Clemens Hoffmann im Interview: Energiewende bringt Rendite

Prof. Dr. Clemens Hoffmann (Institutsleiter, Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik IWES )
Solarthemen 456. Prof. Dr. Clemens Hoffmann leitet den Institutsteil Energiesystemtechnik des Fraunhofer IWES in Kassel. Gemeinsam mit fünf Mitarbeitern des Instituts hat er die Studie „Geschäftsmodell Energiewende“ ausgearbeitet, die ausdrücklich als Antwort auf das „Die-Kosten-der-Energiewende-Argument“ gedacht ist. Die Studie basiert im Wesentlichen auf der These, dass die Energiewende ein risikoarmes Investitionsvorhaben mit positiver Gewinnerwartung darstellt.

Solarthemen: Die energiepolitische Debatte wird seit einiger Zeit durch die Kosten der Energiewende beherrscht – und vermutlich auch gelähmt. Wie wollen Sie das Kostenargument entkräften?

Clemens Hoffmann: Wir sind mit Photovoltaik und Windenergie bei unter 9 Cent/kWh angekommen und befinden uns damit in der Nähe einer Wirtschaftlichkeit, die das EEG überflüssig macht. Trotzdem wird immer wieder behauptet, dass die Kosten der Energiewende explodieren. Das ist aber völliger Nonsens. Im Gegenteil: Wir können beweisen, dass es mit dem wirtschaftspolitischen Know-how, das wir in Deutschland haben, ohne weiteres möglich ist, die Kosten in einer von uns festgelegten Bandbreite zu führen. Wir müssen dabei auf die Bilanzierung des Gesamtgeschäfts mit Kosten und Erlösen achten. Es handelt sich bei der Energiewende um die Einführung kapitalkostenintensiver Technologien, und die Investitionen sind entsprechend hoch. Diesen stellen wir die sukzessive zurückgehenden Ausgaben für fossile Brennstoffe gegenüber. Dann ist die Finanzierbarkeit der Energiewende auch unter sehr konservativen Annahmen möglich – also auch dann, wenn wir steigende Brennstoffpreise und CO2-Schadenskosten vernachlässigen.

Sie wollen die Energiewende als risikoarmes Investitionsvorhaben mit positiver Gewinnerwartung durchführen. Unter welcher Voraussetzung kann das gelingen?

Die Investition ist risikoarm, weil wir uns selber absichern. Denn wir investieren in eine Infrastruktur, die wir selbst betreiben und nutzen. Und wir setzen unsere eigene Arbeitskraft dafür ein. Deshalb ist das Risiko gering.

Reicht das schon aus, um damit eine nachhaltige Rendite zu erzielen?

Ja, denn wir erzielen ja nicht nur einen konjunkturellen Stimulationseffekt, der aus unserer Sicht genau berechenbar ist, sondern wir sparen die Primärenergie ein, die für unsere Volkswirtschaft hohe Importkosten verursacht. Auf der Basis heutiger Rohstoffpreise können wir schließlich mit einer Einsparung von 90 Milliarden Euro rechnen. Aus diesen beiden Effekten haben wir eine positive Rendite ermittelt.

Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung Deutschlands ist bereits drastisch angestiegen. Wann wird sich das spürbar auf den Import von Energieträgern und damit auf die Kosten auswirken?

Bisher noch nicht nennenswert, denn in den genannten 90 Milliarden Euro besteht der Löwenanteil nicht aus den Energieträgern für die Stromerzeugung, nämlich Kohle, sondern aus den Energieträgern für Mobilität und Wärme, und das sind im Wesentlichen Öl und Gas. Solange wir nur den Stromsektor umbauen, erreichen wir keine starke Kostenreduktion, sondern wir sehen zunächst sogar einen leichten Anstieg, weil bei abgeschriebenen fossilen Kraftwerken die erneuerbare Stromerzeugung zusätzlich die Kapitalkosten zu schultern hat. Wir müssen unseren gesamten Energiesektor erneuerbar und CO2-frei gestalten und deshalb die Mobilität und die Wärme einbeziehen. Beide haben aber bisher noch keinen unmittelbaren Bezug zum Stromsektor. Deshalb brauchen wir Koppelprodukte, die sowohl Mobilität und Strom als auch Wärme und Strom verknüpfen. Erst dann werden die Importe der teuren Energierohstoffe, Öl und Gas, spürbar zurückgehen, und erst dann wird der Kunde in seinem Portemonnaie eine Verringerung der gesamten Energiekosten feststellen.

Müssen wir also die vollständige Elektrifizierung der Mobilität und der Wärme ins Auge fassen?

Das ist der entscheidende Punkt. Es funktioniert nur, wenn wir eine weitgehende Elektrifizierung aller Energieverbrauchssektoren in den Griff bekommen. Denn mit der erneuerbaren Stromerzeugung haben wir eine Erzeugungsform, die sich dadurch auszeichnet, dass die Erzeugungsleistung nicht mehr der Verbrauchsleistung folgt. Bei der installierten Leistung, die zur Deckung der insgesamt erforderlichen Energiemenge benötigt wird, bewegt sich die Erzeugung oftmals weit oberhalb der Leistungsforderung der bisherigen elektrischen Verbraucher. Wir müssen deshalb damit beginnen, durch Elektrifizierung der bisher fossil betriebenen Sektoren Wärme und Verkehr den größten Teil dieser Überschussleistung der Erneuerbaren mitzunehmen.

Sie wollen die Energiewende als industriell-politisches Großprojekt nach Maßstäben modernen Projektmanagements durchführen. Also mehr Planung, weniger Debatte?

Mich ärgert, dass vieles von dem, was hier sehr ernst zu behandeln ist, in Debatten mit manchmal viel Unkenntnis zerredet wird. Wenn man ein Programm wie die Mondlandung einer politischen Debatte unterstellt hätte, und zwar in allen Ausführungsbestandteilen, dann wäre die Mondlandung nie gelungen. Statt zu sagen: „Lande mal auf dem Mond!“ müsste es heute heißen: „Lande mal auf der Erde, damit sie bewohnbar bleibt!“ Auf der anderen Seite ist die Energiewende in Deutschland aber vor allem auch ein Demokratieprojekt. Wir erleben die Beteiligung der Bürger an einer essenziellen Infrastruktur. Das bedeutet, dass wir keine „NASA für die Energiewende“ mit der Durchführung dieses Großprojektes betrauen können. Damit würden wir wieder bei den Energiemonopolen landen. Was wir stattdessen erreichen müssen, ist eine zunehmende Konvergenz bei der weiteren Vorgehensweise unter Wahrung des hohen Gutes der Bürgerbeteiligung. Diese Konvergenz sollte nicht erzwungen, sondern im Konsens aller Beteiligten erreicht werden.

Wie wollen Sie denn diesen Konsens herstellen?

Es kommt zunächst auf den Konsens bei der grundlegenden Prämisse an. Diese Prämisse ist die Dekarbonisierung der Energieerzeugung. Darüber haben wir immer noch keinen eindeutigen gesellschaftlichen und politischen Konsens. Das Ziel der Bundesregierung ist zwar die Steigerung des Anteils der erneuerbaren Energien auf 80 Prozent bis 2050. Klimapolitisch relevant ist aber nur, wenn wir weltweit eine 100-prozentige Dekarbonisierung der Energieerzeugung erreichen. Auf der wissenschaftlichen Ebene ist dieser Konsens erreicht. Diejenigen, die 100-Prozent-Szenarien rechnen, sind sich weitestgehend einig. Das prüfen wir sehr genau. Andere Institute, wie beispielsweise das Fraunhofer ISE, die Universität Oldenburg, die Universität München oder die Forschungsabteilung der Firma Siemens kennen die Zahlen genauso gut wie wir.

Trotzdem sind die politischen Widerstände erheblich.

Bei der Energiewende verschieben sich die Eigentumsverhältnisse an der Energieerzeugung. Beim Projekt Mondlandung gab es keine konkurrierenden Eigentumsverhältnisse. Diese Umschichtungen der Energiewende verursachen die heftigen politischen Debatten. Wir können von wissenschaftlicher Seite also einen vernünftigen Plan vorlegen, aber es gibt viele Akteure, die davon betroffen sind, darunter auch solche, die etwas zu verlieren haben. Deshalb muss es Teil des Planes sein, dass man auch die vermeintlich negativen Effekte in heilsame Veränderungsprozesse überführt

Bewegen wir uns dann eher in Richtung Marktwirtschaft oder Planwirtschaft?

Der Markt sorgt für Preisbildung und für den Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage. Er führt aber keine Randbedingungen zur Berücksichtigung externer Wirkungen ein. Das ist die Aufgabe des Gesetzgebers. Unter diesen Randbedingungen können die Marktkräfte wirksam werden. Erfinderische Kraft entfaltet sich im Wechselspiel zwischen Freiheit und Grenzen. Planwirtschaft dagegen bedeutet, jedem einzelnen Spieler im Markt etwas genau vorzuschreiben. Deshalb kann man nicht von Planwirtschaft sprechen, wenn vernünftige Randbedingungen gesetzt werden.

Aber es bleibt immer noch ein Spielraum. Man kann ja dem Markt nicht vorschreiben, wie viel Megawatt jährlich installiert werden sollen.

Doch, genau das kann geplant werden! Wir können zum Beispiel entscheiden, jährlich konstant 40 Milliarden Euro einzusetzen und dadurch eine Randbedingung für die Investitionshöhe festlegen. Verknüpft mit den Lernkurven für die Technologieentwicklung ergeben sich dann die Leistungen, die installiert werden können. Oder man kann umgekehrt vorgehen und den Zubau der Leistung festlegen. Daraus ergibt sich dann eine über die Jahre wahrscheinlich abnehmende Höhe der Investitionen pro Jahr. Auf der Basis dieser dann weitgehend festgelegten Entwicklung kann man gut einschätzen, bei welchen Haltepunkten man in die Infrastruktur eingreifen muss – zum Beispiel wenn die Tragfähigkeit der Verteilnetze an ihre Grenzen stößt. Im Rahmen der energiepolitischen und volkswirtschaftlichen Planung haben wir sinnvolle Zubauraten berechnet. Zum Beispiel, dass der jährliche PV-Zubau mindestens 7 Gigawatt erreichen soll, damit wir in 25 Jahren damit fertig sind. Das würde Investitionssicherheit schaffen. Um diese Zubaurate herum könnten wir alle Randbedingungen gruppieren, und die Tarifmodelle würden sich dann an diese Vorgaben anpassen.

Interview: Detlef Koenemann

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