EuGH-Urteil bringt Freiheit für das EEG – Interview mit Thorsten Müller

Solarthemen 428. Thorsten Müller, Vorsitzender der Stiftung Umwelt­energierecht in Würzburg, ist einer der besten Kenner des Rechts der erneuerbaren Energien in Deutschland und Europa. Das am 1. Juli 2014 vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) gefällte Grundsatzurteil im Fall Åland Vindkraft bewertet er vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um das EEG als einen Meilenstein. Die Instrumentalisierung des Rechts durch die Politik sieht er kritisch.

Solarthemen: Wie lautet der Kern des Urteils, das der Europäische Gerichtshof im Fall Ålands Vindkraft gesprochen hat?

Thorsten Müller: Im Kern stellt der Europäische Gerichtshof im Åland-Urteil fest, dass die Mitgliedstaaten selbst darüber entscheiden können, inwiefern sie bei der Förderung erneuerbarer Energien Strom aus den anderen Mitgliedstaaten einbeziehen wollen oder ob sie nur Anlagen im Inland fördern wollen.

Also mehr Freiheit für nationale Gesetzgeber?

Ja, der EuGH stellt ausdrücklich klar, dass diese Freiheit besteht. Anders als im Vorfeld – je nach politischer Ausrichtung – befürchtet oder gewünscht, hat der EuGH sehr deutlich gemacht, dass es in der Entscheidungshoheit der Mitgliedsstaaten steht, ob und inwieweit sie Strom aus dem Ausland fördern wollen.

Welche Bedeutung hat diese Aussage für das deutsche EEG?

Im Vorfeld der Entscheidung wurde ja schon das Sterbeglöckchen für das EEG geläutet. Dieses ist nun verstummt. Es steht Deutschland weiterhin frei, das EEG beizubehalten, ohne dass man es für Strom aus dem Ausland öffnen muss. Das ist auch wichtig, weil ganz zum Schluss der EEG-Novelle noch eine teilweise Öffnung als Sollvorschrift in §2 Absatz6 aufgenommen wurde. Für einen solchen Schritt gibt es keine rechtliche Notwendigkeit.

In seinem Plädoyer hat sich der Generalanwalt in dieser Frage deutlich anders positioniert, als das Gericht jetzt entschieden hat. Das scheint ungewöhnlich zu sein.

Rein empirisch gesehen sind die Entscheidungen des EuGH und die vorherigen Plädoyers der Generalanwälte häufig deckungsgleich. Aber es kommt auch immer wieder vor, dass der EuGH zu einem anderen Ergebnis kommt als der Generalanwalt. Das war übrigens auch schon in der Rechtssache PreussenElektra so. Insofern ist es vielleicht eine kleine Konstante im Recht der erneuerbaren Energien, dass der EuGH nicht notwendigerweise dem Generalanwalt folgt.

Das so genannte PreussenElektra-Urteil von 2001 hat ja das EEG über Jahre abgesichert gegen politischen Gegenwind. Es stellte klar: Das EEG ist keine Subvention. Der Ökostrom wurde damals allerdings von den Stromvertrieben abgenommen und an alle Verbraucher verteilt. Seit der EEG-Änderung von 2009 wird er nun aber über die Börse vermarktet. Gilt denn dieses historische Urteil überhaupt noch?

Es wurde oft bestritten, dass das PreussenElektra-Urteil überhaupt noch aktuell ist. Es war aber in der Rechtsprechung des EuGH nicht zu beobachten, dass das Gericht sich davon distanziert hätte. In ganz vielen Entscheidungen hat es immer wieder Bezug auf das PreussenElektra-Urteil genommen. Es hat damit immer deutlich gemacht, dass es an PreussenElektra festhält. Im Ergebnis anders entschiedene Fälle hat es davon immer abgegrenzt. Das letzte Mal vor der Åland-Entscheidung in der Rechtssache Vent De Colère, die einen Tag nach Eröffnung des Beihilfeverfahrens zum EEG ergangen ist. Jetzt in der Åland-Entscheidung macht er wieder deutlich, dass er an den Kernaussagen von PreussenElektra festhält. Insofern ist weiter klar, dass die Mitgliedstaaten große Freiheiten bei der Ausgestaltung ihrer Fördersysteme haben. Das bedeutet auch, dass der Gesetzgeber nicht sklavisch bei der Ausgestaltung des EEG 2000 bleiben muss, sondern das Instrumentarium modifizieren kann. Denn der EuGH hat mit dem schwedischen Fördersystem jetzt ein Quotenmodell zur Entscheidung vorliegen gehabt. Und auch das ist neben Einspeiseregelungen wie dem EEG mit dem Binnenmarkt vereinbar. Insofern ist als Fazit aus diesen zwei Urteilen zu ziehen, dass der mitgliedstaatliche Gesetzgeber unterschiedliche Ausgestaltungsvarianten wählen kann. Kern des Problems ist dabei immer, ob man zwischen in- und ausländischen Anlagen unterscheiden darf. Dass dies möglich ist, bestätigt der EuGH.

Der Gerichtshof sagt, dass eine nationale Förderregelung Wettbewerbsrecht einschränken darf, weil ökologische Anliegen hier vorrangig sind. Verstehe ich das richtig?

Das ist richtig. Schon bei PreussenElektra und jetzt bei Åland war unstrittig, dass die jeweiligen mitgliedstaatlichen Regelungen eine Beschränkung des freien Warenverkehrs mit sich bringen. Aber in beiden Fällen hat der EuGH festgestellt, dass diese Beschränkungen gerechtfertigt sind, weil wir aus Gründen des Umwelt- und Klimaschutzes eine solche Differenzierung brauchen. Und er führt eine ganze Reihe von Gründen an, warum die Mitgliedstaaten unterscheiden dürfen.

Nach dem Urteil hat EU-Kommissar Almunia gesagt, eigentlich habe dieses Urteil mit seiner Kritik am EEG gar nichts zu tun. Minister Gabriel behauptet hingegen, durch dieses Urteil würden alle wettbewerbsrechtlichen Fragen zum EEG geklärt. Wer hat recht?

Wie häufig im politischen Bereich, wird hier wenig differenziert. Rein formal hat dieses Urteil nur Auswirkungen für das Verfahren in Schweden. Aber natürlich enthält es Rechtsaussagen darüber hinaus. Diese Aussagen beschränken sich zunächst nur auf Fragen der Warenverkehrsfreiheit und nicht auf die beihilferechtliche Einordnung, die nicht Gegenstand dieses Verfahrens war. Aber das, was zwischen Brüssel und Berlin noch strittig ist, ist – mit dem Verweis auf eine zollähnliche Abgabe – im Wesentlichen die Frage, inwieweit die EEG-Umlage auch auf Grünstrom aus dem Ausland erhoben werden darf. Und hier besteht eine starke Parallelität zwischen Warenverkehrsfreiheit und Beihilferecht, diese Frage ist genau die Schnittstelle. Und insofern ist die Kernaussage der Åland-Entscheidung hier anwendbar. Denn wenn man Grünstrom aus dem Ausland von der EEG-Umlage befreien würde, dann hätte das eine Förderungswirkung. Und es steht nach der EuGH-Entscheidung den Mitgliedstaaten gerade ausdrücklich frei, ob sie Strom aus dem Ausland fördern wollen. Kurzum: Die Position von Wettbewerbskommissar Almunia ist nicht haltbar.

In der jüngsten EEG-Debatte ist das EU-Recht von der Regierung regelrecht als Drohkulisse für die politischen Entscheider im Bundestag aufgebaut worden. Den Termindruck hätte es sonst nicht gegeben, und auch viele Einzelbestimmungen wären ohne den ständigen Verweis auf Brüssel so wohl nicht ins Gesetz gedrückt worden. Könnten nicht die Abgeordneten mit Blick auf dieses EuGH-Urteil viel gelassener mit solchem Druck umgehen?

Es ist immer wieder zu beobachten, dass im politischen Prozess rechtliche Argumente vorgetragen werden, um die eigene politische Position zu stärken. Sei es, ein bestimmtes Gesetz sei verfassungswidrig, oder – wie in diesem Fall – eine bestimmte Regelung europarechtlich zwingend. Es ist aber häufig rechtlich nicht so, wie es politisch dargestellt wird und in den meisten Fällen auch nicht alternativlos. Die Åland-Entscheidung hat jetzt an einer Stelle große Klarheit gebracht und damit dem Gesetzgeber in Deutschland auch wieder Spielraum verschafft. Das wird vor allem relevant, wenn wir bei den anstehenden Entscheidungen zu Ausschreibungsmodellen die Frage zu klären haben, inwieweit man dabei Strom aus dem Ausland einzubeziehen hat. Da gibt es eine wesentlich größere Freiheit, als es dem Gesetzgeber deutlich war. Anders ist nicht zu erklären, dass er auf den letzten Metern der EEG-Novelle noch eine 5-prozentige Öffnung für Strom aus dem Ausland als Soll-Vorschrift aufgenommen hat. Dafür gibt es keine rechtliche Notwendigkeit. Unabhängig davon gibt es aber eine politische Entscheidung zu diesem Schritt, und der entsteht nicht nur im Inland, sondern auch aus dem Wechselspiel zwischen Brüssel und Berlin. Die Frage ist, wie man mit diesem Druck umgeht und inwieweit man sich dem politischen Spiel unterwirft, oder ob man die rechtliche Klärung herbeiführt und dazu gegebenenfalls auch die Rechtsmittel nutzt, die in einem solchen Verfahren zur Verfügung stehen. Das sind zwei Ebenen, die häufig vermischt werden. Und daraus entstehen solche Situationen, wie wir sie jetzt beobachtet haben, bei denen mit dem Hinweis auf einen vermeintlichen rechtlichen Zwang Politik gemacht wird.

Ist das ein Plädoyer, die Brüsseler Exekutive bei Rechtsfragen nicht überzubewerten, sondern eher den EuGH als Maß der Dinge zu nehmen?

Da es um die Anwendung bestehenden Rechts geht, ist hier die Judikative der maßgebliche Akteur, dem sich auch die Kommission beugen muss, wie zum Beispiel 2002, als die Kommission ein Beihilfeverfahren gegen das EEG eingestellt hat, nachdem der EuGH das PreussenElektra-Urteil gefällt hatte. Die Kommission hat damals ausdrücklich festgestellt, dass das ursprüngliche EEG keine Beihilfe war. Damals hatte die Bundesregierung im Vorfeld anders reagiert als dieses Mal. Seinerzeit ist sie bei ihrer Rechtsauffassung geblieben, dass das EEG keine Beihilfe ist. Sie hat dem Druck der Kommission standgehalten. Das war dieses Mal anders.

Interview: Guido Bröer

Die Stiftung Umweltenergierecht

Die gemeinnützige Stiftung Umweltenergierecht in Würzburg ist eine rechtswissenschaftliche Forschungseinrichtung, die das Recht der Energiewende erforscht. Gegründet wurde sie am 1. März 2011 von 45 Personen, Vereinigungen und Unternehmen. Seitdem hat sie zusammen mit interdisziplinären Forschungspartnern zahlreiche Ideen entwickelt, wie der Rechtsrahmen verändert werden kann, um die energie- und klimapolitischen Ziele zu erreichen.

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