Energieeinsparung, auf die Steigerung der Energieeffizienz und auf den Ausbau regenerativer Energien, etwa im Regionalplan Mittelhessen.“ Wie Schmied weiter ausführt, hatte die Kommunalaufsicht bereits Ende April der Stadt Marburg ihre juristischen Bedenken mitgeteilt und um Überarbeitung gebeten. Trotzdem sei die Satzung, über die es bereits sehr kontroverse Diskussionen in Marburg gegeben hatte, weitgehend unverändert am 20. Juni beschlossen worden.

Entscheidung des Landtags über Gesetzesinitiative offen
Daraufhin habe das Regierungspräsidium der Stadt angesichts der beabsichtigten Beanstandung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Zwischenzeitlich habe auch das Ministerium für Wissenschaft und Kunst das Regierungspräsidium um „Einschreiten“ wegen erheblicher denkmalschutzrechtlicher Bedenken gebeten. Der Magistrat sei in seiner Reaktion vom 28.8. jedoch bei seiner Position geblieben, habe aber vorgeschlagen, das Inkrafttreten der Satzung angesichts einer Gesetzesinitiative im Hessischen Landtag, die Kommunen entsprechende Regelungen ermöglichen soll, zu verschieben und auf eine Beanstandung zu verzichten. Ein bloßes Verschieben einer rechtswidrigen Satzung reiche nicht aus, heißt es dazu aus Gießen. Es sei offen, ob und was und zu welchem Zeitpunkt der Landtag letztlich entscheiden werde; voraussichtlich müsse die Satzung dann ohnehin angepasst werden. Ein (vorläufiges) Aufheben der Satzung habe das Stadtparlament am 26.9. jedoch abgelehnt.

RP: Lokale Satzungen dürfen nicht mit überörtlichen Aspekten begründet werden
Wie das RP erläutert, können Gemeinden laut Hessischer Bauordnung (§ 81 Abs. 2 HBO) Regelungen zur Verwendung bestimmter Brennstoffe oder Heizungsarten treffen, wenn dies nach den örtlichen Verhältnissen geboten ist. Diese spezifischen örtlichen Verhältnisse – etwa eine besondere Belastungssituation in der Kernstadt mit ihrer Tallage – habe die Stadt Marburg nicht dargelegt. Das gesamte Gemeindegebiet sei pauschal der Pflicht zur Solarthermie unterworfen worden, womit eine zentrale Voraussetzung der HBO missachtet werde, heißt es in der Pressemitteilung des Regierungspräsidiums. Gleiches gelte für jene der HBO fremden Satzungsbegründungen, die auf „lokale Wertschöpfung oder Beschäftigung kleiner und mittlerer Betriebe“ abstellten; ebenso wenig könnten auf Basis der HBO lokale Satzungen mit überörtlichen Aspekten (globaler Klimaschutz) begründet werden. Mit der HBO kollidiere auch die Satzungsbestimmung, ersatzweise eine Photovoltaikanlage zu installieren, da es sich hier nicht um eine „Heizungsart“, sondern um eine Anlage zur Stromerzeugung handele. „Auch eine alternativ durch die Satzung mögliche Verbesserung der Energiekennzahlen eines Hauses (also insbesondere eine verbesserte Dämmung sowie der Einbau besserer Fenster) ist keine ‚Heizungsart‘ im Sinne des § 81 Abs. 2 HBO“, so der Regierungspräsident.
Als Verstoß gegen das „Übermaßverbot“ sieht die Aufsicht an, dass die Verpflichtung auch bei Gebäudeerweiterungen, Dachneubauten und grundlegenden Dachrenovierungen ausgelöst wird. „Davon“, so die Gießener Juristen, „können auch Gebäudeeigentümer betroffen sein, die gerade erst in eine neue Heizung investiert haben“ und „vor Ablauf der üblichen Nutzungszeit zur erneuten Investition in die Heizung verpflichtet“ wären. Richtiger Anknüpfungspunkt wäre laut Regierungspräsidium vielmehr der Austausch der Heizungsanlage, nicht „die Änderung eines Daches“. Kritisch wird auch gewertet, dass keine Ausnahme für Hauseigentümer vorgesehen sei, die ihr Dach auf Grund eines Schadens (etwa eines Unwetters) renovieren müssen. Auch sie müssten dann zusätzlich eine solarthermische Anlage installieren; die vorgesehenen Ausnahmen „wegen besonderer Umstände“ seien rechtlich zu unbestimmt.

Mögliche Konflikte mit dem Denkmalschutz
Schließlich macht das Regierungspräsidium auf den nach seiner Ansicht markanten Gegensatz aufmerksam, der zur eigenen Bausatzung der Stadt Marburg von 1992 bestehe („Gestaltung baulicher Anlagen in der Altstadt“). Nach der Solarsatzung müssten Gebäudeeigentümer im denkmalgeschützten Gesamtensemble der Marburger Altstadt Solaranlagen installieren, die nach der Bausatzung und den Regelungen des Denkmalschutzes unzulässig seien (Anlagen zur Wärmegewinnung auf Dächern nur da zulässig, „wo sie von allen der Öffentlichkeit zugänglichen Flächen nicht eingesehen werden können“). Dies lege den Eigentümern eine „unmögliche Pflicht“ auf; allein wegen der Hanglage der Altstadt und der „allseitigen Einsehbarkeit vom Tal und vom Schloss“ gebe es kaum solche Dachflächen, heißt es in der Pressemitteilung.
Aus alledem ergebe sich die Rechtswidrigkeit der Satzung, so dass der Beschluss zu beanstanden sei, lautet das Fazit des Regierungspräsidiums. Zudem solle auch vermieden werden, dass Betroffenen das „Kostenrisiko eines Rechtsstreits“ auferlegt werde. Auch sei nicht absehbar, ob und wann es zu einer möglichen Änderung der Hessischen Bauordnung komme; die Aufsicht sei hingegen an eine Beanstandungsfrist von sechs Monaten gebunden.

Klage gegen die RP-Verfügung möglich
Gegen die RP-Verfügung kann die Stadt Marburg innerhalb eines Monats beim Verwaltungsgericht Gießen Klage erheben. Die Stadtverordnetenversammlung hatte am 26.9. den Magistrat zu einer solchen Klageerhebung ermächtigt und zugleich eine frühere Erklärung des Oberbürgermeisters bekräftigt, die Bekanntmachung (und damit das Inkrafttreten) der Satzung bis zu einer Änderung der Hessischen Bauordnung zurückzustellen.
Lesen Sie zu diesem Thema auch das Solar-Interview mit dem Rechtsanwalt Fabio Longo: „Quo vadis marburger Solarsatzung?“

08.10.2008 | Quelle: Regierungspräsidium Gießen | solarserver.de © EEM Energy & Environment Media GmbH

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