Interview – Helmut Lamp (BBE): Bioenergie gewinnt wieder Freunde
Solarthemen: Die Bioenergie steht unter Druck. So hat es ja auch im EEG 2014 starke Beschränkungen gegeben. Wo sehen Sie die Gründe dafür?
Helmut Lamp: Die gezielte Stimmungsmache gegen die Bioenergie startete aus meiner Sicht während der Grünen Woche 2007. Ein Leitmedium bezweifelte unter der Überschrift: „Wie grün ist die Grüne Woche?“ den Nutzen der Biokraftstoffe. Das öffentlichkeitswirksame Thema griffen andere Leitmedien auf, dann auch die regionale Presse. Schnell meldeten sich auch jene zu Wort, die bis dahin eher zögerlich den rasanten Aufstieg der Bioenergie in allen Bereichen begleitet hatten, oft gepaart mit einer diffusen Abneigung gegenüber fortschrittlicher Landwirtschaft. So befeuerten etliche kirchliche und viele Umweltverbände mehr emotional als sachbezogen die inszenierte Auseinandersetzung. Es dauerte nicht lange, da wurde aus Brüssel die Teller-und-Tank-Diskussion angeschoben. Und es scheint ja zunächst auch einleuchtend zu sein: Die Menschheit hungert und wir nutzen hier Felder für Energiepflanzen. So ging die Saat wie beabsichtigt auf, die Bioenergie geriet unter Druck. Hinter den Aktionen standen nicht so sehr unsere direkten Konkurrenten im Energiemarkt, also nicht die Energiekonzerne – die bereits größtenteils selbst in die Bioenergiewirtschaft eingestiegen sind. Wohl aber argumentierte die Lebensmittelindustrie in aller Breite, dass ihre Produkte sich wegen des Anbaus von Bioenergiepflanzen erheblich verteuern würden. Das konnten wir zwar widerlegen, aber viele Verbraucher ließen sich von diesen und ähnlichen Behauptungen blenden.
Hat die Bioenergie also in erster Linie ein Imageproblem?
Nicht alle, aber viele sogenannte Probleme der Bioenergie sind aus meiner Sicht gewollt inszenierte „Phantomprobleme“. Das verdeutlichen zum Beispiel die Fakten zur noch ungelösten Hungerproblematik. 1972 gab es 3,8 Milliarden Menschen. Als ich 1990 in den Bundestag kam, waren es schon 5 Milliarden, heute leben bereits 7 Milliarden auf der Erde. 1972 hungerte jeder vierte Erdenbürger, heute „nur noch“ jeder achte. 1972 war Bioenergie noch völlig bedeutungslos, ebenso 1990, als ich Bundestagsabgeordneter wurde. Der Ernährungsausschuss befasste sich damals mit Butterbergen, Milchseen und Fleischüberschüssen. Auf EG-Ebene wurden die Agrarüberschüsse verschleudert, zum Teil – wenn ich an Südfrüchte denke – direkt vernichtet. Und es wurden allein in Deutschland 2 Millionen Hektar, auf europäischer Ebene fast 6 Millionen Hektar Ackerfläche stillgelegt. Zu gleicher Zeit hungerten in anderen Teilen der Welt die Menschen. Obwohl die Menschheit sich seit 1972 verdoppelte, obwohl wir heute Bioenergie in größerem Umfang nutzen, entspannt sich seit 2009 Jahr für Jahr die weltweite Hungersituation!
Nun beansprucht die Bioenergie immer mehr Flächen, sei es für Kraftstoffe oder weitere Bereiche.
Wir als Bauern wurden ja genötigt, die stillgelegten Flächen dann doch zu nutzen, zunächst mit Raps. Wir mussten aber unterschreiben, dass dieser Raps nicht für Lebensmittelzwecke verwendet wird. Und dies ist noch keine zwei Jahrzehnte her. Seitdem stieg aber die Flächenbeanspruchung.
Welches Potenzial für Bioenergie haben wir überhaupt noch?
Nehmen wir mal die Sparte Biogas, die gerade von der Politik ausgebremst wurde – obwohl die derzeitige Biogasproduktion etwa einem Fünftel der Erdgasimporte aus Russland entspricht. Dieser Beitrag zur Energiesicherung ist vielen gar nicht bewusst. Wir hätten sogar das Potenzial, um 50 Prozent der russischen Erdgasimporte ersetzen zu können. Aber natürlich ist das jährlich nachwachsende Bioenergiepotenzial in Deutschland grundsätzlich schon begrenzt. Doch alles in allem könnten wir sicher deutlich mehr als 20 Prozent des gesamten derzeitigen Energiebedarfs mit heimischer Bioenergie decken. Das wird mittelfristig jedoch nicht ausreichen. Wie wir auch schon längst nicht mehr unseren Bedarf allein aus heimischen Erdgas- und Erdölpotenzialen decken können, werden wir in wenigen Jahrzehnten allein über heimische Biomassepotenziale die steigende Nachfrage nicht mehr bedienen können. Das wird nach dem Abklingen des Fracking-Booms in maximal 10 Jahren sehr deutlich werden – wenn dann der Ölpreis förmlich explodieren wird. Allerdings importieren wir auch heute schon gewisse Mengen Bioenergie, sofern das Marktgeschehen dies als sinnvoll erscheinen lässt. Woher werden wir künftig importieren? Riesige osteuropäische Potenziale warten auf ihre Erschließung. Neben Flächenpotenzialen in anderen osteuropäischen Staaten liegen allein in Russland 22 Millionen Hektar Ackerfläche brach. Das ist ein Riesen-Biomassepotenzial unmittelbar vor der EU-Haustür. Allerdings haben dies auch die Chinesen schon länger erkannt und sich vor zwei Jahren allein in der Ukraine eine Million Hektar gesichert, mit der Option auf drei Millionen Hektar zu erweitern. China beabsichtigt nicht, hier vorrangig Lebensmitteln zu erzeugen – das Land ist größter Gemüseexporteur Asiens – sondern Energiepflanzen anzubauen.
Bioenergie ist ein Alleskönner. Damit kann man Heizen, Strom erzeugen und Autofahren. Würden Sie als Bioenergie-Verband sagen, dass man in einem Bereich Prioritäten setzen sollte?
Die Prioritäten wird der Markt zeigen. Die Chance im Elektrizitätsbereich liegt im flexiblen Angebot, umweltfreundlichen Strom in Ergänzung zur Solar- und Windenergie zu liefern. Im Verkehrsbereich wird in den Städten die Elektromobilität in den kommenden Jahren noch deutlich zulegen, aber nicht im Fernverkehr. Schon gar nicht im Luftverkehr. Die Lufthansa wird nach eigener Aussage in 30 Jahren mit Biosprit oder gar nicht mehr fliegen. Im Wärmebereich wird es Alternativen zur Bioenergie durchaus geben. Sie stellt zwar zur Zeit 90 Prozent der regenerativen Wärme, aber auch Erdwärme und Solarwärme werden hier Zuwächse haben. Auf der anderen Seite gibt es so viel nachwachsende, kostengünstige Wärmeträger vor der Haustür, dass der Wärmebereich ein Schwerpunkt für die Bioenergie bleiben wird.
Nun sind einige Unternehmen im Bioenergiebereich, gerade bei Biogas, in Schwierigkeiten geraten. Braucht man hier eine Rettungsstrategie und wenn ja, welche wäre das?
Es gibt ja einige Signale, die durchaus wieder Mut machen. Ich sehe, dass in der Politik ein gewisses Nachdenken und Umdenken eingesetzt hat. So hat man in Brüssel nach fünf Jahren der Diskussion endlich erkannt, dass das Thema der ILUC-Faktoren wissenschaftlich nicht bewiesen ist. Es sind etliche weitere Unterstellungen im Umlauf, die schlicht als Fakten ausgegeben werden. Es macht Mut, dass die sogenannten „Fakten“ gegen die Bioenergie zunehmend objektiv geprüft werden. Wenn es nun um Rettungsstrategien für Unternehmen geht, ist viel Kreativität gefragt, speziell im Biogasbereich. Und dabei ist für die Unternehmen die Frage entscheidend, wie die EEG-Ausschreibungen gestaltet werden. Das andere ist das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, das novelliert wird. Wir fordern, dass eine Treibhausgas-Komponente im Rahmen des Gesetzes die Förderung besonders klimafreundlicher Wärme sicherstellen muss! Denn Wärme, die aus Erdgas, Öl oder Kohle gewonnen wird, ist immer noch, auch wenn dies in Kraft-Wärme-Kopplung erfolgt, fossile Wärme. Wir fordern für regenerative Wärme im KWK-Gesetz einen Bonus oder eine besondere Vergütung. Wir haben gerade in unserem politisch-wissenschaftlichen Beirat mit uns nahestehenden Bundestagsabgeordneten aller Parteien darüber diskutiert – und trafen auf Verständnis für unsere Forderungen. Offensichtlich ist die besondere Förderung der regenerativen Wärme im KWK-Gesetz bereits ein Thema in den Fraktionen. Und man kann inzwischen in den Fraktionen über Bioenergie wieder sachorientiert diskutieren. Das haben Abgeordnete bestätigt, die noch vor zwei Jahren nach ihrem Eindruck in ihren Fraktionen weg vom Fenster gewesen wären, wenn sie das Thema der Förderung von Biogas dort nur angeschnitten hätten. Da wandelt sich die Stimmung. Und insofern kann ich mir nur wünschen, dass man durchhält, bis es wieder spürbar aufwärts geht. Dazu gehört aber auch, dass die Hürden für die regionale Direktvermarktung von Strom und Wärme geringer werden. Die regionale Vermarktung sollte als eine Alternative gefördert werden. Die Anlagenbetreiber sollten sich aussuchen können, ob sie das KWK-Gesetz, eine Ausschreibung oder regionale Vermarktungswege nutzen.
Die Situation für Unternehmen im Bioenergiebereich ist derzeit nicht optimal. Was kann Ihr Verband tun, um Schwung in diese Branche zu bringen?
Das Wichtigste ist für uns, die Öffentlichkeit aufzuklären. Wir haben z. B. seit fünf Jahren eine Nachhaltigkeitsverordnung für Biokraftstoffe. Kaum jemand weiß, dass dadurch Biokraftstoffe zu Premiumkraftstoffen aufgewertet wurden. Es ist sichergestellt, dass Biotreibstoff nicht von Flächen stammt, die ökologisch sensible Gebiete sind oder es 2009 noch waren. Es gibt weiterhin eine klimabezogene Nachweispflicht über sämtliche Stufen von der Erzeugung bis zum Verkauf. Bei fossilen Kraftstoffen können Sie an der Tankstelle nicht nachvollziehen, woher sie kommen. Aber hinsichtlich des Biotreibstoffs könnten die Verbraucher wissen, dass sie klima- und umweltfreundlichen Treibstoff nutzen – wenn sie hierüber aufgeklärt würden. Hierbei ist insbesondere die Politik gefordert, die mit der Verordnung ein hervorragendes Instrument geschaffen hat. Aber auch wir Verbände sollten neue Wege suchen, um Öffentlichkeit und Medien über Möglichkeiten und Vorzüge der Bioenergie zu informieren.
Interview: Andreas Witt
Foto: BBE