Solarthermie XXL wird systemrelevant

Foto: Guido Bröer
Solarthemen 480. Dänemark macht vor, wie megawattgroße Solarthermie-Anlagen zum festen Bestandteil komplexer Energiesysteme werden. Auch in Deutsch­land entstehen erste große Kollektor­fel­der zur Fernwärmeversorgung, und sogar die EU-Kommission in Brüs­sel nimmt das Thema inzwischen ernst. Der Durchbruch auf den internationalen Märkten steht für die netzgebundene Solarthermie allerdings noch aus.

In Dänemark geht es dem heimischen Kollektorproduzenten Arcon-Sunmark wie Bayern München in der Bundesliga: Der Wettbewerb besteht darin, sich laufend selbst zu übertreffen. Wenn Ende 2016 die 156000 Quadratmeter große Kollektorfläche der Solarthermieanlage vor den Toren der Stadt Silkeborg in Mitteljütland fertiggestellt sein soll, dann wird sie nach nur 1,5 Jahren den ebenfalls von Arcon und dem Ingenieurbüro Rambøll gehaltenen Weltrekord von 70000 Quadratmetern in der jütländischen Stadt Vojens pulverisieren. Und international? Eine Champions League, in der sich der Marktführer messen könnte, gibt es bislang nicht. Seit dem Beginn des dänischen Kollektorbooms vor knapp 10 Jahren, in dessen Verlauf Solarthermiefelder in mittlerweile 85 Städten und Gemeinden zur systemrelevanten Ergänzung von KWK-Anlagen im Fernwärmenetz wurden, sind vergleichbare Entwicklungen in anderen Ländern bislang allenfalls in zarten Ansätzen zu beobachten. Allerdings stehen einige Länder wie Deutschland und Österreich, aber auch Frankreich und Italien, heute da, wo Dänemark vor zehn Jahren stand, vor einer Sinnkrise des klassischen Geschäftsmodells in der Fernwärmeversorgung. Kraftwärmekopplung wird durch niedrige und perspektivisch stärker variierende Strompreise aus der Grundlast verdrängt, während große Solarthermie aufgrund ihrer durch Skaleneffekte sinkenden Wärmegestehungskosten für die Fernwärmebetreiber interessanter wird. Der Effekt bleibt nicht aus: Im brandenburgischen Senftenberg – zu DDR-Zeiten Hauptstadt der Braunkohle – ist am vergangenen Freitag die größte Solarthermieanlage Deutschlands eingeweiht worden. 8300 Quadratmeter – im Vergleich zur Weltmeisteranlage in Silkeborg ist das zwar nur Maßstab 1:20. Bei dem Tempo, in dem aktuell vor Silkeborg Ackerflächen zu Kollektorfeldern werden, bräuchten die Bautrupps für das Format Senftenberg gerade einmal fünf Tage. Und doch ist vieles an den beiden Projekten vergleichbar. Angefangen mit der Motivation: „Es handelt sich hier nicht um ein Pilotprojekt, sondern um eine von Anfang an auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtete Anlage“, betonte der als Festredner nach Senftenberg gereiste Abteilungsleiter des Bundeswirtschaftsministeriums, Thorsten Herdan (vgl. Interview Seite 10). Detlef Mosch­ke, Geschäftsführer der Stadtwerke Senftenberg, die Fernwärmenetz und Solaranlage betreiben, bestätigt: Nach 10 bis 20 Jahren Abschreibungszeit für die verschiedenen Anlagenteile solle eine Amortisation längst erreicht sein. Helfen wird dabei auch der 40-prozentige Zuschuss, den die KfW-Bank standardmäßig für solche Anlagen zur Verfügung stellt. Solarenergie trägt volle Last Die Solarthermie wird zwar nur 4 Prozent zum Jahreswärmebedarf des Senftenberger Netzes beitragen. Allerdings haben die Hochleistungs-Vakuumröhren des Herstellers Ritter XL Solar schon Ende August und Anfang September bewiesen, dass sie an schönen Sommertagen als alleiniger Wärmeerzeuger die gesamte Netzlast tragen können. Die Anlage speist dann bis zu 4,5 Megawatt mit 80 bis 110 Grad Celsius in den Vorlauf des Fernwärmenetzes ein. Sie kann allerdings an trüben Tagen, im Winter und in den Tagesrandzeiten bei verminderter Sonneneinstrahlung alternativ in den weniger heißen Rücklauf des Netzes einspeisen. Einen großen Speicher braucht die Anlage für beide Betriebsweisen nicht, da das Netz jederzeit in der Lage ist, die Leistung von 4,5 MW aufzunehmen. Ohne Speicher verringern sich die solaren Wärmekosten. Auch dies ist eine Gemeinsamkeit mit der täglich wachsenden Rekordanlage im dänischen Silkeborg. Sie ist auf einen etwa 20-prozentigen Deckungsanteil des Jahreswärmebedarfs der 45000-Einwohner-Stadt ausgelegt und braucht deshalb ebenfalls noch keinen Saisonalspeicher. „Wir werden in Silkeborg einen solaren Wärmepreis von deutlich unter 25 Euro pro Megawattstunde erreichen“, verrät Søren Elisiussen, Geschäftsführer des Marktführers Arcon-Sunmark. Dass entspricht weniger als 2,5 Cent pro Kilo­wattstunde und muss somit keinen Kostenvergleich scheuen – selbst bei den aktuell niedrigen Erdgaspreisen. Überzeugungsarbeit „Trotzdem sind die niedrigen Öl- und Gaspreise aktuell unser größtes Problem“, sagt Elisiussen. In Dänemark könne dies den Siegeszug der Solarthermie zwar nicht mehr aufhalten, wohl aber erschwere es in interessanten Zukunftsmärkten wie Deutschland oder Österreich die Überzeugungsarbeit. Elisiussen meint: „Wir stehen da als Marktführer in einer besonderen Verantwortung. Wir müssen immer wieder zeigen, wie gut diese Technik funktioniert. Eines unserer besten Argumente ist dabei, wie schnell es geht, die gesamte Wärmeversorgung einer Kommune zu vergrünen.“ Das Signal scheint inzwischen auch in Brüssel angekommen zu sein. In der vor zwei Wochen verabschiedeten Heating-and-Cooling-Strategie der EU-Kommission für das Jahr 2030 hätten Fernwärmenetze im Allgemeinen und die solar beheizten im Besonderen endlich einen angemessenen Stellenwert bekommen, freut sich Paul Voss vom europäischen Branchenverband Euroheat & Power. Voss eröffnete in der vergangenen Woche die 4. International Solar District Heating Conference im dänischen Billund mit 180 Experten aus 20 Ländern. Die ließen sich erklären und zeigen, wie die Dänen zunehmend auf große multivalente Saisonalspeicher als Herzstück kommunaler „Smart Energy Systems“ setzen. Diese ermöglichen nicht nur, den Anteil der Solarwärme am Jahresbedarf wesentlich zu steigern, sondern stellen zugleich die Sektorkopplung zwischen Wärme- und Stromsystem her. In der Kommune Gram beispielsweise, wo das Kollektorfeld im vergangenen Jahr auf 45000 Quadratmeter erweitert und zugleich ein 122000 Kubikmeter fassender Erdbeckenspeicher in Betrieb genommen worden ist. Dort sollen nunmehr über 50 Prozent der Wärme von der Sonne kommen. Das ist auch für Dänemark ein Rekord, aber in den Augen von Søren Elisiussen noch nicht das Ende der Fahnenstange: „70 oder 80 Prozent solare Deckung sind durchaus denkbar, mehr aber eher nicht, denn wir wollen ja noch einige andere Möglichkeiten bewahren, mit den Speichern Geld zu verdienen.“ Diese anderen Möglichkeiten werden längst praktiziert. In Gram ist ein elektrischer 10-MW-Kessel installiert neben einer 950-kW-Wärmepumpe. Beide laden bei niedrigen Börsenpreisen billigen Windstrom in den Wärmespeicher. So läuft das 5,5-kW-Gasblockheizkraftwerk nur noch bei Spitzenstrompreisen und ein 5-MW-Gasboiler spielt bloß eine Reservistenrolle. Den Effekt spüren unmittelbar auch die dänischen Solarwärmekunden: „Wir haben mit Inbetriebnahme der Solarthermieanlage den Wärmepreis gesenkt“, berichtet stolz Bjarne Nielsen, Betriebsleiter des Fernwärmesystems der Kommune Jelling. Das dortige knapp 16000 Quadratmeter große Kollektorfeld ist übrigens eine von bislang vier Referenzanlagen, die der finnische Hersteller Savosolar jüngst in Dänemark mit seinem neuen Großflächenkollektor ausgestattet hat. Sein Absorber besteht aus durchströmten Aluminium-Profilen. Eine doppelverglaste Variante dieses Kollektortyps kommt in der 4700-Quadratmeter-Anlage in Søllestad zum Einsatz, die vergangene Woche in Betrieb genommen wurde. Dieses ist nach Angaben von Savosolar das effizienteste Flachkollektorfeld der Welt. Mit oder ohne Champions League beginnt also für Arcon-Sunmark langsam ein Wettbewerb. Text und Foto: Guido Bröer

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