Solar-Interview zur Energiewende: Fünf Fragen an Prof. Dr. Claudia Kemfert
Claudia Kemfert, Professorin für Energieökonomik und Nachhaltigkeit, Professorin für Umweltökonomie, Leiterin der Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Buchautorin ist eine ausgewiesene Expertin in Sachen Energiewende.
Nicht zuletzt durch viele persönliche Kontakte und ihre Beratungstätigkeiten für Ministerien und Parteien auf Bundes- und Landesebene kann die Ökonomin die Energiepolitik sehr fundiert einschätzen.
Kurz nach Veröffentlichung des aktuellen Buchs „Kampf um Strom. Mythen, Macht und Monopole“ sprach Björn-Lars Kuhn (Proteus Solutions) mit Prof. Dr. Kemfert unter anderem über Solarstrom–Eigenverbrauch, Offshore-Windenergie und den Wärmemarkt.
In Zukunft sollen sich Endkunden und mittelständische Unternehmen vom Strompreis unabhängiger machen – und beispielsweise durch Photovoltaik-Anlagen und Solarstrom-Eigenverbrauch weniger Energie vom lokalen Versorger beziehen müssen. Ist das, mit Blick auf die EEG-Umlage, nicht volkswirtschaftlich bedenklich?
Kemfert: Ich halte es für sinnvoll, dass man auch den Eigenverbrauch durch erneuerbare Energien erhöht. Endkunden und auch mittelständische Unternehmen können durchaus profitieren, wenn sie sich unabhängiger von Energielieferungen machen und den Strom selbst produzieren und auch nutzen. Die Entwicklung der EEG-Umlage hängt ja in erster Linie von der Entwicklung des Strompreises an der Börse ab- und dieser wiederum wird bestimmt über Brennstoffkosten und CO2-Preise. Der Strompreis an der Börse sinkt zwar derzeit, allerdings kommt dies bei den meisten Verbrauchern nicht an, es sei denn sie beziehen den Strom direkt von der Börse.
Oft wird behauptet, dass Offshore-Windenergieanlagen das Rückgrat der Energiewende seien. Ist das ein Ergebnis des Lobbyismus? Und wie beurteilen Sie den Ausbau solcher Anlagen im Hinblick auf die Offshore-Haftungsumlage?
Kemfert: Die Offshore-Windenergie wird ein Baustein, zwar nicht das Rückgrat, aber ein Baustein der Energiewende sein. Wir werden mehr und mehr dezentrale Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien nutzen. Um aber bis zum Jahre 2050 wirklich 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien gewinnen zu können, werden wir auch Offshore-Windenergie brauchen.
Die Offshore Haftungsumlage ist erfolgreicher Lobbyismus pur. Statt die Energiewende vernünftig zu managen und dafür zu sorgen, dass erst die Netze, dann die Windanlagen gebaut werden, überlässt man alles den Unternehmen. Der Netzbetreiber hat offensichtlich die technischen und finanziellen Anforderungen unterschätzt. Dass nun aber in erster Linie Privathaushalte für Managementfehler haften sollen, ist unbegreiflich. Man sollte die Risiken auf viele Schultern verteilen. Großinvestoren kennen sich gut aus mit derlei Risiken und können dies auch gut allein stemmen. Dadurch, dass das Kind erst in den Brunnen gefallen ist, konnten die Lobbyisten ihre Interessen ungeniert durchsetzen.
Derzeit reden alle über den Strompreis, doch welche Rolle spielt der Wärmemarkt bei der Energiewende?
Kemfert: Derzeit ist die "Energiewende" eher eine "Strom-Angebots-Wende", denn weder die Nachfrageseite noch die Bereiche Wärme und Mobilität werden ausreichend berücksichtigt. Als der Monitoringbericht zur Energiewende im Dezember vorgestellt wurde, fehlte der Minister, der für Bau und Wärme zuständig ist. Der Wärmemarkt sollte eine zentrale Rolle spielen, da hier die größten und volkswirtschaftlich effizientestes Einsparpotenziale liegen.
Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie ist immer eines der Hauptargumente für Befreiungen von der EEG-Umlage. Wie viel schlechter schneidet Deutschland im europäischen Vergleich bei den Energiepreisen ab und warum?
Kemfert: Preise für Öl, Gas und Kohle werden auf den internationalen Weltmärkten bestimmt. Die Strompreise sind in Deutschland hoch, da wir keinen ausreichenden Wettbewerb hatten, Steuern und Abgaben vergleichsweise hoch sind und die Brennstoffkosten stark gestiegen sind.
Derzeit sinkt der Preis an der Börse allerdings stark, so dass es auch Entlastungen bei den Stromkunden geben sollte. Im Übrigen sind die Energiekosten durchschnittlich gesehen nicht die relevanten Kenngrößen für die Wettbewerbsfähigkeit, da ein Durchschnittsunternehmen nur bis zu 5 % seiner Kosten für Energie aufbringen muss, die Lohnkosten spielen eine viel bedeutsamere Rolle.
Anders ist dies bei energieintensiven Unternehmen, die deutlich höhere Energiekosten haben, mehr als 15 % der gesamten Kosten, und die wirklich im internationalen Wettbewerb stehen. Hier macht es Sinn, Ausnahmen bei der Zahlung der Öko-Abgaben zu gewähren.
Prof. Volker Quaschning hatte letztes Jahr deutlich gemacht, dass ein Ausbau der Erneuerbaren bei 52 GW politisch gestoppt werden muss, da sonst die Rentabilität der konventionellen Kraftwerke nicht mehr gegeben ist. Sehen Sie diese Grenze ähnlich oder verfügen Sie über vergleichbare Daten?
Kemfert: Ich halte nichts von einem Deckel beim Ausbau. Man sollte vielmehr die Vergütungssätze je nach Kostenentwicklung anpassen und mehr tun, um Netze und Speicher auszubauen.
Die Rentabilität von konventionellen Kraftwerken leidet übrigens schon heute, da die Betriebsstunden sinken und vor allem der Strombörsenpreis immer weiter sinkt. Wir benötigen ein kluges Marktdesign, welches ausreichend finanzielle Anreize für den Bau von Netzen, Speichern und Gaskraftwerken gibt. Ein erster Schritt wäre übrigens die Verbesserung des Emissionsrechtehandels, welcher derzeit unwirksam ist, da zu viele Zertifikate im Umlauf sind und die Emissionsobergrenzen nicht den dynamischen Wirtschaftsentwicklungen angepasst werden. Wenn man dies auf EU-Ebene korrigieren würde, würde der CO2 Preis steigen und somit auch die richtigen finanzielle Signale für den Bau von Gaskraftwerken geben.
Seit Angela Merkel mit der „Energiewende“ den Turbo ein- und die Atomkraftwerke ausschaltete, herrscht in punkto Energieversorgung das blanke Chaos. Plötzlich weiß niemand mehr, wo es eigentlich langgeht. Stattdessen beherrschen Lobbyisten unterschiedlichster Herkunft die Diskussion, drehen die Politiker mal in die eine, dann in die andere Windrichtung, und das Volk sehnt sich nach alten Zeiten zurück, als der Strom einfach nur aus der Steckdose kam – und am Ende sollen die Menschen für das ganze Durcheinander auch noch die Zeche zahlen.
Claudia Kemfert erklärt in ihrem neuen Buch „Kampf um Strom“ Bürgern, Politikern und der Wirtschaft die Energiewende, die gerade erst begonnen hat.