Im Interview: Dag Schulze fordert Wandel des Energiemarktes

Die Klima-Bündnis-Kommunen fordern ein neues Marktmodell für die Energiewende, das zur Vollversorgung mit erneuerbaren Energien führen soll. Dafür hat eine Arbeitsgruppe erste Ideen und Forderungen erarbeitet. Dr. Dag Schulze als Bereichsleiter Energie beim Klima-Bündnis skizziert im Gespräch mit den Solarthemen, welche strukturellen Änderungen im Energiemarkt erforderlich wären.

Solarthemen: Wir haben in der Energieversorgung eine Struktur, die sich sowohl aus den klassischen Energieversorgungsunternehmen als auch einer wachsenden Zahl von dezentralen Akteuren wie zum Beispiel Bürgerenergiegenossenschaften zusammensetzt. Wie passt das zusammen?

Dag Schulze: Häufig gar nicht. Und in den Kommunen treffen diese beiden Welten aufeinander. Wir stellen häufig fest, wenn wir mit den Menschen reden, die im Energiebereich in den Kommunen arbeiten, dass diese sich in Energiefragen von den Stadtwerken beraten oder auch beeinflussen lassen. Das ist verständlich. Doch die sehen sich meist als reine Versorger. Dabei sind sie durchaus mit Recht stolz auf den Betrieb von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Aber die neue Welt ist die brennstofffreie mit Sonnen- und Windkraftanlagen. Hier braucht man andere Geschäftsmodelle.

Nun will das Klima-Bündnis neue Modelle und Systeme für den Energiemarkt anregen. In welche Richtung kann das gehen?

Wir stellen uns vor, dass es perspektivisch so etwas wie ein Energiedienstleistungsmarkt werden muss. Denn wie sonst bekomme ich es hin, dass es nicht nur um den Verkauf von Kilowattstunden, sondern auch das Einsparen geht. Was gut vorankommt ist die Erzeugung grüner Kilowattstunden. Das haben wir durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz erreicht. Aber was wir kaum hatten ist Einsparung, auch wenn es einige Beispiele etwa für Contracting gibt. Beim Einsparen von Energie hängen wir total hinterher. Und wenn dann die Europäische Union ausgerechnet die Energielieferanten zu Verantwortlichen für Einsparungen machen möchte, ist das eigentlich kontraproduktiv. Wie kann jemand, der vom Verkaufen lebt, einen echten Anreiz haben, Energie einzusparen. Das geht unserer Meinung nach nur, wenn es Dienstleister werden.

Wie soll sich das entwickeln?

Ich komme nicht von heute auf morgen in diese Dienstleistungswelt. Und deshalb ist unsere Idee, die wir auch mit anderen teilen, dass die Stromvertriebe die Einheiten sind, die bereits zwischen Erzeugung und Verbrauch stehen. Die könnten organisieren, wie man beides kostengünstig zusammen bekommt. Und gerade beim vermehrten Einsatz brennstofffreier erneuerbarer Energien, die fluktuierend erzeugen, ist es wichtig, beim Kunden was zu machen, also den Stromverbrauch herunterzufahren, wenn wenig erzeugt wird. Und da sehen wir die Stromvertriebe als diejenigen, die sich perspektivisch zu solchen Energiedienstleistern entwickeln könnten.

Allerdings würden sich viele Energieversorger selbst als Energiedienstleister bezeichnen, die auch bereits BHKW errichten oder ihren Kunden Solarstromanlagen auf die Dächer bauen.

Gerade Stadtwerke haben immer auch noch Energiesparberatung. Und es gibt auch Energiedienstleistungsangebote, häufig für Gewerbe und Industrie. Aber bei den privaten Endkunden geht es meist doch nur um das Verkaufen von Kilowattstunden. Die Rah­menbedingungen müssten sich in der Hinsicht ändern, dass ich einen Kunden länger binden kann. Das wäre ein Punkt. Denn heute können die Energieversorger maximal Zwei-Jahres-Verträge machen. Das ist einerseits nett für den Kunden, weil er leichter wechseln kann. Aber dann können die Versorger keine Einsparinvestitionen beim Kunden vornehmen. Ein sparsamer Kühlschrank amortisiert sich nicht in zwei Jahren. Die Unternehmen müssten schon länger laufende Verträge machen dürfen, um dem Kunden zum Beispiel Geräte mit geringerem Energieverbrauch überlassen zu können. Natürlich kann man über Ablöseregelungen beim Wechsel nachdenken. Aber das ist schwierig. Die Verlängerung von Vertragslaufzeiten wäre eine wichtige Rahmenbedingung, damit dieser Energiedienstleistungsmarkt überhaupt entstehen kann.

Da haben wir dann aber einen Konflikt zwischen den Verbraucher- und den Klimaschützern.

Richtig. Die Diskussion kenne ich und da bin ich auch schön häufiger mit Verbraucherschützern aneinander geraten. Aber ich denke, das ist so ähnlich wie der Kauf eines Hauses. Da binde ich mich auch auf längere Zeit. Natürlich wäre es schlecht, wenn ich aus den Verträgen gar nicht mehr herauskomme. Da müsste man geeignete Ablöseregelungen finden. Aber Verbraucherschützer müssten Energieverbraucher auch so beraten, dass sie das für sie richtige Angebot finden können. Gerade ärmere Haushalte haben nicht unbedingt Geld für sparsame Geräte. Und diese Menschen sind dann von Strompreiserhöhungen besonders stark betroffen. Wenn diesen Gruppen dann nur die Option teurer Kredite offensteht, ist das sicherlich auch keine gute Lösung. Gerade ärmere Haushalte müssten sich an einen Energiedienstleister länger binden, hätten so aber eine Einsparchance. Abgesichert werden müsste dies über Garantien, dass der Strompreis nicht während der Vertragsbindung zu stark steigt. Die Bindung muss einhergehen mit einem garantierten Preis.

Es leuchtet ein, dass bei umfassenderen Dienstleistungen im Bereich der Einsparung längere Vertragsbindungen hilfreich sein könnten. Aber was bedeutet das für die Erzeugung?

Bei steigenden Anteilen fluktuierender Leistung kann man Erzeugung und Verbrauch nicht getrennt voneinander denken. Wir brauchen eine Klammer. Und mir fällt dabei die Energiedienstleistung ein. Der Energiedienstleister müsste sich Gedanken machen, welcher Erzeugungspark ihm zur Verfügung steht. Den muss er an den Verbrauch anpassen. Im Bereich der Heizung ist das ebenso. Da suche ich mir die Heizung, die zu meinem Wärmebedarf passt. Beim Strom war das bislang nicht erforderlich, weil ich da ja das Netz habe. Ich habe einfach Strom entnommen, wann ich wollte. Und das Angebot musste dem folgen. In Zukunft muss man aber beides zusammenbringen: Auf der einen Seite die Nachfrage, die befriedigt werden muss. Auf der anderen Seite müssen sich die Verbraucher aber auch an das fluktuierende Angebot anpassen. Das muss über Anreize und Lastmanagement erfolgen. Ich muss beides gleichzeitig denken und brauche auch Akteure, die das machen.

Sie sehen also Energiedienstleister als Bindeglied zwischen Erzeugung und angepasstem Verbrauch. Dafür braucht man neue Modelle. Heißt das, dass sich diejenigen, die sich für erneuerbare Energien einsetzen, für den Aufbau solcher Energiedienstleister engagieren sollten, zum Beispiel in Energiegenossenschaften, die solche Modelle vorleben könnten?

Das wäre genau ein Weg. Ich würde mir vorstellen, dass Energiedienstleistung ein grober Rahmen wäre, den die gesetzlichen Rahmenbedingungen ermöglichen müssten. So könnte ich mich für eine Energiegenossenschaft entscheiden und mich ihr anschließen. Hier müsste ich mich eventuell sogar noch länger binden. Das wäre eine Möglichkeit. Natürlich müssen sich nicht alle an einer Energiegenossenschaft beteiligen. Aber schon jetzt sehen wir bei den Genossenschaften Ansätze für die neue Welt der Prosumenten, wo Mitglieder Strom von Ge­nossenschaften beziehen, aber auch Strom aus ihren Solarstromanlagen in die Genossenschaft einbringen. Selbst Menschen, die Mieter sind, können sich an Anlagen beteiligen und sich auch einmischen. Das halte ich für sehr sympathisch. Und das ist eventuell sogar für Verbraucherschützer akzeptabel. Denn hier bin ich nicht nur Konsument, sondern beteilige mich aktiv, mache mir etwas zu eigen – ebenso wie bei anderen Invesititionen, mit denen auch eine längere Bindung verbunden ist.

Das Klima-Bündnis ist ein Zusammenschluss von Kommunen. In einigen von diesen Kommunen gibt es Stadtwerke. Was können Sie ihnen mit Blick auf ein neues Marktmodell empfehlen?

Da gibt es bereits sehr gute Modelle. Für mich sind die Stadtwerke Trier und Aachen Vorreiter, die das durchaus schon praktizieren. Die bilanzieren zum Teil schon so, dass Erzeugung und Verbrauch passen. Das wäre genau die Aufgabe: Ich muss dezentrale Erzeuger und Verbraucher aufeinander abstimmen und dieses Modell muss das ganze Jahr über funktionieren. Und von den Stadtwerken Trier weiß ich, dass die das intern schon machen. Doch auch so ein Stadtwerk wird bislang noch durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen etwa daran gehindert, tatsächlich virtuelle Kraftwerke aufzubauen. Da gibt es noch einige Hindernisse und Probleme im Detail. Dennoch leben es einzelne Stadtwerke schon vor, wie man sich zum Energiedienstleister entwickeln kann.

Wo sehen Sie bei den Rahmenbedingungen ein grundsätzliches Hindernis?

Auf europäischer Ebene wurde das Unbundling, also die Trennung von Netzbetrieb und Stromverkauf, eingeführt, um den Wettbewerb zu beleben. Aber man muss fragen, ob sich die Liberalisierung des Strommarktes verträgt mit anderen Zielsetzungen auf europäischer Ebene. Es gibt Richtlinien zur Energieeinsparung. Aber das klappt nicht wirklich. Und möglicherweise liegt es im Strommarkt an der getrennten Struktur. Damit trenne ich Dinge, die in einem ganzheitlichen Energiesystem zusammengehören würden. Eventuell war der Schritt des Unbundling zunächst richtig, um Monopole aufzubrechen. Doch um zu einer brennstofffreien Energieversorgung zu kommen, muss ich die Strukturen wieder weiterentwickeln.

Interview: Andreas Witt

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