Kein Stillstand beim Thema Stagnation

Foto: Guido Bröer
Solarthemen 471. Die Stagnation von Solarkollektoranlagen bei einem Überangebot von Solarstrahlung ist für die Solarthermiebranche seit langem ein großes und in der Kommunikation gerade für die Großen der Heizungsbranche ein heikles Thema. In diesem Frühjahr bringen nun Viessmann und Vaillant technische Konzepte auf breiter Front in den Verkauf, die den Markt verändern können.

Es ist kein Aprilscherz: Mit der seit 1. April 2016 gültigen Preisliste bekommt man beim Branchenprimus Viessmann als Solarkunde Kollektoren verkauft, die fürs gleiche Geld wesentlich weniger aus der Solarstrahlung herausholen als ihre Vorgängermodelle. Erkennbar sind sie am Kürzel FM in der Produktbezeichnung. Dieses stehe für „Flachkollektor Modulierend“ verrät Michael Beckmann, der leitende Produktmanager für den Solarthermiebereich. Als „schaltender“ Kollektor war die Neuerung im vergangenen Jahr auf der Leitmesse ISH vorgestellt und angekündigt worden (Solarthemen 444). Der Clou daran ist die inzwischen so genannte ThermProtect-Beschichtung des Absorbers. Im Arbeitstemperaturbereich des Kollektors leistet sie nicht weniger als die hochselektiven blauen Beschichtungen anderer Hersteller. Erreicht der Kollektor allerdings 85 Grad und mehr, nimmt die Emission der Schicht überproportional zu – Ergebnis: Der Wirkungsgrad wird mit steigender Temperatur immer schlechter. Beckmann ist sich sicher: Bei üblichen Auslegungen von Solaranlagen werde der neue Kollektor kaum noch in Stagnation geraten und das Fluid fast nie mehr verdampfen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Das Frostschutzmittel Glycol nimmt im Kollektorkreislauf weniger schnell Schaden, wenn es nicht so heiß wird und selten verdampft. Denn selbst wenn die von Spezialherstellern angebotenen Solarflüssigkeiten mithilfe von Additiven für immer höhere Stillstandstemperaturen der Kollektoren ausgelegt sind, so bleiben die organischen Verbindungen in ihnen doch stressanfällig. Das ist ein Grund für häufigen Wartungsbedarf oder gar für teure Schäden in kalten Wintern Nur Heatpipe-Röhrenkollektoren verfügten bislang über eine vergleichbare „Abschaltautomatik“. Ist das Fluid in der Heatpipe komplett verdampft und der Kollektor so heiß, dass es nicht mehr kondensiert, wird der Wärmetransport gestoppt. Trotz dieses Vorzugs haben Heatpipes in Deutschland keinen großen Marktanteil mehr. Dass Viessmann jetzt fast sein gesamtes Flachkollektorsortiment auf die modulierende Schicht umgestellt hat, wird den Markt um so mehr verändern. Im Preis würden die Kunden die Umstellung nicht spüren, verspricht Beckmann: „Die Schicht ist zwar für uns in der Produktion etwas teurer, aber wir geben diese Mehrkosten nicht an die Kunden weiter“. Einfachere Auslegung Aber häufige Stagnation ist nicht nur ein Glycol-Killer. Schäden an Solaranlagen können auch durch plötzliche Dampfschläge entstehen oder einfach indem heißer Dampf zu weit ins System vordringt, womöglich bis ins Ausgleichsgefäß. Wenn nun der Kollektor direkt an der Quelle die Wärmezufuhr begrenzt, könnten Solaranlagen mit einem modulierenden Kollektor im Prinzip sogar preiswerter sein, wenn Vorschaltgefäße oder Stagnationskühler entfallen können. Viessmann hofft jedenfalls mit dieser Innovation mit Blick auf die Installateure einen klugen Schachzug zu machen: „Der Installateur ist ein Problemvermeider“, sagt Beckmann. „er weiß, dass er Probleme aufgrund der Stagnation von Anlagen bekommen kann und mit unseren neuen Kollektoren ist die richtige Auslegung viel weniger problematisch. Und Stagnation ist auch kein Hinderungsgrund mehr, dem Kunden im Zweifelsfall einen zusätzlichen Kollektor aufs Dach zu bauen, um einen höheren solaren Deckungsanteil zu erreichen. Renaissance für Drainback Die Möglichkeit leistungsstärkerer Anlagen führt auch Vaillant für die Neuausrichtung seines solaren Produktportfolios ins Feld. Seit April kann man fast alle Anlagenklassen bei Vaillant neben der bisherigen „druckgeführten“ in einer „rücklaufgeführten“ Variante erhalten. Letzteres Prinzip ist in der Fachwelt besser bekannt als Drainback. Immer wenn keine Solarerträge erzielt werden können und also die Solarkreispumpe abgestellt wird, fließt die gesamte Solarflüssigkeit dabei schwerkraftgetrieben in einen Auffangbehälter zurück. Der Kollektor auf dem Dach wird dabei vollständig entleert. Dieses Prinzip schützt sowohl das Solarfluid als auch das gesamte System nicht nur im sommerlichen Stagnationsfall vor Belastungen. Es vermeidet, sofern die Anlage gewis­sen­haft geplant und installiert wird, auch Frostschäden im Winter. Drainback-Systeme wurden nicht zuletzt entwickelt, um das lästige und effizienzmindernde Frostschutzmittel Glycol aus dem Kollektorkreislauf verbannen zu können. Vaillant verzichtet allerdings auf diesen Vorteil und setzt auf die doppelte Sicherheit von Drainback plus Frostschutz. „Wir arbeiten bei druck- und rücklaufgeführten Systemen mit dem gleichen Standard-Solarfluid“, sagt Produktmanager Guido Weißmüller. Drainback ist kein neues Prinzip. Zahlreiche Solarhersteller haben damit schon vor Vaillants aktueller Produktoffensive gearbeitet. Allerdings ist dies selten in einer so kompakten und universellen Form geschehen. Die neue Solarstation auroFLOW plus der von Vaillant so genannten „rücklaufgeführten“ Systeme unterscheidet sich von außen kaum von ihrem „druckgeführten“ Pendant; dabei ist in ihr der Auffangbehälter aus Kunststoff bereits integriert. Das Grundmodul eignet sich für bis zu 15 m2 Kollektorflä̈che. Mit dem Erweiterungsmodul schafft die Station 30 m2 und ermö̈glicht in einer 4er-Kaskade die Nutzung von bis zu 120 m2. Vaillant bewirbt das System daher vor allem im Wohnungsbau und auch bei der Prozesswärme. Aber auch die besonders kompakten Warmwasserspeicher für kleine Trinkwassersolaranlagen bei denen die Solarstation direkt mit dem Speichermodul eine Einheit bildet, gibt es in der Drainback-Variante. Faktor Handwerker So einfach dies alles klingt, so sehr bleiben Drainback-Systeme auf eine gewissenhafte Planung und Ausführung von Seiten der Handwerker angewiesen. Die Kollektorleitung darf nicht zu lang, der Höhenunterschied zwischen Speicher und Kollektor nicht zu groß sein und vor allem müssen alle Leitungen an jedem Punkt mit einem Mindestgefälle verlegt werden. Das ist der wunde Punkt aller Drainback-Systeme und die starke Seite des Viessmann-Ansatzes, bei dem der Installateur kein bisschen umdenken muss. In Form dieses Alleinstellungsmerkmals zahlt sich für Viessmann jetzt die Entscheidung aus, seine Absorberbleche für den eigenen Bedarf seit vielen Jahren selbst zu beschichten. Alle anderen bedeutenden Kollektorhersteller kaufen das fertig beschichtete Blech – sei es aus Aluminium oder aus Kupfer – bei Halbzeugherstellern wie Alanod oder Almeco ein. Dennoch ist Arne Finger, bei Vaillant Produktmanager für den Solarmarkt, guter Dinge, die Handwerker von den Vorzügen der neuen rücklaufgeführten Anlagen überzeugen zu können: „Es ist eine spannende Herausforderung. Es geht jetzt für uns darum, Anwendungsfälle zu definieren, in denen die rücklaufgeführten Systeme definitiv überlegen sind.“ Er denkt dabei vor allem an Systeme mit unregelmäßiger Wärmeabnahme, also nicht nur Einfamilienhäuser, sondern beispielsweise auch Sportstätten. Vielfalt als Schwierigkeit Auch Ulrich Leibfried, Technikchef bei Consolar, ist überzeugt von den Vorzügen der Drainback-Systeme. Doch hat der Solartechnik-Anbieter seine eigene Drainback-Serie, die getreu der Bezeichnung „Solar Pur“ mit reinem Wasser ohne Frostschutz betrieben wurde, kürzlich aus dem Programm genommen. „Die Anlagen haben gut funktioniert, wenn der Handwerker sie korrekt installiert hat. Wir haben noch viele zufriedene Kunden.“ Den Faktor „Installateur“ habe man jedoch anfangs bei der Markteinführung vor mehr als zehn Jahren ein wenig unterschätzt, deutet Leibfried an. Der wesentliche Grund für die Ausmusterung des Produktes sei, dass Drainback für Consolar ein Nischenprodukt geblieben sei, so Leibfried: „Wir sind einfach zu klein, um so viele Produktvarianten gleichzeitig anbieten zu können.“ Ein größerer Anbieter könne damit freilich sehr glücklich werden, meint er und wäre gerne bereit, Know-how und Werkzeuge für „Solar Pur“ an ein interessiertes Unternehmen zu verkaufen. David gegen Goliath Die Ritter Energie- und Umwelttechnik ist dafür definitiv kein Kandidat, denn deren vor gut einem Jahrzehnt eingeführtes Aqua-System kennt keine Stag­nationsproblematik. Wie bei den Drainback-Anlagen werden die Röhrenkollektoren der Ritter-Marken Paradigma und Ritter XL solar von reinem Heizungswasser ohne Frostschutz durchströmt. Im Stagnationsfall verdampft das Wasser im Kollektor, ohne dass man sich über das Cracken von Glycol Gedanken machen müsste. Und im Winter werden die Kollektoren im Bedarfsfall mit geringen Mengen erwärmten Wassers durchströmt und aktiv frostfrei gehalten. Das A & O sei dabei die Regelung, deren Algorithmen seit Einführung des Aqua-Systems noch weiter verbessert worden seien, berichtet Wilfried Grieshaber, Produktmanager bei Paradigma: „Unser ganzes Know-how steckt im Regler.“ Mit den hocheffizienten, direkt durchströmten Röhrenkollektoren sei man bei Paradigma früher als andere gezwungen gewesen, eine Antwort auf die Stagnationsproblematik zu finden. Herausgekommen ist eine ganze Reihe von Alleinstellungsmerkmalen, mit denen die Ritter-Leute in den letzten Jahren gern David gegen Goliath gespielt haben. Beim Thema Stagnation wird ein Teil der Karten in diesem Spiel gerade neu gemischt. Text: Guido Bröer Foto: Guido Bröer

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