Interview mit Sven Teske: Für etwas zu sein, ist viel schwieriger

Sven Teske war 22 Jahre lang bei Greenpeace der Mann für die Erneuerbaren Energien – erst in Deutschland, dann bei Greenpeace International. Seit September 2015 arbeitet er in Australien an der Technischen Universität Sydney, nachdem er im vergangenen Jahr mit einer Arbeit über die Integration erneuerbarer Energien in Stromnetze seinen Doktortitel erwarb.

Guido Bröer, Solarthemen: Sven, Du warst der Erste, den ich vor 20 Jahren für die Solarthemen interviewt habe. Ich hatte Dich dazu in der Greenpeace-Zentrale in Hamburg besucht. Wir sind nach dem Interview aufs Dach geklettert, um ein Foto von Dir vor Eurer Solaranlage zu machen. Das Bild hat Dir aber nicht gefallen. Schickst Du mir diesmal bitte ein Selfie aus Sydney

Sven Teske: OK – mach ich!

Anlass des Interviews war damals Eure Cyrus-Kampagne. Erzähl doch mal!

1995 haben wir die Solarkampagne gestartet. Ich hatte erst kurz vorher bei Greenpeace angefangen und hatte gedacht: Ich mache jetzt die Solarkampagne und alle werden mich dafür lieben. Das Gegenteil war der Fall. Die Solarszene, vor allem der Deutsche Fachverband Solarenergie, der DFS, hat mich abgrundtief gehasst, weil ich einen Preis genannt hatte, der in ihren Augen „unmöglich“ war.

Wie kam es überhaupt dazu?

Der letzte Solarhersteller wollte Deutschland verlassen. Das war die ASE, die damals der Nukem, also zum RWE-Konzern gehörte. Deren Produktion in Wedel hatte eine Kapazität von zwei Megawatt im Jahr. Die Begründung war: Es gibt keinen Markt für Photovoltaik in Deutschland. Unsere Idee war deshalb: Wir belegen, dass es einen Markt für Photovoltaik auch in Deutschland gibt und dass man Module auch in Deutschland effizient produzieren kann. Mit der Ludwig-Bölkow-Stiftung haben wir eine kleine Studie gemacht, um zu zeigen, dass es funktioniert. Unser Ziel war ein 5-Megawatt-Markt. Mittlerweile wird pro Stunde mehr installiert als wir uns damals pro Jahr als Ziel gesteckt hatten. Wir haben gesagt, dass unter dieser Voraussetzung eine 2-kW-Anlage für 12000 Euro angeboten werden könnte. Die Zahl haben wir veröffentlicht und angefangen, genug Kunden zu suchen, um diese Produktion für ein Jahr auszulasten. Als wir das veröffentlicht haben, war plötzlich Holland in Not. Ich habe sogar zwei nächtliche Morddrohungen erhalten, weil ich den Markt ruiniert hätte. Was mir denn einfallen würde, bei Photovoltaik überhaupt über den Preis zu sprechen! Das sei ja eine gute Technik – da rede man nicht über den Preis.

Dabei habt Ihr damals nach Greenpeace-Manier auf den bösen Konzernen herumgehackt: Siemens und RWE/Nukem. Ein bisschen Unrecht habt Ihr ihnen damit getan – namentlich dem engagierten damaligen ASE-Geschäftsführer Winfried Hoffmann.

Das ist eine Ironie der Geschichte. Ich hatte ja geglaubt, dass die großen Konzerne uns bekämpfen würden und die Solarbranche uns liebt. Das Gegenteil ist passiert. Ich hatte mich mit Hoffmann relativ schnell nach unserem Kampagnenstart getroffen. Zwei Jahre später haben wir die erste gemeinsame Studie herausgebracht und haben dann über zehn Jahre lang sehr viel zusammengearbeitet. Ich schätze Winfried Hoffmann sehr. Wir haben sogar schon mal in seinem Büro in Hanau gesessen und zusammen Energieszenarien gerechnet.

Dieser Art von Arbeit kannte man von Greenpeace bis dahin nicht.

Das war mein großes Problem. Ich glaube, ich war der einzige Greenpeace-Campaigner, der 20 Jahre lang nur für etwas war. Und das war intern extrem schwierig. Positiv-Kampagnen sind schwierig, weil man sich die News selbst basteln muss. Man muss immer eine Studie oder so etwas herausbringen. Bei der Atomkampagne, wo ich natürlich öfter mal eingesprungen bin, wenn mal wieder ein Atomtransport rollte, war das viel einfacher. Da stellt man sich vor den Castor, wird gefilmt und sagt, wie schlimm das alles ist. Da hast Du Medienresonanz ohne Ende. Aber beim Thema Solar sich vor eine Anlage zu stellen, das ist langweilig für die Medien. Du musst immer eine Geschichte kreieren. Nur Fakten zu präsentieren, das interessiert keinen.

Für dieses Interview musste ich Dich erst in Australien auftreiben. Was tust Du da?

Seit September 2015 bin ich hier an der University of Technology in Sydney am Institute for Sustainable Futures. Das ist so etwas wie das australische Wuppertal-Institut. Ich leite da das Thema Energie-Simulation. Ich habe jetzt zum Beispiel die erste 100-Prozent-Erneuerbare-Energien-Studie für Australien gemacht. Es sind auch sehr praktische Arbeiten dabei. Es macht mir viel Spaß.

Wie sieht die deutsche Energiewende von Deiner Seite des Globus her aus?

In den hiesigen Medien findet Deutsch­land nicht statt. Genauso wenig, wie Australien in deutschen Medien stattfindet. Und wenn, dann nur, weil jemand von einem Hai gebissen wurde. Allerdings wird in der energiepolitischen Diskussion in Australien Deutschland von beiden Seiten als Paradebeispiel genutzt, als Beleg dafür, dass die Energiewende funktioniert oder auch nicht. Es werden zum Beispiel Katastrophenmeldungen von Beinahe-Blackouts in Deutschland kommuniziert – und dabei wird auch viel falsch berichtet. Ein Teil meines Jobs an der Uni ist, richtigzustellen, was da so alles an Blödsinn erzählt wird über die deutsche Energiewende. Ich muss zum Beispiel oft erklären, wie das Einspeisegesetz funktioniert. Ich weiß nicht, wie oft ich das schon erklärt habe, aber die Leute kapieren es nicht.

Wie erlebst Du selbst die deutsche Energiewende mit dem Abstand, den Du jetzt hast.

Ich hoffe, dass die Energiewende in Deutschland weitergeht. Was die Bundesregierung da jetzt als neues EEG vorbereitet, das ist allerdings grausam. Wenn es so kommt wie angekündigt, dann ist die Bürgerenergie tot. Beim Thema Bürgerbeteiligung gilt übrigens Deutschland hier wirklich als Mekka. Unser Institut begleitet einige Gemeinden, die sich das 100-Prozent-Ziel auf die Fahnen geschrieben haben. Davon gibt es hier etwa 50. Die schauen alle auf Deutschland als Vorbild.

Wie geht‘s denn den Erneuerbaren in Australien?

Es gibt hier zwei verschiedene Ebenen von Energiedebatte. Die eine betrifft den Exportmarkt für Kohle. Das ist im Moment ein großes Problem, weil der Kohlepreis im Keller ist und der Export nach China im letzten Jahr um ein Drittel eingebrochen ist. Der Umbau der eigenen Energieversorgung ist ein ganz anderes Thema. 75 Prozent des Stroms kommen aus Kohle. Das durchschnittliche Kohlekraftwerk ist über 30 Jahre alt und seit 15 Jahren ist kein neues mehr gebaut worden. In naher Zukunft muss also der gesamte Kraftwerkspark erneuert werden. Es ist im Prinzip politischer Konsens, dass es keine neuen Kohlekraftwerke mehr geben soll. Neulich hatte ich zum Beispiel mit meiner 100-Prozent-Erneuerbare-Studie eine Privataudienz beim Umweltminister. Das war eine neue Erfahrung: Da machst Du eine Studie für die Uni und erklärst sie als Erstem dem Minister persönlich – noch bevor sie veröffentlicht wird. Es gibt hier 8 Millionen Dächer, die für Solaranlagen geeignet sind. Davon sind 1,5 Millionen schon belegt. Es boomt, weil es billiger ist, Photovoltaik­anlagen aufs Dach zu legen als den Strom vom Versorger zu kaufen. Bei Wind hat die Industrie hier bei der Bürgerbeteiligung schwere Fehler gemacht. Die haben ohne Bürgerbeteiligung mit einem Ausschreibungsmodell einfach irgendwo riesige Windparks hingeknallt. Daraufhin gab es viel Opposition und Windkraft ist heute wirklich nicht beliebt.

Verglichen mit Bayern, wo man über einen 10H-Abstand streitet, dürften Windparks im australischen Outback doch kaum jemanden stören.

Selbst 100H wäre hier überhaupt kein Problem. Platz ist genug da und die Windernte ist viel besser als in Deutschland. Es gibt hier Onshore-Anlagen, die mehr Ertrag haben als Offshore-Anlagen in der Nordsee.

Von den geografischen Bedingungen her sollte Energiewende also in Aus­tralien ein Selbstläufer sein.

Die Geografie ist einerseits vorteilhaft, aber wegen der langen Distanzen ist Netzbau teuer. Das Südküstennetz hat heute schon 35 Prozent Windstrom. Aber es gibt viel Widerstand, kaum Bürgerbeteiligung, und die Versorger wollen natürlich ihre abgeschriebenen Kohlekraftwerke so lange wie möglich laufen lassen. Energiewende insgesamt ist deshalb kein Selbstläufer. Ausnahme ist die Photovoltaik. Wenn die Batterien tatsächlich kommen, dann wird Australien eines der ersten Länder sein, die einen sehr, sehr hohen Solarstromanteil haben werden. Ein Problem ist allerdings, dass die politischen Rahmenbedingungen hier dauernd verändert werden.

Interview: Guido Bröer
Foto: Teske

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