Solare Nahwärme für Deutschland – Interview mit Heiko Huther (AGFW)

Solarthemen 427: Dr. Heiko Huther, Bereichsleiter Forschung und Entwicklung beim AGFW, dem Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und KWK, glaubt an die Zukunft der Solarwärme in Wärmenetzen. Anders als in Dänemark, wo die Technik seit Jahren boomt, sieht er in Deutschland allerdings noch Hürden im politischen, ökonomischen und technischen Bereich. (Foto: AGFW)

Solarthemen: Warum schießen in Dänemark die großen Kollektorfelder wie Pilze aus dem Boden, während man in Deutschland solare Nahwärmeprojekte an zwei Händen abzählen kann.

Heiko Huther: Weil die Rahmenbedingungen absolut nicht vergleichbar sind. Die Flächenverfügbarkeit spielt nur am Rande eine Rolle. Wichtiger sind die Besteuerung von fossilen Brennstoffen in Einzelfeuerungsanlagen. Aber natürlich auch der Anschlussgrad von Fernwärme. Es gibt in Dänemark mehr Fernwärmenetze und einen viel höheren Anteil von Fernwärmenetzen mit niedrigen Temperaturen. Deshalb ist es leichter, dort Solarthermie einzubinden. Außerdem haben wir in Dänemark einen höheren Anteil von Fernwärme in ländlichen Strukturen. Die großen Solaranlagen stehen ja nicht in Städten mit 15000 oder mehr Einwohnern, sondern in kleineren Kommunen. In Deutschland sind die Zentren der Fernwärme in den Ballungsräumen.

Sollte man sich stärker an Dänemark orientieren, um das Modell zu übertragen?

Wir haben lange genug nur nach Dänemark geschaut. Wir müssten konkreter werden. Was kann man von Dänemark lernen und wie einen deutschen Weg finden? Was kann man in einer konkreten deutschen Stadt und einem bestimmten Netz umsetzen?

Warum passiert das noch nicht?

Wir stecken noch in der Forschungsecke fest, obwohl wir Forschungsleute längst über den Markt reden. In Dänemark ist der Anteil, der solar erzeugten Wärme in einem Netz durchaus beachtlich. In Deutschland besteht der Eindruck, dass es nur um homöopathische Dosen geht, die man im Netz kaum bemerkt. Und um diese überhaupt zu erreichen, müsse man noch massiv investieren. Das Problem ist, dass die Erzeugungsanlagen ohnehin schon existieren, die Investments sind schon getätigt. Und diese Anlagen laufen ohnehin zu wenig. In dieser Situation dann nochmal in zusätzliche Wärmeerzeugung zu investieren, ist natürlich ökonomisch schwierig darstellbar. Die Rahmenbedingungen im Strombereich sind derzeit das Problem der Versorgungsunternehmen.

Angesichts all dieser Schwierigkeiten: Was macht sie denn optimistisch, dass die solare Nahwärme in Deutschland eine Zukunft hat?

Persönlich sehe ich diese bedeutende Erzeugungsoption auf jeden Fall. Die Wärmenetze müssen langfristig anders gespeist werden. Da führt kein Weg dran vorbei. Und da kann die Solarthermie sicherlich in der Grundlast im Sommer einen Beitrag leisten. Natürlich steht die Solarthermie hier im Wettbewerb mit Alternativtechniken, die etwaigen „Überschussstrom“ verheizen, seien es Wärmepumpen oder Power-to-Heat-Anlagen.

Wenn es im Strombereich zeitweise große Überschüsse aus fluktuierenden Quellen geben wird, kann Power to Heat in den Wärmenetzen doch eine sinnvolle Option sein, oder?

Davon gehen auch wir aus und haben entsprechende Studien durchgeführt. Diese zeigen, dass sich die bestehende KWK-Erzeugung und die alternativen Stromquellen in den Wärmenetzen ideal ergänzen würden. Dazu gehört eigentlich dann noch die Solarthermie, aber Power to Heat ist natürlich weniger investitionsintensiv und für die Unternehmen einfacher zu beherrschen.

Könnte Power to Heat nicht sogar die Solarthermie beflügeln? Beide benötigen große Wärmespeicher in den Netzen. Viele Stadtwerke investieren bereits in Pufferspeicher. Ist das nicht schon die halbe Miete für die Solarthermie – wenn der Speicher schon vom Strommarkt bezahlt wird.

Ich denke, dass beides sich beflügeln kann. Ja, die Speicher ergänzen sich. Dies war zumindest bis vor ca. einem Jahr mein Eindruck. Derzeit nehme ich allerdings wahr, dass die Versorger bei den Speichern doch eher in Richtung der strombasierten Wärmetechnologien denken und zu wenig in Richtung der Solarthermie.

Was müsste sich ändern, um das Dilemma zu beseitigen?

Da geht es vor allem um die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Unternehmen insgesamt. Damit müssen wir leider schon wieder über den Strombereich reden. Im Moment sind viele Stadtwerke einfach nicht in der wirtschaftlichen Lage, größere Investitionen zu tätigen. Für eine halbe Million Euro würde man ja schon einige Kollektoren installieren können, aber diese Investition ist einfach nicht drin.

Verstehe ich es recht: Ein Elektroboiler, der günstigen PV- und Windstrom ins Wärmenetz bringt, kostet den Betreiber fast nichts – ein Kollektorfeld rechnet sich demgegenüber erst sehr spät?

Genau. Es ist ein erhebliche Investition – und eine Technologie, mit der man nicht vertraut ist! Im PV-Bereich kennen sich die Stadtwerke längst aus. In der Solarthermie fehlt diese Erfahrung. Und es fehlt vielleicht auch an Firmen, die solche Anlagen schlüsselfertig anbieten. So wie im Photovoltaik-Bereich. Es gibt in der Solarthermie noch keine Firmen, die gezielt Flächen suchen, Wärmesenken dafür finden und dann anbieten, eine Kollektoranlage und gegebenenfalls auch Netze zu realisieren.

Gibt es da Hoffnung?

Es gibt in Österreich erste Ansätze, zum Beispiel bei der Firma Solid. Die haben einen Fonds aufgelegt und versprechen eine Rendite. Ähnliches streben auch Ritter XL und Arcon mit dem Wärme-Contracting an. Dann könnten Stadtwerke rechnen: Beziehe ich die Wärme für 5 oder 7 Cent pro Kilowattstunde? Wie liegen demgegenüber meine eigenen Grenzkosten? Oder möchte ich solch eine Anlage vielleicht sogar lieber selbst bauen.

Nehmen wir mal an, es gäbe diese neuen Anbieter. Wie offen sind die traditionellen Wärmenetzbetreiber gegenüber solchen neuen Playern?

Für neue Player ist die Branche bereits jetzt schon offen – und zwar dort, wo es Sinn macht. Zum Beispiel an einem Netzende oder in einer Region, wo Erzeugungskapazität knapp ist und wo gerne Wärme von einem Dritten aufgenommen wird. Das funktioniert hervorragend, wo es für beide Seiten eine Win-Win-Situation ist. Da ist dann der Preis auch nicht das K.O.-Kriterium. Was die Branche aber auch sieht, ist das Management. Das ist ungleich schwieriger als im Strombereich – die Hydraulik, die Temperaturen, das Back-Up-System.

Sehen Sie für Deutschland eher zentrale Kollektorfelder oder dezentrale?

Ich sehe auf jeden Fall die zentrale Variante mit Großanlagen. Mit kleinen Privateinspeisern rechne ich gar nicht, weil die Übergabetechnik nicht ganz einfach ist. Bei den Wohnungsbaugesellschaften muss man differenzieren: Wenn diese Dachflächen von 500 oder 1000 Quadratmetern haben, sind sie als Player interessant. Hier müssen aber andere gesetzliche Rahmenbedingungen beachtet werden, beispielsweise das neue Mietrecht und die Wärmelieferverordnung, die ökonomische Grenzen setzt. Die 9 Quadratmeter auf dem Einfamilienhaus sehe ich nicht als Quelle für Wärmenetze.

Warum denn nicht? Jede Kombi-Solaranlage produziert im Sommer Überschüsse. Die könnten für einen symbolischen Preis eingespeist werden.

Teils wäre der Pumpaufwand für die Einbindung in ein bestehendes Netz höher als der Solarertrag, vor allem aber sind die Netze gerade im Sommer voll. Es macht nur dort Sinn, wo das Gesamtsystem dadurch besser wird. Wenn sich durch Solarwärme nur die Laufzeit von effizienten Kraftwerken verschlechtert oder hohe Aufwendungen für Back-Up-Systeme anfallen, dann verbessert es das Gesamtsystem eben nicht.

Aber die Parameter für das System sind abhängig vom politisch-ökonomischen Rahmen. Wo liegt der Schlüssel für die solare Nah- und Fernwärme?

Der Schlüssel wäre eine Besteuerung der fossilen Energieträger Öl und Gas im Bereich der Objekteinzelfeuerung. Das ist auch eine AGFW-Forderung.

Öko-Impulse für Stadtwerke kommen oft aus der Kommunalpolitik.

Aber es vermischen sich damit auch ganz andere Ansprüche. Kommunen erwarten von ihren Stadtwerken Gewinne, um damit beispielsweise Nahverkehr oder Schwimmbäder zu unterstützen. Dies führt zum permanenten Abwägen zwischen Investitionen in die Energiewende und kommunalen Dienst­leistungen und Verpflichtungen.

Sie sprachen schon die niedrigeren Temperaturniveaus in Dänemark an. Die technische Entwicklung bei den Netzen geht auch in Deutschland weiter. Werden sich die Chancen für die Solarthermie-Einbindung verbessern?

Auf jeden Fall. Das ist ein großes Thema. Je niedriger unsere Temperaturniveaus sein können, desto besser für die Solarthermie. Das Problem ist nur, dass dies oft gar nicht im Einflussbereich der Versorger liegt. So richtig kommt man mit den Temperaturen nur runter, wenn der Kunde mitspielt. Wenn er zumindest mal einen hydraulischen Abgleich macht. Oder wenn er einen Experten auf die Übergabestation und vor allem die sekundären Heizsysteme im Gebäude schauen lässt. Wenn man die Kunden dazu bekäme, sich Gedanken zu machen und ihr eigenes System gegebenenfalls zu ändern – zum Beispiel auch mit Förderprogrammen – dann hätten alle etwas davon.

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