Interview mit Julia Verlinden: Energiewende als Ganzes begreifen!
Solarthemen: Sie sind in große Fußstapfen getreten, als Sie vor drei Jahren als Bundestagsneuling energiepolitische Sprecherin der Grünen wurden. Wie fühlt sich das inzwischen an?
Julia Verlinden: Eigentlich genau richtig. Ich habe ja, bevor ich Berufspolitikerin wurde, bereits im Bereich Energiepolitik gearbeitet und zum Beispiel in meiner Doktorarbeit untersucht, was in der Energieeffizienzpolitik in Deutschland nicht gut funktioniert. Insofern war es genau das, was ich machen wollte, mich politisch dafür zu engagieren, dass etwas Besseres dabei herumkommt. Ich setze mich dafür ein, dass wir die Energiewende als Ganzes begreifen, dass wir auch beim Thema Wärme vorankommen müssen und beim Energiesparen. Es macht mir großen Spaß, dies jetzt in der Fraktion bearbeiten zu können.
In den drei Jahren, in denen Sie dies nun tun, können Sie der Regierung nicht vorwerfen, dass sie untätig gewesen sei. Zwei große EEG-Reformen, ein Strommarktgesetz, der Pariser Klimagipfel, Reform des Marktanreizprogramms und ein Aktionsprogramm Energieeffizienz. Es ist einiges passiert.
Die Frage ist aber immer, was man für ein Ziel hat. Die Bundesregierung hat ja immer gesagt, sie wolle die Ziele des Energiekonzepts 2010 weiterverfolgen. Aber das werden sie mit der Politik, die sie in den letzten Jahren gemacht haben, nicht erreichen. Das sagen auch die Experten, die die Bundesregierung selbst beauftragt hat, regelmäßig den Monitoringbericht zur Energiewende zu evaluieren. In manchen Feldern bedeutet die Politik sogar faktisch einen Rückschritt. So werden beim Erneuerbare-Energien-Gesetz jetzt die Ausbaumengen derart niedrig begrenzt, dass man sich fragt, wie soll das funktionieren?
Bei der EEG-Reform hat die Opposition den grundlegenden Wechsel zu Ausschreibungen zu verhindern versucht. Wäre denn das bisherige EEG-Modell zukunftsfähig gewesen.
Ich halte viel von Einspeisevergütungen. Das hat sich bewährt. Wir haben natürlich einen Anpassungsbedarf hinsichtlich der Degression. Aber ich sehe keinen Sinn darin, durch ein Ausschreibungsmodell jetzt eine Obergrenze einzuführen und den Ausbau zu verlangsamen. Wir wissen doch, dass wir eigentlich einen sehr viel schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien brauchen, um die Klimaschutzziele zu erfüllen und von Importen fossiler Rohstoffe unabhängiger zu werden. Die Einspeisevergütung war ein Erfolgsrezept, mit dem wir auch die Bürgerenergie voranbringen und so viele Menschen mit ihren Ideen und ihrem Kapital für die Energiewende begeistern konnten.
Würden Sie sich denn im Falle einer Regierungsbeteiligung 2017 für eine Rückbesinnung auf das ursprüngliche EEG-Prinzip stark machen? Oder ist dieser Zug jetzt abgefahren?
Man muss das ja auch noch sehr intensiv mit der EU-Kommission besprechen. Die aktuellen Beihilfeleitlinien der EU sehen vor, dass Ausschreibungen eingeführt werden sollen. Zumindest ist dies die Interpretation, die die Bundesregierung akzeptiert hat.
Sie wehrt sich immerhin bei den europäischen Gerichten dagegen, dass das EEG überhaupt als Beihilfe angesehen wird. Wäre das EEG keine Beihilfe, hätte Brüssel da wenig zu melden.
Aber die Bundesregierung hat sich trotzdem im vorauseilenden Gehorsam an die Interpretation gehalten, man solle doch die Förderung für erneuerbare Energen ausschreiben. Es ist zu hinterfragen, ob der Grundsatz so umgesetzt werden muss, wie es die Bundesregierung interpretiert. Als Grüne sollten wir durchsetzen, sofern wir die Chance dazu bekommen, zum Beispiel die De-Minimis-Grenzen beim Wind auf 18 MW zu setzen, also das Niveau, das die EU-Kommission explizit zulässt. So könnten sich weiterhin kleinere Akteure am Ausbau der erneuerbaren Energien beteiligen. Es ist nicht verständlich, warum die Bundesregierung bei der EEG-Novelle viel geringere De-Minimis-Grenzen eingeführt hat, als möglich gewesen wären.
Das EEG ist ein Gesetz ausschließlich für den Stromsektor geblieben, obwohl alle Beteiligten während der Novelle das Wort von der Sektorenkopplung im Munde führten. Wäre das EEG überhaupt das richtige Gesetz, um die Energiewende über den Strombereich hinauswachsen zu lassen?
Nicht allein natürlich. Wenn wir über Sektorenkopplung sprechen, ist es wichtig zu klären, wie hoch denn der Strombedarf in Deutschland sein wird. Da gehen die Zahlen ja ziemlich auseinander. Festzuhalten ist: Selbst wenn wir noch so viel Energie einsparen, werden wir unter dem Strich mehr Strom verbrauchen, weil wir im Wärme- und Verkehrssektor verstärkt auf Strom setzen werden. Und das EEG ist natürlich der entscheidende Anreiz, um die Erneuerbaren im Stromsektor weiter auszubauen. Darüber hinaus brauchen wir natürlich Anreize im Sektor Wärme, um dort von den fossilen Energieträgern wegzukommen. Es ist für mich zum Beispiel völlig unverständlich, dass die Bundesregierung den Ersatz alter Ölkessel durch neue Ölkessel finanziell fördert.
Was ist die wichtigste und nachhaltigste Maßnahme im Wärmesektor?
Wir haben einen Gesetzentwurf eingebracht, dass das Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetz die Vorgabe macht, bei einem Heizungsaustausch im Gebäudebestand einen Mindesanteil über erneuerbare Energien zu decken – so ähnlich, wie dies bereits im Land Baden-Württemberg gilt. Das ist leider von der großen Koalition abgeschmettert worden. Sie haben uns versprochen, eigene Vorschläge zu machen. Darauf warten wir bis heute.
Umweltministerin Hendricks macht in den Entwürfen für den Klimaschutzplan 2050 Vorschläge für ein Verbot fossiler Heizkessel ab 2030. Das geht doch viel weiter als ein erneuerbarer Pflichtanteil von 15 Prozent, wie Sie ihn für das EE-Wärme-Gesetz propagieren.
Natürlich wäre das nur ein erster Schritt. Wenn wir von den fossilen Energien wegkommen wollen, müssen wir noch viele andere Maßnahmen im Wärmebereich umsetzen. Dann muss es auch um energetische Gebäudesanierungen und bessere Effizienz gehen. Und es muss eine Neusortierung des Energiesteuersystems geben. Es stimmt, dass Frau Hendricks regelmäßig mit vielen Ideen startet. Und ich beneide sie wahrlich nicht um den Gegenwind, den sie dafür immer im Kabinett, vor allem von ihren Kollegen im Wirtschafts- und im Verkehrsministerium bekommt. Es ist sehr bedauerlich, dass sich innerhalb der Regierung keine Allianz für die in Paris zugesagten Klimaschutzziele erkennen lässt.
Mit welchen Sofortmaßnahmen würden Sie im Falle einer grünen Regierungsbeteiligung 2017 versuchen, den Pariser Zielen näher zu kommen?
Wichtig wäre mir ein echtes Fracking-Verbot, weil man durch Fracking das fossile Zeitalter einfach nur verlängert. Ich verstehe auch nicht, dass Herr Gabriel die Strompreisrabatte für die Industrie nicht an Effizienz-Benchmarks bindet. Das würden wir ändern wollen. Nach unserem Konzept „Faire Wärme“ wollen wir außerdem ein zusätzliches Programm von 2 Milliarden Euro jährlich insbesondere für die Quartierssanierung, so dass es einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten in Mietwohnungen zugute käme.
Gibt es wirklich einen Mangel an Förderprogrammen? Der Etat des Marktanreizprogramms wird doch seit Jahren nicht ausgeschöpft. Setzen Sie eher auf das Fördern oder auf das Fordern?
Beides! Sie haben recht – es gibt bei den bestehenden Förderprogrammen einige, die nicht in dem Maße abgerufen werden, wie es wünschenswert wäre. Das liegt zum Teil auch daran, dass die Informationen nicht an diejenigen Personen herankommen, die sie bräuchten. Es ist Teil unseres Konzeptes „Faire Wärme“, dass wir regionale Energieagenturen aufbauen und unterstützen wollen, damit die Menschen vor Ort einen qualifizierten Ansprechpartner finden. Es ist aber auch wichtig, dass wir Förderprogramme so weiterentwickeln, dass sie die sehr unterschiedlichen Adressatengruppen im Gebäudebereich erreichen. Deshalb wäre die gescheiterte steuerliche Abschreibemöglichkeit eine wichtige weitere Option gewesen, um solche Hausbesitzer zu erreichen, die über die KfW-Programme heute nicht erreichbar sind.
Ist das Thema CO2-Steuer eines, mit dem man als Grüne Partei in den Wahlkampf ziehen kann?
Es gibt viele Akteure, die aktuell darauf hinweisen, dass ein Vergleich der vielen Varianten von Energiesteuern – also Mineralölsteuer für Heizöl, Erdgas, Kraftstoffe, die Stromsteuer, aber auch CO2-Zertifikatspreise – zu sehr unterschiedlichen Werten führt. Für Heizöl zahlt man zum Beispiel umgerechnet 8 Euro pro Tonne CO2, für Erdgas, das man zum Heizen nimmt, zahlt man pro Tonne CO2 18 Euro. Das ist ein falscher Anreiz, wenn es vor allem darum geht, CO2 zu sparen. Das Thema bedarf noch einer erheblichen Debatte, und ich freue mich, dass sich sehr unterschiedliche Akteure dieses Themas annehmen. Allerdings sehe ich noch kein ausgefeiltes Konzept.
Das hört sich nicht danach an, als wollten Sie die CO2-Steuer zum grünen Wahlkampfschlager machen.
Klar ist, dass es eine Energiesteuer-Reform braucht und nicht so weitergehen kann wie bisher. Und wir werden in unserem Wahlprogramm dazu Aussagen machen. Das wird auf einem Parteitag beschlossen.
Interview: Guido Bröer
Foto: Julia Verlinden