Interview: Andreas Kuhlmann (dena) – Sektorkopplung erleichtern!

Andreas Kuhlmann , Vorsitzender der GeschaeftsfŸhrung der Deutschen Energie-Agentur GmbH dena in Berlin am 29.06.2015 . Wirtschaft Portrait Portraet PortrŠt . [ copyright by: Marc-Steffen Unger Tel: 01715353875 ] [#0,26,121#]
Solarthemen 467. Seit dem 1. Juli 2015 ist Andreas Kuhlmann Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur (dena). Zuvor leitete er den Geschäftsbereich Strategie und Politik beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Ein besonderes Anliegen ist ihm die Sektorkopplung. Wir sprachen mit ihm über anstehende Herausforderungen in der Energiepolitik.
Andreas Kuhlmann

Solarthemen: Energiepolitik wird derzeit auf vielen Feldern gleichzeitig betrieben: Das birgt die Gefahr, sich zu verzetteln, oder die Chance, konsistente Lösungen zu finden. Wie stellt sich die Situation aus Ihrer Sicht dar?

Andreas Kuhlmann: Es ist sicher nicht leicht, in so einer Situation das Ganze im Blick zu behalten. Manchmal wäre es gut, auch mal einen Schritt zur Seite zu gehen und zu schauen, ob die einzelnen Stränge wirklich in die gleiche Richtung laufen. Eine berechtigte Sorge also. Allerdings sind das alles Themen, die gegenwärtig im Gesetzgebungsverfahren sind, über die Politiker und die Akteure schon lange nachgedacht und gestritten haben.

Sie sagen, man denke schon sehr lange nach. Aber etwa beim Wärmemarkt wird schon seit 15 Jahren vom schlafenden Riesen geredet, ohne dass man ihn wirklich aus dem Schlummer reißt.

Tatsächlich gibt es hier keine starke Entwicklung. Aber ich sehe schon eine Veränderung etwa im Vergleich zur vorangegangenen Legislaturperiode. Energieeffizienz ist heute nicht mehr die langweilige Schwester der erneuerbaren Energien. Ich habe das Gefühl, dass dieser Bereich zunehmend als Innovationstreiber wahrgenommen wird. Es gibt viele Unternehmen, die spannende Innovationen entwickeln, um im Wärmebereich erneu­erbare Energien einzubringen. Die Rahmenbedingungen sind allerdings nicht günstig: niedrige Ölpreise, niedrige Zinsen und weitere Faktoren – aber das wird sich auch wieder ändern.

Der Begriff der Sektorkopplung wird populär, also die Verzahnung des Stromsektors mit Wärme und Verkehr. Aber sehen Sie hier tatsächlich schon Ansatzpunkte im politischen Bereich?

Es ist dringlich, dass wir uns um die Sektorkopplung kümmern. Energiewende als Ganzes wird nur erfolgreich sein, wenn wir in allen Sektoren möglichst weitgehend mit erneuerbaren Energien vorankommen. Aber: Sektorkopplung heißt eben auch, andere Märkte und Infrastruktur zu berücksichtigen. Erdgas wird hier eine wichtige Rolle spielen. Momentan stockt das an vielen Stellen und deswegen ist es gut und wichtig, dass über Sektorkopplung nachgedacht wird. Aktuell haben wir folgendes Problem: Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien kommen wir wohl schneller voran, mit dem Netzausbau aber langsamer, als wir gedacht haben. Das steigert die Netzengpasskosten dramatisch. Auch das ist eine Antriebsfeder, sich über Sektorkopplung Gedanken zu machen.

Erneuerbare-Energien-Anlagen, speziell Windkraftwerke, werden zunehmend abgeregelt. Wäre es nicht besser, den Strom zu nutzen, zum Beispiel in Power-to-Gas-Anlagen? Oder droht dann die Gefahr von stranded investments beim Ausbau des Stromnetzes?

Das ist eine spannende Debatte. Nichtsdestotrotz glaube ich, ohne Technologien wie Power to Gas, die die Sektoren koppeln, wird es am Ende nicht gelingen. Wir haben noch gar nicht die richtige Vorstellung, was es am Ende bedeutet, wenn wir 80 bis 95 Prozent aller Treibhausgasemissionen in Deutschland einsparen wollen. Wir denken viel zu stark auf den Strommarkt gerichtet. Daran richten wir aktuell auch die Ausbaukorridore aus. Aber die gesamte Aufgabe ist sehr viel größer. Und wenn wir dann nicht über Technologien wie Power to Gas in die Sektoren hineinwirken, wird das schwierig. Allerdings gibt es sehr viele spannende Ansätze. Gerade war ich bei der Einweihung eines Power-to-Gas-Verfahrens von Viessmann in Kooperation mit Audi. Es gibt technologisch sehr interessante Entwicklungen. Leider begünstigen die Rah­menbedingungen derzeit nicht unbedingt die Wirtschaftlichkeit. Da ist die Politik gefordert.

Mit Blick auf die Kopplung von Strom- und Wärmemarkt scheinen die rechtlichen Strukturen nicht optimal zu sein. Wie lässt sich das ändern?

Beharrlich darüber reden, weiterentwickeln und forschen. Es gibt noch zu wenige Studien darüber, was Sektorkopplung wirklich bedeutet. Man muss unterschiedliche Rechtssysteme zusammenbringen – für Strom, Verkehr und Wärme. Es sind auch unterschiedliche Märkte. Man kann auch mit Power to X Flüssigkeiten erzeugen, die man irgendwo einsetzen kann. Aber gibt es den entsprechenden Markt schon dafür? Und was muss man hier zum Beispiel bezüglich der Infrastruktur wiederum berücksichtigen? Es gibt sehr viele Fragen und hier stehen wir – dummerweise – noch am Anfang. Aber die Regelung, dass eine Power-to-Gas-Anlage als Letztverbraucher eingestuft wird, ist auf jeden Fall hinderlich. Wenn die Politik den Umsetzern sagt, sie wollten nur Subventionen, dann kann ich dem nur entgegnen, dass es nicht darum geht, Subventionen zu schaffen, sondern Sanktionen abzuschaffen.

Welche Möglichkeiten hat die dena sozusagen als Chef-Energieberater, das Zusammenwachsen der Energiemärkte voranzubringen?

Die dena macht sehr spannende Projekte. Wir haben Plattformen für Power to Gas und Systemdienstleistungen. Gerade haben wir eine neue Plattform für die digitale Energiewelt gegründet. Ich lade alle ein, hier mitzumachen! Es gibt eine Reihe von Studien und eine Vielzahl von Einzelprojekten mit sehr vielen Akteuren, die wir zusammenbringen. Das ist das eine. Das andere ist, dass wir, glaube ich, auch helfen können, den Blick auf die Veränderungen der Energiewende zu intensivieren. Wir sind mit unserem Denken immer noch in den Vorstellungen des Jahres 2000 verhaftet. Viele in der energiepolitischen Debatte haben überhaupt keine Vorstellung davon, dass die kommenden 15 Jahre komplett anders aussehen werden als die 15 Jahre, die man im Jahre 2000 vor der Brust hatte. Ich persönlich versuche, diese Veränderungen, die Vielfältigkeit der Energieversorgung stärker in den Vordergrund zu rücken, Begeisterung dafür zu schaffen und dann aber auch mit der Politik darüber zu reden, dass die Rahmenbedingungen für die erste Phase der Energiewende sehr wahrscheinlich nicht mehr passend sind für die jetzt anstehende Phase.

Wo sehen Sie die erneuerbaren Energien in zehn Jahren?

Weiter vorn. Sie werden sich peu à peu weiterentwickeln. Ich sage aber auch, was nicht jedem gefällt, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht mehr das eigentlich Spannende ist. Das ist Mainstream, die Grundlage all dessen, was wir bei der Energiewende tun. Viel spannender aber ist, welche Chancen sich aus dem Zusammenspiel der Einzelkomponenten ergeben: aus erneuerbaren Energien und Speicherkomponenten wie Power to Gas und Batterien zum Beispiel. Wenn man genauer hinschaut, gibt es hier jeden Tag eine neue Idee. Das schafft auch einen Mehrwert für erneuerbare Energien. Es wird sich viel verändern, was am Ende auch den Ausbau leichter macht.

Sie sprechen die Vielfältigkeit an. Ich habe den Eindruck, dass es der Bundesregierung weniger um deren Ausgestaltung, sondern um Begrenzung geht, die man über Ausschreibungen und Maximalziele in der anstehenden Novelle des EEG erreichen möchte.

In der letzten EEG-Novelle hat man Ausbaukorridore definiert, erstens um dem Energieversorgungssytem einen Rahmen zu geben, damit das nicht aus dem Ruder läuft – das war ja die eine Sorge – und dann zweitens, um mit den erwartbaren Netzengpässen ordentlich umgehen zu können. Das fand ich plausibel – auch wenn man nun über die richtige Höhe lange streiten kann. Ich hatte eben schon gesagt, dass es momentan mit den Netzengpasskosten schwierig ist. Und da mache ich mir auch für die energiepolitische Debatte große Sorgen. Gleichzeitig hat man im alten EEG für einzelne Energieträger aber feste Ausbaubereiche festgelegt. Das passte da schon nicht richtig zusammen. Und jetzt stehen wir vor den Fragen, wie wir einerseits den Ausbaukorridor halten können, aber andererseits verhindern, dass wir die ungeheure Dynamik, die in erneuerbaren Energien steckt, nicht komplett abbremsen. Da sind wir wieder bei Power to X. Auch wenn es weh tut, weil es Geld kostet: Wer A sagt, muss auch B sagen.

Ein anderes, auch für die dena wichtiges Thema: Bis 2050 soll ein klimaneutraler Gebäudebestand erreicht werden. Wäre dies in Verbindung mit der Sektorkopplung nicht auf Quartiersebene leichter zu erreichen? Und müsste man dann nicht viel konsequenter auf Wärmenetze umstellen?

Viele, die heute sagen, ein klimaneutraler Gebäudebestand sei nicht zu erreichen, erinnern mich an die aus der alten Energieversorgung, die damals gesagt haben, mehr als ein 5-prozentiger Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung ginge sowieso nicht. Wir wissen nicht, was möglich ist. Manche Gebäude werden sogar schon jetzt zum Akteur und erzeugen mehr Energie, als sie verbrauchen. Es wird weitere technologische Entwicklungen geben. Dennoch werden wir in den kommenden Jahren Quartiersansätze definitiv mehr ins Visier nehmen müssen. Auch die Fördermaßnahmen – selbst wenn sie besser geworden sind – werden so noch nicht reichen. Mit Blick auf niedrige Ölpreise droht uns sonst hier eine Durststrecke.

Welche Konsequenzen sollte man daraus für die jetzt anstehenden Gesetzesnovellen ziehen?

Ich würde mir wünschen, dass die Zusammenführung von Energieeinsparverordnung und Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz die Handhabung vereinfacht. Man muss auch über die zur Verfügung stehenden Fördermittel nachdenken. Ich denke aber auch, dass wir die guten Beispiele aus dem Gebäudebereich stärker in den Vordergrund stellen müssen. Wir müssen mehr über Beispiele des Gelingens reden.

Interview: Andreas Witt
Foto: dena

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