Windkraft boomt vor stürmischen Zeiten

Foto: Guido Bröer
Solarthemen 453. Die Windkraft erlebt derzeit in Deutschland einen Rekordausbau. Doch die Branche ist verunsichert ob der politischen Aussichten. Die Frage, welcher regenerative Energieträger hierzulande derzeit den besten Lauf hat, ist längst keine mehr: Es ist die Windenergie. Wenn es eine offene Frage gibt, dann die, ob der Windkraftausbau an Land und auf See zusammen in diesem Jahr erstmals die 6000-Megawatt-Marke knackt. Mit gut 5800 MW wurde diese Zubauleistung 2014 nur knapp verfehlt.

Nach den im Juli vorgelegten Zubauzahlen für die ersten sechs Monate gilt in Branchenkreisen ein erneuter Zubau zwischen 5000 und 6000 MW allemal als sicher. Was nicht schlecht ist, aber ein bisschen mehr kann es immer sein. Die Abschätzung ist wie folgt begründet: Dass in Nord- und Ostsee Dutzende Windturbinen, denen monatelang der Netzanschluss fehlte, endlich in Betrieb gingen, bescherte der Offshore-Windbranche im ersten Halbjahr mit 1766 MW einen bislang noch nicht gekannten Zuwachs. Da die Planungen für die aktuellen Hochsee-Windparks in Nord- und Ostsee en détail bekannt sind, ist absehbar, dass das Zuwachsplus auf See im laufenden Jahr auf rund 2250 MW wächst. Weniger genau lässt sich dagegen die Entwicklung an Land absehen. Hatten sich die Windenergieverbände im letzten Jahr über einen Rekordausbau von 4750 MW freuen können, so mussten der Bundesverband Windenergie und der VDMA Power Systems Ende Juli schwächelnde Zahlen für das erste Halbjahr 2015 präsentieren. Mit einer neu installierten Netto-Leistung von 1093 MW lag der Windkraftausbau an Land um rund 34 Prozent unter dem Vergleichswert des Vorjahreszeitraums. „Wir hatten ein teilweise stürmisches Frühjahr gehabt, was den Bau mancher Windparks verzögert hat“, versuchte BWE-Präsident Hermann Albers den Rückgang zu erklären. „Außerdem haben wir im vergangenen Rekordjahr viele Vorzieheffekte beim Bau von Windparks gesehen, was sich nun bei den Halbjahreszahlen zeigt.“ Trotz der Delle sieht Matthias Zelinger, Geschäftsführer von VDMA Power Systems, keinen Grund zur Panik: „Die 1093 Megawatt bedeuten die zweithöchste Zubauleistung in einem ersten Halbjahr, die wir bislang beim Ausbau der Windenergie erlebt haben.“ Der VDMA-Mann erwartet bis Jahresende eine „rasante Aufholjagd“. Denn BWE und VDMA haben ihre Ausbauprognose im Vergleich zu Beginn des Jahres auf einen Korridor zwischen 4000 bis 4500 MW erhöht. Viel Arbeit bis Silvester Ein ambitioniertes Unterfangen: In der Regel gingen in der Vergangenheit über das Gesamtjahr gesehen ein Drittel der neuen Windturbinen während der ersten sechs Monate in Betrieb, das Gros mit zwei Dritteln folgte stets im zweiten Halbjahr. Wenn Albers und Zelinger mit ihrer Vorausschau Recht behalten wollen, müssten im Zeitraum Juli bis Dezember rund 3000 MW, also drei Viertel der Neubauleistung, ans Netz gehen – einen solchen Wind-Rush in einem zweiten Halbjahr hat es bislang noch nicht gegeben. Selbst wenn wirklich mehr als 6000 MW Wind-Leistung an Land und auf See in diesem Jahr in Betrieb gehen, ist damit nicht gesagt, dass der weitere Ausbau auf diesem Niveau ein Selbstläufer ist. Es gibt manch warnendes Zeichen an der Wand, was eine kleine Auswahl zeigt: In Brandenburg stellen die regierenden Sozialdemokraten ihre bislang offensive Windkraft-Position auf den Prüfstand. In Bayern hebelt die CSU-Staatsregierung mit der rigiden 10-H-Abstandsregelung den Bau weiterer Windturbinen aus. In Rheinland-Pfalz bekommt die Landesregierung in Mainz Post von der Weltkulturorganisation Unesco mit dem unmissverständlichen Hinweis, dass Windturbinen nicht zum Welterbe-Status des oberen Mittelrheintals passen. Anlass für den ungewöhnlichen Vorstoß der Unesco ist ein Flächennutzungsplan der Verbandsgemeinde Loreley, der den Bau mehrerer Windkraftanlagen in der sogenannten Pufferzone der Welterbe-Region vorsieht. Und nicht zu vergessen: Lokale Bürgerinitiativen, die den Bau einzelner Windparks verhindern wollen, hatten in den vergangenen Monaten überall in Deutschland einen Zulauf wie lange nicht mehr. BWE-Präsident Albers sieht solche Entwicklungen mit Sorge. Zumal sie in eine Zeit fallen, in der sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für neue Windkraftprojekte verschlechtern. Absehbar ist, dass im nächsten Jahr die Vergütung je Quartal um 1,2 Prozent fällt. Diesen Abschlag hat die Bundesregierung in der letztjährigen EEG-Novelle festgeschrieben für den Fall, dass der jährliche Ausbaukorridor von 2500 MW deutlich überschritten wird. „Bei der vorliegenden Ausbaudynamik können sich Betreiber auch für 2017 neben der üblichen Degression auf den zusätzlichen Abschlag einstellen“, erklärt Albers. Parallel dazu steigen die Zinsen für die Kredite, die für die Finanzierung von Windparks unverzichtbar sind. „Vor allem die niedrigen Zinsen haben in den zurückliegenden Monaten geholfen, dass sich manches Projekt überhaupt noch gerechnet hat“, spricht Albers von einer „Zinswende“. Dass die Zinsen in der Tat steigen, bestätigt Peter Schäfer: „Die Zinsen unter den relevanten KfW-Programmen sind in den letzten Monaten hoch gegangen. Sie liegen rund 0,5 Prozent höher als am Jahresanfang.“ Schäfer leitet die Windenergie-Abteilung bei der KfW IPEX-Bank. Noch ein weiterer Passus im neuen EEG bereitet BWE-Präsident Albers Sorgen: Der neue Paragraf 24 legt fest, dass die Windkraftbetreiber mit Beginn des kommenden Jahres bei negativen Börsenstrompreisen von mehr als sechs Stunden keine Vergütung erhalten. „Das ist eine Regelung, die die Einnahmen für die Betreiber unkalkulierbar macht und somit die Verhandlungen mit den Banken bei der Finanzierung neuer Windparks erschwert“, kritisiert Albers. Gegenwind nimmt zu Der (wirtschaftliche) Gegenwind für neue Windturbinen wird rauer. Erste Konsequenzen sind nach Einschätzung Albers bereits zu erkennen: Die Repowering-Quote sinkt, d.h. der Austausch älterer gegen moderne, effizientere Windmühlen unterbleibt: „Für viele Windmüller ist es finanziell lukrativer, ihre Altanlagen so lange wie möglich laufen zu lassen anstatt in neue Windturbinen zu investieren“, so Albers. Was den nationalen Klimazielen zuwiderläuft: In ihren Projektionen bis 2035 setzt die Bundesregierung im Windsektor zunehmend auf das Repowering – wie es aussieht, erschwert Schwarz-Rot derzeit mit eigenen Maßnahmen diesen Erneuerungsprozess. Über dem weiteren Windkraftausbau schwebt wie ein Damoklesschwert der Wechsel von der bewährten garantierten EEG-Einspeisevergütung hin zu einem Ausschreibungsverfahren. Dass der Übergang reibungslos funktioniert, daran hat Verbandschef Albers seine Zweifel: „Wir haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass wir kein Freund der Ausschreibungen sind.“ Das vom Bundeswirtschaftsministerium Ende Juli vorgelegte Eckpunktepapier für das künftige Ausschreibungsregime hat die Kritiker nicht verstummen lassen. Auch im Offshore-Windsektor sind die Protagonisten unzufrieden mit den Vorschlägen aus Berlin: „Das Wirtschaftsministerium orientiert sich an dem Förderregime in Dänemark, was eindeutig nicht unser Modell ist, da es zu wenig Wettbewerb um die einzelnen Projekte zulässt“, sagt Ronny Meyer von Industrie-Netzwerk WAB. Meyer, der zum 1. September als Staatsrat (vergleichbar mit dem Amt eines Staatssekretärs) zum Bremer Umweltsenator wechselt, sieht noch einen Nachteil: „Mit den Ausschreibungen lässt sich der weitere Ausbau ganz gezielt steuern.“ Das heißt: Vorerst sind der Offshore-Windbranche die Hände gebunden, den Ausbaudeckel bis 2030 zu kippen, der in ihren Augen die Dynamik bei der weiteren Windkraftnutzung auf See bremst. Noch hat die Windenergie den besten Lauf unter allen regenerativen Energieträgern hierzulande. Die Frage ist, wie lange noch. Text: Ralf Köpke Foto: Guido Bröer

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