Die Glasindustrie setzt auf die Sonne: Photovoltaik wird zum wichtigen Markt
21.09.2010
Die Hersteller von Flachglas haben die Photovoltaik als wichtigen Absatzmarkt entdeckt: Sie investieren in neue Solarglas-Werke, entwickeln effizientere Produktionen und bessere Produkte. Davon profitieren die Modulhersteller: Solar-Module werden günstiger und erzielen hohe Wirkungsgrade. Als "Solar-Report" veröffentlicht der Solarserver im September 2010 einen Beitrag, der überwiegend auf Material der Fachmesse für solare Produktionstechnik "solarpeq" basiert, die parallel zur Weltleitmesse "glasstec" in Düsseldorf stattfinden wird. Vom 28.09.-01.10.2010 bietet die "solarpeq" ein internationales Forum für alle, die Maschinen zur Herstellung und Verarbeitung von Silizium, Wafern, Solarzellen und -modulen anbieten oder kaufen wollen.Interpane investiert in die Zukunft; Solar-Glas aus Osterweddingen
Das Unternehmen Interpane aus Lauenförde, das zu den größten Flachglasherstellern in Europa zählt, fertigte bisher vor allem Auto- und Fensterscheiben. Doch da sich die Fahrzeug- und Baubranche in der Krise als wackelige Abnehmer entpuppten, stieg Interpane 2009 in die Photovoltaik (PV) ein. Für 190 Millionen Euro bauten die Niedersachsen und die holländische Glas- und Solarfirma Scheuten in Osterweddingen bei Magdeburg eine voll integrierte Glasfabrik, die ganz auf den Bedarf der Photovoltaik ausgerichtet ist. Das Werk stellt lichtdurchlässiges Weißglas her und veredelt die Scheiben gleich so, dass sie in PV-Modulen zum Einsatz kommen können – direkt nach der Fertigung werden sie geschnitten, geschliffen, mit Löchern für die Stromleitungen versehen und mit einem Antireflexfilm beschichtet. Osterweddingen sei ein "Win-Win-Werk", sagt Thomas Keyser, Vertriebsleiter des unter dem Namen F-Glass firmierenden Gemeinschaftsunternehmens. "Die Solarhersteller bekommen Top-Glas für höhere Modulleistungen, wir partizipieren am wachsenden PV-Markt."
F-Glass belegt ein Umdenken in der Glasindustrie
Für viele Hersteller war die Photovoltaik bisher nur eine Nische, die mit bedient wurde. Von den 38 Millionen Tonnen Flachglas, die 2009 in den Float- und Walzglaswerken der Welt produziert wurden, benötigten die Photovoltaik-Modulhersteller für Deck- und Trägergläser nur rund 630.000 Tonnen, also nicht mal zwei Prozent. Für die Glasfirmen hatte es sich darum nicht geloht, ihre Produktionslinien für die Photovoltaik umzurüsten oder gar neue Werke zu bauen. Schon eine Umrüstung verursacht hohe Kosten. "Da Solarglas viel Licht durchlassen muss, darf es nur ein Achtel des Eisens enthalten, das ein einfaches Fensterglas enthält“, erklärt Keyser. Für diese Qualität sind reinerer Quarzsand und ein heißerer Schmelzprozess nötig. Denn je eisenärmer Glas ist, desto schneller kühlt es ab. Durch das rasche Erkalten entstehen hinderliche Blasen. Um diese zu vermeiden, muss die Schmelze auf 1.600 Grad Celsius erhitzt werden. Das Problem: Zur Neukalibrierung müsste eine Linie gestoppt werden, wozu die Unternehmen nur ungern bereit sind. "Der Investitionszyklus in der Flachglasherstellung liegt bei 15 Jahren. In dieser Zeit muss das Floatwerk rund um die Uhr laufen, um Gewinne zu erzielen", erklärt Interpane-Sprecher Marc Everling.Schlüssel zu niedrigen Modulkosten
Weil die Glasindustrie die Photovoltaik erst jetzt so richtig für sich entdeckt hat, sind nennenswerte Kostensenkungen beim Solarglas bisher ausgeblieben. Zwar sind PV-Module in den letzten zwei Jahren um 40 Prozent billiger geworden, doch das liegt primär an Kostenvorteilen durch höhere Produktionsmengen, optimiertem Herstellequipment für Zellen und Module sowie dem Preisverfall des Siliziums. Solarglas hingegen kostet mit etwa zehn Euro pro Quadratmeter immer noch so viel wie zu Beginn des Solar-Booms vor vier Jahren. Es macht bei Silizium-Modulen inzwischen rund fünf Prozent der Kosten aus, bei Dünnschichtpaneelen, für die Träger- und Deckgläser nötig sind, sogar 15 bis 25 Prozent, so Sabine Hönig von der TU Bergakademie Freiberg. Senkten die Modulhersteller ihre Kosten in den nächsten drei Jahren um ein weiteres Drittel, dann könnte der Kostenanteil des Glases auf bis zu 60 Prozent wachsen. "Glas kann zum Flaschenhals bei der weiteren Senkung der Produktionskosten werden", warnt die Expertin.
Prognosen rechnen mit 1,7 Millionen Tonnen PV-Spezialglas ab 2012
Doch es besteht Hoffnung auf besseres und günstigeres Material. "Die Solarenergie wird für uns immer wichtiger", sagt Keyser. Das lässt sich auch mit Zahlen belegen: Während die Glashersteller ihre Floatwerke wegen sinkender Nachfrage der kriselnden Auto- und Baubranche zuletzt nur noch zu 90 Prozent auslasten konnten, nimmt der Bedarf der Modulhersteller stetig zu. Bei anhaltend starkem Zubau an Solaranlagen wird die Photovoltaik Prognosen zufolge 2012 bereits fast 1,7 Millionen Tonnen Spezialglas benötigen – fast drei Mal so viel wie 2009. F-Glass will einer der Hauptversorger werden. Da s Unternehmen plant, der Branche jährlich mehr als 100.000 Tonnen Spezialglas zu verkaufen – genug für etwa 1.300 Megawatt (MW) Modulleistung. Das Hauptaugenmerk der Ostdeutschen liegt auf Kosteneffizienz. Der Glasofen in Osterweddingen fasst 2.000 Tonnen Glasschmelze. Bei fast 1.600 Grad hat das Gemenge aus Quarzsand, Kalk, Soda und Scherben die Qualität, die für PV-Glas nötig ist. Um Energie zu sparen, haben die Ingenieure den Ofen mit 2.000 Tonnen feuerfesten Steinen gedämmt. "Wir senken unseren Bedarf so um 15 Prozent", erklärt Keyser. Die Schmelze fließt anschließend auf ein Bad aus flüssigem Zinn und erhält so ihre spiegelglatte Oberfläche. Dann wird das Glas im Kühlofen bis auf 60 Grad gekühlt und geschnitten. Resultat sind vier Millimeter dicke Scheiben, die dank ihres geringen Eisenanteils von nur 80 Teilen von einer Million 90,5 Prozent des Lichts durchlassen. Antireflexschichten erhöhen die Lichtdurchlässigkeit auf bis zu 96,2 Prozent. Bei gängigen Solargläsern liegt die Transmission im Durchschnitt bei 90 bis 95 Prozent.
Hohe Kosten für Transport und durch Glasbruch
Indem F-Glass solche Veredelungsschritte direkt vor Ort vornimmt, spart es weitere Kosten. Normalerweise werden die Gläser andernorts weiterverarbeitet. Weite Wege und Glasbruch verteuern das Produkt. Wissenschaftlerin Hönig schätzt, dass auf den Transport und die Veredlung drei Viertel der Kosten des Solarglases entfallen. F-Glass beliefert die Modulhersteller direkt mit fertigen Produkten. "So können wir hochwertige Gläser zu konkurrenzfähigen Preisen anbieten", sagt Keyser.
Kostspielige Veredelung
Auch Euroglas aus Haldensleben expandiert für die Photovoltaik. Das Unternehmen produziert in Haldensleben und Osterweddingen Floatglas und setzte 2009 direkt neben sein Stammwerk eine neue Veredelung. 50 Millionen Euro kostete die Fabrik, in der die 3,21 Meter breiten und sechs Meter langen Glasjumbos gleich nach der Produktion zu Trägergläsern für Module weiterverarbeitet werden. Die nächste Solar-Innovation ist schon in Planung: Ab Ende dieses Jahres an will Euroglas auch Deckgläser mit so genannten transparent leitfähigen Schichten (TCO) anbieten. Diese bilden in Dünnschichtmodulen die Kontakte, über die der generierte Solarstrom abgegriffen wird. Das Besondere an Euroglas’ TCO-Schichten: Sie seien, so Firmenchef Christian Winter, besonders leitfähig und ermöglichten daher um bis zu einen Prozentpunkt höhere Modulwirkungsgrade als bisher gängige Layer – ein großes Versprechen in einem Markt, in dem inzwischen jedes Zehntel Effizienzgewinn zählt.
Float- contra Walzglas
Doch die Floatglas-Anbieter müssen mit starker Konkurrenz rechnen, denn auch die Walzglas-Hersteller haben große Pläne in Sachen Photovoltaik. Walzglas spielt auf dem Markt kaum noch eine Rolle, da es unebener ist als das spiegelglatte Floatglas. Architekten und Autobauer akzeptieren diese Unebenheiten nicht, für die Photovoltaik sind sie aber in Deckgläsern von Vorteil. Sie wirken wie "Lichtfallen" und erhöhen somit die Stromausbeute der Module. Außerdem lässt sich Walzglas günstiger herstellen als Floatglas. "Die Qualitätsanforderungen an die Rohstoffe sind nicht so hoch, und es wird weniger Energie aufgewendet, weil das heiße Zinnbad entfällt", erklärt Hönig.
Gleiche Qualität bei kosteneffizienterer Produktion – für die Photovoltaik ist das "alte" Walzglas damit sehr interessant. Daher steigt auch die Nachfrage nach endsprechendem Equipment, wie Werner Haag von Fickert + Winterling aus Marktredwitz in Oberfranken zu berichten weiß. Die Walzanlagen seiner Firma seien momentan sehr gefragt. "Aufträge bekommen wir vor allem von Glasherstellern aus China." Allein in den letzten zwölf Monaten seien dort 25 Walzglas-Linien installiert worden – ein Viertel der Walzanlagen habe Fickert + Winterling geliefert, so Haag.
Die Glas-Modul-Fabrik
Wo viel Geld verdient wird, eröffnen sich finanzielle Spielräume für Innovationen. So entwickelt der oberfränkische Anlagenbauer Fickert + Winterling mit anderen Zulieferern im Rahmen des Netzwerks "Solarvis" ein Konzept für eine deutlich kleinere und günstigere Fabrik. Sie soll mit einer Tagesproduktion von 30 bis 50 Tonnen fünf Mal weniger ausstoßen als bisher übliche Walzglas-Werke und mit 15 bis 20 Millionen Euro nur noch maximal halb so viel kosten. Damit, so die Idee, würde es für Modulproduzenten interessant, in eigene Glasfabriken zu investieren. So könnten die Firmen Scheiben nach eigenen Spezifikationen fertigen und zugleich Transportkosten sparen. "Wir glauben, dass eine Inhouse-Lösung eine wirtschaftlich interessante Lösung sein kann", sagt Haag. Die Floatlinien-Betreiber halten dagegen: Sie seien mit ihren großen 1.000-Tonnen-Linien optimal auf den schnell wachsenden Bedarf der Photovoltaik eingestellt. Außerdem hätten Forscher und Ingenieure viele neue Beschichtungs- und Veredelungsanlagen für die Großserienproduktion entwickelt. "Bei kleinen Walzen bringt eine Riesen-Sputteranlage nichts", gibt Bernd Szycka vom Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik in Braunschweig zu bedenken.
Centrosolar: Ein Photovoltaik-Hersteller mit eigener Glasproduktion
Mit ihrer 100-prozentigen Tochtergesellschaft Centrosolar Glas GmbH & Co. KG verfügt die Centrosolar Group AG (München) über eine konzerneigene Fertigung für nano-beschichtete Solargläser. Rund 350 Mitarbeiter stellen im fränkischen Fürth mit einer jährlichen Produktionskapazität von rund sechs Millionen Quadratmetern pro Jahr antireflexbeschichtetes Solarglas her, das vorwiegend in Photovoltaik-Module eingebaut wird. Die Antireflexbeschichtung besteht aus einer 150 Nanometer dünnen Schicht aus Siliziumdioxid, die durch Tauchbeschichtung unter Reinraumbedingungen aufgetragen wird. Das dazu verwendete Verfahren wurde entwickelt in Zusammenarbeit mit den Fraunhofer Instituten ISC (Würzburg) und ISE (Freiburg) sowie der Merck KGaA. Das Beschichtungsverfahren wurde mit dem Härtungsprozess für das Glas kombiniert und lässt sich so in die Produktion des Einscheibensicherheitsglases integrieren.
Schneiden, beschichten, härtenBeschichtungsverfahren steigert jährliche Ausbeute von Photovoltaik-Modulen um fünf bis sechs Prozent
Das Solarglas aus Fürth wird zur Schutzabdeckung von Solarmodulen in der Photovoltaik (zur Stromerzeugung) und Solarthermie (zur Warmwassergewinnung) verwendet. Ein Manko dabei war bisher, dass durch die physikalisch bedingte Lichtreflexion auf den Gläsern Energieverluste entstanden – und zwar durchschnittlich acht Prozent. Centrosolar Glas hat ein Beschichtungsverfahren entwickelt, mit dem die Reflexion auf nur zwei Prozent reduziert werden kann. Dadurch erhöht sich die jährliche Energieausbeute von Photovoltaik-Modulen um fünf bis sechs Prozent. Bei solarthermischen Kollektoren sind es sogar acht bis zehn Prozent, betont das Unternehmen. Centrosolar Glas produziert beidseitig glattes Floatglas in drei unterschiedlichen Transmissionsstufen und mikrostrukturiertes Gussglas in zwei Oberflächenvarianten.
Deutliche Kostensenkungen möglich
Die aufkommende Konkurrenz auf dem Glasmarkt dürfte Innovationen beflügeln. Das Entwicklungspotenzial von Solarglas ist noch längst nicht ausgereizt. "Wenn die Glasindustrie zu Investitionen bereit ist, sind bis 2015 Kostensenkungen von bis zu 50 Prozent möglich", schätzt Hönig. So können integrierte Glas-Veredelungs- oder Glas-Modulwerke Transportkosten vermeiden. Auch dünnere Gläser und neue Antireflexschichten senken Kosten. Gute Scheiben lassen heute etwa 95 Prozent des Lichts durch, künftige sollen 99 Prozent der Photonen passieren lassen. Ebenfalls rund vier Prozent mehr Leistung würden auch die Zellen hinter solchen Gläsern bringen. Auf der Weltleitmesse der Glasindustrie, glasstec, und der parallel stattfindenden Fachmesse für solare Produktionstechnik, solarpeq, werden Innovationen beim Photovoltaik-Glas ein zentraler Aspekt sein. Vom 28. September bis 1. Oktober stellen Unternehmen und Forschungseinrichtungen in Düsseldorf ihre Neuheiten und Projekte vor, außerdem beschäftigt sich das Symposium der Sonderschau "glass technology live" am Messe-Freitag mit dem Thema Vorprodukte für Photovoltaik und Solarthermie. Zur solarpeq Konferenz "Solar meets Glass" am 27. und 28. September kommt die Glas- und Solarbranche schließlich erstmalig in solch einem Rahmen an einen Tisch, um mögliche Synergien und die gegenseitigen Anforderungen im direkten Austausch zu diskutieren. Je effektiver dieser Austausch zwischen beiden Branchen ist, umso schneller können in Zukunft beide voneinander profitieren.