Fachbuch „Neue örtliche Energieversorgung“: Das Rüstzeug für kommunale Akteure der Energiewende

von Rolf Hug Gibt es etwas, auf das man sich verlassen kann, in diesen Tagen der heftigen energiepolitischen Debatten um Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke und Anteile erneuerbarer Energien? Gibt es etwas Zeitloses, das unabhängig von Entscheidungen in Berlin auch in Zukunft Geltung hat? Die „Neue örtliche Energieversorgung“ von Fabio Longo zeigt auf die Städte und Gemeinden: […]

von Rolf Hug
Gibt es etwas, auf das man sich verlassen kann, in diesen Tagen der heftigen energiepolitischen Debatten um Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke und Anteile erneuerbarer Energien? Gibt es etwas Zeitloses, das unabhängig von Entscheidungen in Berlin auch in Zukunft Geltung hat? Die „Neue örtliche Energieversorgung“ von Fabio Longo zeigt auf die Städte und Gemeinden: Wegen ihrer besonderen Stellung in der Verfassung kann Berlin nicht einfach „durchregieren“. Das wachsende Engagement für den örtlichen Ausbau erneuerbarer Energien in vielen Rathäusern und Stadtwerken wurde parallel zu den bundespolitischen Debatten beim Kongress „100%-Erneuerbare-Energie-Regionen“ in Kassel sichtbar. Fabio Longos Buch erarbeitet Schritt für Schritt, dass dieses lokale Engagement nicht im luftleeren Raum stattfindet. Und dass es auch nicht mit einem Federstrich von oben beseitigt werden kann.

Schlüsselfunktion der Städte und Gemeinden beim Ausbau der Erneuerbaren
Schon die Ursprünge des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) gehen zurück auf bürgerschaftliche Initiative. So ist die kostendeckende Vergütung für Solarstrom Mitte der 90er-Jahre erstmals durch Ratsbeschlüsse in den Städten Aachen, Freising und Hammelburg eingeführt worden – ein Modell, das von vielen Kommunen übernommen worden ist.
Den Städten und Gemeinden kommt bei der Nutzung der – überwiegend dezentral einzusetzenden – erneuerbaren Energien eine Schlüsselfunktion zu. Nicht ohne Grund haben politische Zielvorgaben für 100%-Erneuerbare-Energie-Kommunen derzeit Hochkonjunktur. Bürger und Investoren erkennen Städte und Gemeinden als die wichtigsten Akteure. Kommunen entscheiden mit der Bauleitplanung maßgeblich über Anlagenstandorte für erneuerbare Energien, sie vergeben zum Beispiel eigene Dächer für Bürgersolaranlagen, sie sind vielerorts Eigentümer der Stadtwerke als Netzbetreiber und dezentraler Energieproduzent, sie planen und betreiben Fernwärmenetze etc.Immer mehr Kommunen und Regionen in Deutschland nehmen dank der erneuerbaren Energien ihre Energieversorgung selbst in die Hand. Engagierte Regionen machen heute schon über 52 Prozent der Landesfläche aus. In den meist ländlich geprägten Regionen leben etwa 35 Millionen Menschen.
"Man kann also hier mit Fug und Recht von einer regionalen, aber bundesweiten Bewegung zum dezentralen und effizienten Umbau unseres Energiesystems sprechen“, betont Martin Hoppe-Kilpper, Geschäftsführer des Kompetenznetzwerks dezentraler Energietechnologien (deENet).„Dürft ihr überhaupt handeln?“
Doch Bürgermeister, Gemeinderäte und bürgerschaftliche Initiativen müssen im Zuge einer Kommunalpolitik für eine neue örtliche Energieversorgung häufig eine grundlegende Frage beantworten: "Dürft ihr überhaupt handeln?" Zuletzt hat die Stadt Marburg in diesem Zusammenhang mit ihrer Solarsatzung Schlagzeilen gemacht. In einem Hauptteil seines Buches widmet sich Fabio Longo genau dieser Frage: Was liegt für Städte und Gemeinden ferner, als sich mit dem globalen Klimaschutz zu befassen? Was liegt hingegen näher, als sich damit zu befassen, wie mit der lokal auf Dächer und Fassaden einstrahlenden Solarenergie einen Großteil der örtlichen Energieversorgung sicher gestellt werden kann? Damit liefert Fabio Longo einen wichtigen Beitrag zur Lösung des lange Zeit unter Juristen ausgefochtenen Streits, ob Städte und Gemeinden mit ihrem Beitrag zum globalen Klimaschutz die Welt retten dürfen – oder ob sie auf ihren „Kirchturm“ beschränkt sind. Städte und Gemeinden müssen sich zunächst um ihre eigenen Angelegenheiten vor Ort kümmern, und gleichzeitig muss kommunales Handeln wenigstens langfristig einen Nutzen für die örtliche Gemeinschaft bringen. Mit der Nutzung örtlich anfallender Solarenergie können beide Ziele erreicht werden.

Lokale Wertschöpfung: Ein starkes rechtliches Argument für kommunales Handeln
Longo weist in diesem Kontext darauf hin, dass das von vielen Verfechtern ins Feld geführte und gerade von einer IÖW-Studie bestätigte Argument, dass der Einsatz erneuerbarer Energien die lokale Wertschöpfung steigert und vor Ort Arbeitsplätze schafft, auch eine verfassungsrechtliche Bedeutung hat. (http://xlurl.de/B45s3s ). Denn es wird allgemein anerkannt, dass sich Städte und Gemeinden darum kümmern dürfen und müssen, Wirtschaftsbetriebe anzusiedeln und zu fördern. Deshalb können die Kommunen auch Maßnahmen ergreifen, um die wirtschaftlichen Chancen des Einsatzes erneuerbarer Energien zu nutzen. Es ist demnach gar nicht nötig, den globalen Klimaschutz als kommunale Aufgabe zu definieren, denn die Aufgabe einer sicheren Energieversorgung auf der Basis örtlich verfügbarer Energiequellen erweist sich als wesentlich besserer Ansatz.Von solaren Bebauungsplänen zur Marburger Solarsatzung
Entscheidend für den lokalen Ausbau erneuerbarer Energien sind die konkreten Handlungsinstrumente, zum Beispiel zur Erschließung der örtlichen Solarpotenziale. Für die Frage, ob einzelne Instrumente wie ein „solarer“ Bebauungsplan rechtlich zulässig sind, spielt die oben genannte Grundsatzfrage eine Rolle. Besondere Aktualität bekommt das Buch von Fabio Longo durch die juristische Auseinandersetzung über die Marburger Solarsatzung. Das Verwaltungsgericht Gießen hat im Mai 2010 entschieden, dass Solarsatzungen im Grunde zulässig sind – jedenfalls in Hessen und im Saarland. Städte und Gemeinden müssen die Bürger nur langsamer auf das Wirksamwerden einer solchen Solarsatzung vorbereiten. Solarpflichten im Gebäudebestand, die bei Renovierungsmaßnahmen an Heizung und Dach eingreifen, dürfen erst nach einer gewissen Übergangszeit wirksam werden. Entscheidend ist aber, dass das Urteil und die „Neue örtliche Energieversorgung“ von Fabio Longo zu dem Ergebnis kommen, dass Solarsatzungen für den energetisch besonders wichtigen Gebäudebestand eingeführt werden dürfen, und nicht nur für Neubauten.

Ein Kompendium für kommunale Akteure
Das Beispiel der Marburger Solarsatzung zeigt genauso wie die vielen Bemühungen zur Re-Kommunalisierung der Energieversorgung, dass kommunales Handeln für die Energiewende häufig Angriffen ausgesetzt ist. Beispielhaft genannt sei ein FAZ-Kommentar zur Marburger Solarsatzung mit dem Titel "Öko-Diktatur im Rathaus": "Im Kampf gegen den Klimawandel will niemand zurückstehen. (…) Jedenfalls haben Kommunen kein Recht, ihren Bürgern Vorschriften zu machen, um den gesamten Globus zu retten. Sie müssen sich auf ihre ureigensten Zuständigkeiten beschränken. Das ist juristisch geklärt, seit ‚fortschrittliche‘ Städte und Gemeinden ‚atomwaffenfreie Zonen‘ ausrufen wollten.“ (Nr. 144 vom 23.6.2008)
Dennoch, Städte und Gemeinden setzen sich immer wieder juristisch durch, wenn sie sich um ihr ureigenstes Anliegen der örtlichen Energieversorgung kümmern – das zeigt auch das Urteil zur Solarsatzung. Gerade wegen solcher Anwürfe gehört die „Neue örtliche Energieversorgung“ zum „Rüstzeug“ aller Bürgermeister, Amtsleiter in Rathäusern, Stadtwerke-Geschäftsführer sowie aller in der Kommunalpolitik und in örtlichen Initiativen Tätigen, die sich für den Ausbau der erneuerbaren Energien in ihrem Ort engagieren. Denn die „Neue örtliche Energieversorgung“ von Fabio Longo motiviert die Aktiven in den Kommunen, sich für eine eigenständige Energieversorgung auf der Basis erneuerbarer Energien einzusetzen. Longo zeigt, wie wichtig es ist, sagen zu können: "Wir kümmern uns um eine kommunale Aufgabe. Letztlich können und dürfen wir selbst entscheiden, egal ob ein Energiekonzern damit einverstanden ist oder nicht. "Aus diesem Grund ist das Buch auch von Bedeutung für Investoren, die zusammen mit Städten und Gemeinden Erneuerbare-Energie-Projekte verwirklichen wollen.
Gerade bei einem rechtswissenschaftlichen Buch liegt es in der Natur der Sache, dass manche Teile nicht ganz einfach zu verstehen sind. Dem Autor gelingt es dennoch, die juristisch komplexen Sachverhalte in verständlicher Weise darzustellen, besonders bei der Behandlung der kommunalen Aufgabe. Dies liegt sicher auch an seinen praktischen Erfahrungen als in der Kommunalberatung und im Energierecht tätiger Rechtsanwalt sowie an seinem langjährigen Engagement in der Kommunalpolitik als Stadtverordneter in Vellmar.Fabio Longo: Neue örtliche Energieversorgung als kommunale Aufgabe. Solarsatzungen zwischen gemeindlicher Selbstverwaltung und globalem Klima- und Ressourcenschutz. Nomos Verlag, Baden-Baden 2010, EUR 89.
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