Photovoltaik: Aus Evolution wird Revolution

Hamburg, 14-17 September 2015, 23rd European Biomass Conference and Exhibition
Solarthemen 456.Wirkungsgradrekorde der Zellforscher setzten natürlich auch bei der 31. Ausgabe der europäischen Photovoltaikkonferenz PVSEC wieder Highlights. Wichtiger als solche Rekordzahlen ist allerdings, welche der neuen Technologien die Stromerzeugungskosten sen­ken und die Anwendungsmöglichkeiten der Pho­tovoltaik erweitern.

1300 Beiträge wurden in diesem Jahr auf der jährlichen Mammut-Konferenz der internationalen PV-Forschergemeinde in Hamburg präsentiert. Jeder von ihnen steht für einen mehr oder weniger bedeutenden Erkenntnisfortschritt in Sachen Photovoltaik-Technologie. Manches wird künftigen Anwendern in der Industrie im Rennen um höhere Wirkungsgrade bei sinkenden Stromerzeugungskosten einen messbaren Vorteil bringen, anderes wird sich als technische Sackgasse erweisen und schnell in Vergessenheit geraten. Trial and Error, die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, gehört von jeher zum Wesen von Wissenschaft – und die Vielfalt von Möglichkeiten, an denen geforscht werden kann, gilt als eine Voraussetzung ihres Erfolgs. Genau um diese Vielfalt machen sich Deutschlands und Europas Solarforscher zunehmend Sorgen. „Für uns in der Photovoltaikforschung ist der wichtigste Punkt, dass wir die Breite nicht verlieren“, sagt Rolf Brendel, Leiter des Instituts für Solarenergieforschung Hameln (ISFH). Forschung ohne Industrie? Hintergrund dieser Sorge ist der weitgehende Zusammenbruch der europäischen PV-Industrie beziehungsweise ihre Verlagerung nach Ostasien. Bei einem Weltmarkt, der sich in den nächsten Jahren Richtung 50 Gigawatt bewegt, verfügt Europa zwar aktuell nach Schätzung von Milan Nitzschke, Kommunikations­chef des größten hiesigen PV-Produzenten SolarWorld, immerhin noch über eine Produktion von 6 Gigawatt an Modulen. Europas Produktion an Zellen betrage allerdings nur noch 1,5 Gigawatt, so Nitzschke. Und wo immer weniger produziert werde, da gestalte es sich auch zunehmend schwierig, eine vitale Forschungslandschaft zu pflegen, berichtet Eicke Weber, Leiter des weitaus größten PV-Forschungsinstituts, des Fraunhofer ISE in Freiburg. „Die öffentliche Unterstützung ist OK“, sagt Weber. „Aber wir müssen ein Drittel unseres Einkommens aus Industrieaufträgen verdienen. Wir mussten bereits einiges an Kapazitäten in andere Bereiche verlagern, weil die Photovoltaik-Industrie in Deutschland nicht mehr existiert.“ Stefan Rinck, Chairman der diesjährigen PVSEC, gibt Weber Schützenhilfe: „Die Situation ist aktuell noch OK. Aber wie lange können wir mit diesem Zustand noch leben? Wir haben nur noch einen großen Hersteller in Europa.“ Rinck selbst ist Vorstandschef des deutschen PV-Equipment-Herstellers Singulus und repräsentiert damit denjenigen Teil der deutschen und europäischen PV-Industrie, der am Weltmarkt nach wie vor dominiert: den Maschinen- und Anlagenbau. Zwar backen auch die Equipment-Hersteller aktuell eher kleine Brötchen, aber nach einer mehrjährigen Durststrecke spüren sie mittlerweile leichten Aufwind für ihr exportgeprägtes Geschäft (vgl. Solarthemen 455). Für die kommenden zwei Jahre rechnen diese Unternehmen mit steilen Wachstumsraten. Geschrumpfte Messe Gleichwohl war die kongressbegleitende Messe in diesem Jahr nur noch ein Schatten ihrer selbst. Nirgends wird dies deutlicher als in Hamburg, wo der Expo-Teil dieser durch Europa tingelnden Kongressmesse in den Boomjahren 2009 und 2011 die Hälfte des riesigen Hamburger Messegeländes füllte und sich damals sogar ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Intersolar in München lieferte. 2015 reichte nunmehr für die gesamte Ausstellung eine kleine Nebenhalle des Kongresszentrums vollkommen aus. Doch die Aussteller, meist aus dem Maschinen- und Anlagenbau – waren nicht unzufrieden. Der Aufschwung war zu spüren, und kleinere Stände ermöglichten den Vertriebs­leuten die Konzentration aufs Wesentliche. Alle Aussteller, die man fragte, freuen sich allerdings auf das kommende Jahr, wenn sich die Intersolar Europe als weltgrößte Messe und die PVSEC als führende Konferenz in München zeitgleich zusammentun. Eine Ehe auf Probe solle das zunächst werden, betonen Intersolar-Leiter Horst Duffner von der Solar Promotion und Jürgen Backof vom PVSEC-Veranstalter WIP unisono. Das Paar hat offenbar Gütertrennung vereinbart – WIP veranstaltet weiter die wissenschaftliche Konferenz, Solar Promotion und Messe Freiburg organisieren die Intersolar. Anders als in den Hamburger Konferenzräumen, wo das ganze Spektrum der Photovoltaik-Technologien zum Thema wird – vom Wafer bis zur Systemtechnik, von diversen Dünnschicht-Techniken über kristallines Silizium bis zur konzentrierenden PV – dominiert in der Messehalle nebenan das Equipment zur Umstellung der Silizium-Zellfertigung auf den aktuellen PERC-Prozess. Mit der entsprechenden Nachrüstung bestehender Linien werden aktuell die Umsätze gemacht. Starke Trends Ralf Preu, Leiter der Abteilung Photovoltaik-Produktionstechnologie am Fraunhofer ISE, geht zwar davon aus, dass die PERC-Technologie in den näch­sten 5 Jahren große Marktanteile erreichen wird. Ein Selbstläufer sei sie allerdings noch nicht: „Für PERC kommt jetzt erst die Nagelprobe.“ Die großen Hersteller rüsteten zumeist erst eine ihrer großen Produktionslinien um, beobachtet Preu. Schließlich gehe es hier nicht um plug and play, sondern es erfordere viel Feintuning, um die neuartige Rückseitenbehandlung an den eigenen Zellprozess zu adaptieren. Für Jef Poortmans, den Leiter des belgischen Forschungsinstituts IMEC, sind neben PERC die beiden weiteren Megatrends der nächsten fünf Jahre n-dotierte Zellen, die die lichtinduzierte Degradation verringern sollen, und bifaciale Zellen, die vor allem in Glas-Glas-Modulen zusätzlich über ihre Rückseite mehr Strom bei gleicher Nominalleistung gewinnen sollen: „Die Leute reden heute noch zu viel über Wattpeak. Was wirklich wichtig ist, sind die Kilowattstunden“, sagt Poortmans. Auch Rolf Brendel vom ISFH kommentiert: „Das Wettrennen um die höchste Wattzahl pro Modul sollte man nicht überbewerten.“ Nicht zu unterschätzen sei allerdings das tägliche Ringen der Forscher und Entwickler um scheinbar winzige Beiträge zu höheren Wirkungsgraden und Stromerträgen: „Schon kleine Unterschiede machen, multipliziert mit der Größe des heutigen Weltmarktes, sehr viel mehr aus als früher. Am Ende machen viele kleine Veränderungen auch eine Revolution.“ Text: Guido Bröer

Beliebte Artikel

Schließen