Interview mit Andreas Wieg (DGRV): Herausforderungen für Energiegenossenschaften

Solarthemen 430. Dr. Andreas Wieg leitet beim Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV) den Vorstandsstab und ist auch für die vor nicht ganz einem Jahr in Berlin beim DGRV gegründete Bundesgeschäftsstelle für Energiegenossenschaften verantwortlich. Mit den Solarthemen sprach er über die aktuellen Herausforderungen für Energiegenossenschaften.

Solarthemen: Wie viele Energiegenossenschaften sind in den DRGV-Verbänden organisiert?

Andreas Wieg: Das sind etwa 800, wobei die Gruppe sehr unterschiedlich ist. Die meisten Energiegenossenschaften engagieren sich im Ausbau der erneuerbaren Energien. Zudem gibt es eine Grup­pe an genossenschaftlichen Nahwärmenetzen und etwa 60 Genossenschaften, die als Energieversorgungsunternehmen und Netzbetreiber zum Teil schon mehr als 100 Jahre bestehen. Wie groß ist der Marktfaktor der Genossenschaften einzuschätzen? Wir bewegen uns bei etwa 1,5 Milliarden Euro, die in erneuerbare Energien investiert worden sind. Das ist zwar nur ein kleiner Teil der Energiewende. Allerdings geht es bei den Genossenschaften auch darum, die Bürger vor Ort zu erreichen. Die 800 Energiegenossenschaften haben rund 200000 Mitglieder. Dies ist für die Akzeptanz der Energiewende sehr wichtig.

Was sind das für Akteure in diesen Genossenschaften? Sind das Hobbyinvestoren oder Profis?

Genossenschaftsmitglieder sind nicht einfach nur Investoren. Sie beteiligen sich an einem Unternehmen. Die Besonderheit liegt darin, dass man gemeinsam vor Ort in einem Genossenschaftsbetrieb Projekte umsetzen und die Energiewende voranbringen möch­te. Auch das haben wir bei unserer Umfrage festgestellt, als wir nach der Motivation derjenigen fragten, die sich in Energiegenossenschaften engagieren. Zum einen ist dies der Wunsch, erneuerbare Energien voranzubringen, und zum anderen das Interesse, die lokale Wertschöpfung zu stärken. Es geht nicht um eine reine Geldanlage. Dabei spielt das ehrenamtliche Engagement eine wichtige Rolle. Ich würde hier aber nicht von einem Hobby sprechen. Ganz im Gegenteil: Genossenschaften haben eine professionelle Leitungsstruktur wie bei jedem anderen Unternehmen. Zudem steht jeder Genossenschaft ein Prüfungsverband zur Seite, der Sicherheit vermittelt und gerade auch im Gründungsprozess viel kaufmännisches und juristisches Know-how einbringt.

Es gibt eine ganze Reihe von Gesellschaftsformen, die Projekte im EE-Bereich realisieren. Wo sehen Sie die Chancen einer Genossenschaft?

Zwischen den Gesellschaftsformen gibt es bekanntlich eine Reihe von Unterschieden. Gemeinschaftliche Betreiberformen haben die Besonderheit, dass sie die Menschen in der Nähe der Projekte einbinden. Und in einer Genossenschaft können sie gleichberechtigt zusammenkommen und gemeinsam das Eigentum an den Anlagen erwerben. Das ist übrigens der Grund dafür, dass die Akzeptanz der erneuerbaren Energien in den Regionen gesteigert wird.

Wann empfiehlt es sich denn, eine Energiegenossenschaft zu gründen statt eine andere Gesellschaftsform zu wählen?

Wenn man möglichst viele Menschen in eine demokratische Unternehmensstruktur einbinden möchte, dann ist die Genossenschaft eine geeignete Form. Wenn Sie beispielsweise aber einen großen und mehrere kleine Akteure haben, bei dem der größere entsprechend seiner Beteiligung mehr zu sagen haben möchte, dann scheidet diese Rechtsform aus. Der zweite, viel wichtigere Grund: der Zweck einer Genossenschaft ist die Förderung ihrer Mitglieder. Hier geht es zunächst nicht um eine Dividende, es geht um das Erreichen eines gemeinsamen Ziels der Gemeinschaft. Wenn in dem Geschäftsmodell keine Mitgliederförderung vorgesehen ist, dann muss man eine andere Wahl treffen.

Wo sehen Sie Probleme, denen sich Energiegenossenschaften derzeit gegenüberstehen?

Der Ausbau der erneuerbaren Energien hängt wesentlich von den gesetzlichen Rahmenbedingungen ab, also vor allem vom EEG. Hier wurde mit der Novellierung zum 1. August ein Schnitt vollzogen. Ein Thema sind dabei die Vermarktungs- und Direktlieferungsmodelle vor Ort, die zum Teil auf dem so genannten Grünstromprivileg basieren. Ein anderes ist die Umstellung auf Ausschreibungen. Diese beiden Punkte, die ich mal herausgreife, werden für Energiegenossenschaften eine große Herausforderung sein. So haben wir bei einer Befragung allein in Baden-Württemberg etwa 100 Projekte von Genossenschaften identifiziert, die Strom direkt an einen Abnehmer verkaufen, zum Beispiel an eine Schule. Die Wirtschaftlichkeit dieser Modelle wird nun verringert, weil das solare Grünstromprivileg gestrichen worden ist. Es bleibt allerdings noch abzuwarten, wie stark sich dies auswirken wird. Es ist aber in jedem Fall schade, weil Energiegenossenschaften aus der EEG-Förderlogik herausgegangen und mit lokalen Vertriebskonzepten in den Markt eingetreten sind.

Und wie stehen Sie zu den Ausschreibungen?

Das ist eine grundsätzliche Frage: Wie kann bei solchen Ausschreibungsverfahren überhaupt Chancengleichheit für Energiegenossenschaften und andere kleine und mittlere Akteure bewahrt werden – etwa in Konkurrenz zu großen Projektierungsgesellschaften. Der Gesetzgeber hat eine relativ einfache Sichtweise: das Verfahren sollte möglichst einfach, transparent und ohne große Zugangshürden sein. Das scheint zunächst vernünftig. Fraglich ist aber, ob man mit diesem One-Size-Fits-All-Ansatz am Ende eine Chancengleichheit im Bieterverfahren hat. Wenn etwa ein Unternehmen zehn oder mehr Projekte plant, dann kann man das Risiko besser streuen. Wenn aus einzelnen Projekten nichts wird, werden die Projektierungskosten durch andere mitgetragen. Aber bei einer Energiegenossenschaft, die sich üblicherweise nur ein Projekt vornimmt, bedeutet dies ein durchaus existenzgefährdendes Risiko. Wir haben es also mit ganz unterschiedlichen Startbedingungen zu tun. Deswegen sollte man besser eine Teilmenge des Ausschreibungsvolumens für kleine und mittlere Akteure reservieren.

Aber ist es nicht ein Vorteil der lokalen Akteure, dass sie einen guten Draht in die Kommunen haben, der sich bei den Ausschreibungen auszahlen könnte?

Das ist eine These, die mit Fragezeichen zu versehen ist. Ein guter Draht zur Kommune bedeutet nicht, dass man in einem nationalen Bieterverfahren preislich konkurrieren kann. Und allein die örtliche Nähe ist kein Vorteil an sich – besonders mit Blick auf die jetzt fokussierten PV-Freiflächenanlagen. Hier muss zunächst eine Fläche gesichert werden. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass dabei gerade die Konkurrenten der Bürgerenergieprojekte schneller gewesen sind oder bessere Preise bieten konnten.

Derzeit wird im Zusammenhang mit Energiegenossenschaften über das Kapitalanlagegesetzbuch, das KAGB, gesprochen. Ist hier noch ein Problem?

Das Gesetz hemmt die Aktivitäten der Energiegenossenschaften sehr stark. Ein Großteil der Investitionen wird zurückgehalten, weil das KAGB die Verantwortlichen erheblich verunsichert. Denn vielen Vorständen von Genossenschaften ist nicht klar, ob und wie das Gesetz sie überhaupt betrifft. Sie wissen nicht, ob sie sich bei der nächsten Investition eventuell auf dünnes Eis begeben.

Aber ist nicht klar, dass operativ tätige Genossenschaften vom KAGB nicht betroffen sind?

Aus genossenschaftlicher Perspektive würde ich sagen, dass so ziemlich alle Energiegenossenschaften operativ tätig sind. Das sind gemeinschaftliche Betriebe. Bei dieser Frage kommt aber die BaFin, also die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ins Spiel, die Genossenschaften aus einer anderen Perspektive betrachtet. Das KAGB ist zudem sehr komplex und es gibt viele Auslegungsfragen mit der BaFin zu klären. Ein konkretes Beispiel: Auf einige Voranfragen zur eventuellen Registrierungspflicht haben Genossenschaften die Antwort von der BaFin erhalten, dass sie registrierungspflichtig sind, weil Ihre Satzung die Beteiligung an anderen Unternehmen ermöglicht. Das steht in den allermeisten Satzungen von Genossenschaften, weil – wie bei jedem anderen Unternehmen auch – die Unternehmensbeteiligung zur Unterstützung des Geschäftszwecks hilfreich sein kann. Aus genossenschaftlicher Sicht ist diese Beteiligung eindeutig nur zur Unterstützung des Satzungszwecks erlaubt, so steht es übrigens auch im Genossenschaftsgesetz. Doch aus Sicht der BaFin kann durch die Beteiligung aus der Genossenschaft ein alternativer Investmentfonds werden – obwohl das auch praktisch abwegig ist. Die verunsichernde Frage ist nun, ob ich meine Satzung ändern muss – oder nicht. Daran sind natürlich auch harte Rechtsfolgen geknüpft.

Was können Sie denn dem Vorstand einer Energiegenossenschaft raten?

Er sollte mit seinem Berater beim Genossenschaftsverband sprechen, der eine erste Orientierung geben wird. Gemeinsam kann besprochen werden, ob eine Voranfrage oder Registrierung bei der BaFin nötig und sinnvoll ist.

Die Zahl der Energiegenossenschaften ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Angesichts der Entwicklungen, über die wir gerade gesprochen haben – welche Dynmaik erwarten Sie in den nächsten Jahren?

Es gibt strukturelle Veränderungen. In den letzten zwei Jahren wurden vermehrt Wärmenetze und Bioenergiedörfer gegründet. Das sind bundesweit nun etwa 120 Unternehmen. Bislang dominieren Photovol­taik-Genos- senschaften, die Strom produzieren und einspeisen. Im Wärmebereich gibt es noch ein großes Potenzial. Bei Geschäftsmodellen, die sich allein auf den Betrieb einer Photovoltaikanlage beschränken, wird das neue EEG bremsend wirken. Man muss aber auch sehen, dass jetzt flächendeckend 800 Energiegenossenschaften vor Ort tätig sind. Es kommt hier eher darauf an, was die nächsten Schritte sind bzw. in welche Richtung man sich weiter entwickelt.

Interview: Andreas Witt

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