Im Interview – Harald Drück: Solarthermie bringt Unabhängigkeit

Dr. Harald Drück ist Leiter des Forschungs- und Testzentrums für Solaranlagen am Institut für Thermodynamik und Wärmetechnik (ITW) an der Universität Stuttgart. Für das Deutsche Institut für Normung ist er Obmann für den Bereich Solaranlagen im Normenausschuss für Heiz- und Raumlufttechnik. Zusammen mit Klaus Lambrecht leistete er im vergangenen Jahr Vorarbeiten für eine Norm für Solar-Aktiv-Häuser.

Solarthemen: Wie weit sind die Überlegungen zu einer DIN-Norm für Solar-Aktiv-Häuser gediehen?

Harald Drück: Es handelt sich konkret betrachtet nicht um eine Norm für Solar-Aktiv-Häuser, sondern im ersten Schritt um eine Normstruktur. Dafür gibt es einen Entwurf, der bereits in einem Workshop mit einigen Akteuren der Branche diskutiert wurde.

Wenn man über eine solche Struktur nachdenkt, soll sie auf eine Norm hinauslaufen. Was wäre der Vorteil einer Norm für Solar-Aktiv-Häuser?

Der Vorteil wäre einfach der, dass zum einen die Begrifflichkeiten klar defniert sind, also die Fragen beantwortet werden: Was ist ein Solar-Aktiv- oder Sonnenhaus? Wie kann man die Gebäude im Neubau und im Bestand klassifizieren? Des Weiteren sollten Anforderungen an solche Gebäude gestellt werden – zum einen an die Gebäudehülle, zum anderen an Geräte und Komponenten, die im Gebäude eingesetzt werden, zum Beispiel die Sonnenkollektoren und Wärmespeicher, Lüftungsgeräte und Wärmeverteilsysteme. Der letzte und meiner Meinung nach entscheidendste Aspekt ist der, dass Verfahren für eine energetische Bewertung festgeschrieben werden. Eine solche Bewertung sollte erstens den solaren Deckungsanteil, zweitens die Primärenergieeinsparung und drittens im Hin­blick auf eine ganzheitliche ökologische Betrachtung den kumulierten Energieaufwand für Herstellung und Betrieb eines Gebäudes bzw. die energetische Amortisationszeit umfassen.

Was unterscheidet denn ein Solar-Aktiv-Haus von einem Passsivhaus und dem Effizienzhaus Plus?

Beim Passivhaus versucht man, durch eine möglichst gute Wärmedämmung den Heizwärmebedarf sehr weit zu reduzieren. Beim Solar-Aktiv-Haus – der Name sagt es schon – ist es nicht das Ziel, durch eine gute Wärmedämmung das Minimum des Energiebedarfs zu erreichen. Sondern es soll eine vernünftige, wirtschaftlich darstellbare Dämmung angebracht und dann der Restenergiebedarf ökologisch primär durch die thermische Nutzung der Solarenergie bereitgestellt werden. Wenn wir uns das Effizienzhaus Plus ansehen, lässt sich das Plus im Allgemeinen ja nur realisieren, indem Überschussstrom produziert wird, der ins Netz eingespeist wird. Beispiele für offizielle Effizienz-Plus-Häuser, die ans Wärmenetz angeschlossen sind, und ihr Plus durch eine Einspeisung von Energie ins Wärmenetz bekommen, sind mir gar nicht bekannt.

Nun haben Sie gesagt, beim Effizienzhaus Plus liefere das Haus mehr Energie als es verbraucht. Kann man denn noch mehr wollen, als dass ein Haus mehr liefert als es verbraucht?

Man kann noch mehr wollen. Das ist eine Frage der Betrachtungsweise. Entscheidend ist, welchen Zeitraum man für die Bilanzierung ansetzt. Ein Effizienzhaus Plus liefert über das Jahr betracht mehr Energie als es verbraucht. Das ist schön. Aber andererseits muss man auch die Frage nach dem zeitlichen Verlauf des Energieverbrauchs und der Energielieferung stellen. Wenn man nun ein typisches Konzept für ein Effizienz-Plus-Haus anschaut, dann sind das im Allgemeinen Photovoltaikanlagen für die Stromerzeugung. Die liefern im Sommer viel Strom, wohingegen der Hauptenergiebedarf in Form von elektrischer Energie für die Heizung in den Wintermonaten auftritt – insbesondere wenn das Heizsystem im Effizienzhaus auf Strom basiert, egal ob direkt oder über eine Wärmepumpe. Bei solchen Gebäuden braucht man Energie genau dann, wenn die PV-Anlage relativ geringe Erträge hat. Vor diesem Hintergrund ist es meiner Meinung nach wichtig, dass man einen relativ kurzen Bilanzierungszeitraum wählt, das heißt längstens einen Monat, besser nur eine Woche. Und dann sollte man in diesen kurzen Zeiträumem jeweils ein Plus erzielen. Das heißt also, dass die Energie, die das Gebäude über das Jahr verbraucht, durch das Gebäude bereitgestellt und auch im Gebäude oder auf dem Gebäudegrundstück bzw. in unmittelbarer Nähe des Gebäudes gespeichert wird.

Klingt kompliziert. Ist das realisierbar?

Es mag ein wenig komplizierter klingen. Das ist es oberflächlich betrachtet auch. Aber wir nehmen hier das Gebäude als Systemgrenze. Wenn man sich ein klassisches Effizienzhaus Plus anschaut, das in der Jahresbilanz ein Plus aufweist, dann wird ein großer Teil der Energiespeicherung und -bereitstellung in das öffentliche Stromnetz verlagert – wobei eine Speicherung im Netz nicht wirklich stattfindet. Es wird lediglich Energie eingespeist und wieder entnommen. Und insbesondere der Strom, der im Winter und dann vor allem nachts genutzt wird, kommt dann zum größten Teil aus konventionellen Wärmekraftwerken. Das ist problematisch: Erstens müssen die Kraftwerkskapazitäten vorgehalten werden und zweitens ist die Erzeugung mit Kohlendioxid-Emissionen verbunden. Deshalb ist es meiner Meinung nach auch volkswirtschaftlich wichtig, für die Bilanzierung kurze Zeiträume zu wählen, um ein echtes Plus oder zumindest eine echte Null zu erzielen, damit die Netze und die Kraftwerkskapazität entlastet werden. Nur so kann man unter ganzheitlichen Betrachtungen volkswirtschaftlich einen Nutzen erzielen.

Und wie aufwändig ist es, ein Solar-Aktiv-Haus zu realiseren?

So kompliziert ist es nicht. Was man braucht, ist natürlich mit Blick auf die Wärmeversorgung ein großer Wärmespeicher. Stand der Technik heute sind Warmwasserspeicher. Die haben im Einfamilienhausbereich im Neubau ein Volumen von etwa 5 bis 10 Kubikmetern. Das mag viel klingen, aber 10 Kubikmeter sind ein Würfel mit 2,3 Metern Kantenlänge, also nicht so richtig viel. Damit kann man abhängig vom Dämmstandard und der Kollektorfläche bei einem Einfamilienhaus solare Deckungsanteile von deutlich über 50 Prozent bis 70 oder 80 Prozent problemlos erreichen.

Nun haben Sie die Solarthermie angesprochen. Aber viele Bauherren, die erneuerbare Energien nutzen wollen, scheinen eher eine Photovoltaikanlage plus Wärmepumpe nutzen zu wollen. Dabei hat die Photovoltaik im Gegensatz zur Solarthermie eine deutliche Kostenreduktion geschafft. Macht es da aus Sicht der Bauherren überhaupt Sinn, über Solarthermie nachzudenken?

Was Sie sagen, ist grundsätzlich richtig. Die Kombination von Photovoltaik und Wärmepumpen ist gerade eine Boomtechnologie. Aber man muss sicher überlegen, was die Motivation für einen Investor ist. In der Vergangenheit konnte man mit Photovoltaik Geld verdienen. Doch warum baut jemand ein Einfamilienhaus? Ein ganz entscheidendes Argument ist die Unabhängigkeit von einem Vermieter. Man möchte sein eigenes Haus. Und in diesem Zusammenhang kann es wichtig sein, dass sich diese eigene Entscheidungsfreiheit nicht nur auf das Gebäude, sondern auch auf dessen Energieversorgung bezieht. Wenn ich ein Solar-Aktiv-Haus mit einer großen Solaranlage und einem großen Speicher realisiere, dann ist das ganz klar ein großer Schritt in Richtung Unabhängigkeit – Unabhängigkeit von Preisentwicklungen beim Strom bzw. indirekt auch von fossilen Energieträgern. Und es bringt mir Versorgungssicherheit. Wenn ich dagegen auf das Konzept mit Photovoltaik plus Wärmepumpe setze, dann ist das ein großer Schritt in die Abhängigkeit. Das ganze Konzept funktioniert nur, wenn ich den Überschuss-Strom im Sommer ins Netz einspeise und im Winter wieder entnehmen kann. Da bin ich sowohl im Hinblick auf die Versorgungssicherheit als auch die zukünftige Entwicklung der Strompreise stark von den Energieversorgungsstrukturen abhängig.

Angesichts dessen ist es sicherlich Ihr Ziel, diese Aspekte mit Hilfe einer eigenen Norm für ein Solar-Aktiv-Haus in den Mittelpunkt zu rücken. Aber wäre es nicht sinnvoller, das in eine Norm für alle Gebäude mit den entsprechenden Bilanzierungsverfahren zu integrieren, also auch in die Energieeinsparverordnung?

Grundsätzlich schon. Von daher ist natürlich auch die Frage, ob man diese Norm für Solar-Aktiv-Häuser wirklich braucht oder bis zu welchem Detaillierungsgrad man sie benötigt. Selbstverständlich wäre es sehr viel eleganter, diese energetische Bewertung in die schon bestehenden Normen zu integrieren. In diesem Zusammenhang haben unsere Vorarbeiten für eine Norm für Solar-Aktiv-Häuser auch bereits wichtige Beiträge geleistet, denn wir konnten die offenen Punkte thematisieren und unsere Vorstellungen für weitere Entwicklungen präsentieren. Wichtig ist letztendlich, dass alle maßgeblichen Akteure, die im Bereich energieeffizienter Gebäude und erneuerbarer Energien tätig sind, sich austauschen und gemeinsam zukunftsweisende und tragfähige Lösungen entwickeln.

Welche Chancen für die Integration des Solar-Aktiv-Haus-Gedankens in Normen sehen Sie?

Ich mache schon relativ lange Normungsarbeit. Und die Erkenntnis, die ich dabei gewonnen habe, ist die, dass vieles umsetzbar ist. Allerdings ist es immer eine Frage der Zeiträume. Ich bin durchaus zuversichtlich, dass es irgendwann gelingt.

Klingt aber schon danach, dass man, wenn man die Verbreitung solcher Technologien bzw. Gebäudekonzepte für wichtig erachtet, nicht unbedingt auf eine Norm warten, sondern schon jetzt entsprechend bauen sollte.

Das ist im Zweifelsfall immer das Beste.

Interview: Andreas Witt

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