Energiewende im Ruhrgebiet
Für Klaus Kordowski von der Mercator-Stiftung ist das Ruhrgebiet ein Modellfall. Es stehe vor der Herausforderung einer strategischen Konsolidierung, erklärte er am 3. November in Essen auf der Tagung „Energiewende regional gestalten“. Das Ruhrgebiet sei allerdings auch erfahren darin, sich neu zu erfinden und wandlungsfähig zu bleiben. Für die Stiftung sei es daher von besonderem Interesse, den Energiewende-Prozess im Ruhrgebiet zu begleiten. Ausgangspunkt sei der globale Klimaschutz. Der sei auch in anderen Metropolen weltweit zu beobachten. Deutschland laufe Gefahr im internationalen Vergleich zurückzufallen, so Kordowski. Ein Beleg ist für ihn das regierungsinterne Gerangel um den Klimaschutzplan 2050. Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie habe sich im Projekt Energiewende Ruhr zusammen mit dem Kulturwissenschaftlichen Institut Essen (KWI), der Technischen Universität Dortmund, Spiekermann & Wegener (S&W) sowie der Bergischen Universität Wuppertal und finanziert von der Mercator-Stiftung drei Jahre lang damit befasst, die komplexen Herausforderungen der Energiewende auf das Ruhrgebiet zu übertragen, sagt Manfred Fischedick, Vizepräsident des Wuppertal Instituts. Es gehe darin um die Fragen, wie die Energiewende in Angriff genommen werden könne und wie strategische Handlungsansätze aussehen könnten. Alte Strukturen Im Ruhrgebiet, so erklärt das Wuppertal Institut, hätten die Städte für die Umsetzung der Energiewende weitaus schwierigere Ausgangsbedingungen und Umsetzungsmöglichkeiten als viele Kommunen in anderen Regionen. Der Ballungsraum stehe als von Industrie und fossiler Energie geprägter Raum besonderen Herausforderungen gegenüber: Mit 5,1 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern ist die Region der größte Ballungsraum in Deutschland. In keiner anderen Region bilde die räumliche Einheit von Energieträger (Kohle), Energieversorgung und energieintensiver Industrie (Stahl und Chemie) ähnliche Verbundcluster oder Infrastrukturen aus, Dies sei verbunden mit entwicklungshemmenden Machtstrukturen. Gleichzeitig fänden sich im Ruhrgebiet Ansatzpunkte für eine nachhaltige industrielle Zukunft. Könne die Energiewende hier erfolgreich sein, so sei dies eine wichtige Referenz für andere industrielle Regionen weltweit. Europas größtes Fernwärmenetz befindet sich im Ruhrgebiet. Die größten Versorger sind die STEAG Fernwärme GmbH und die E.ON-Fern- wärme GmbH. Das Netz der beiden Unternehmen umfasst rund 1200 Kilometer. Bereits 2013 hat sich die BET GmbH in einer Studie mit den Perspektiven der Fernwärme im Ruhrgebiet befasst. Je nach Szenario wird der Fernwärmeabsatz bis 2050 auf rund 62 Prozent des jetzigen absinken oder auf 119 Prozent ansteigen. Die größten Erweiterungspotenziale finden sich laut der Studie in Essen, Dortmund, Bochum, Moers und Oberhausen. In Dortmund müsste das Dampfnetz für die Erweiterung auf Heißwasser umgestellt werden. Sinken die Temperaturen im Netz, so können erneuerbare, dezentrale Wärmeerzeuger leichter integriert werden. Nahwärmenetze auf Quartiersebene können eine Alternative darstellen. Im Entwurf des Abschlussberichtes zun Projekt Energiewende Ruhr sagt das Wuppertal Institut, der Einsatz von erneuerbaren Energien in der KWK entfalte eine verstärkte Dynamik in Richtung Effizienz und Klimaschutz. Für kommunale Akteure könnten sich so neue Geschäfts- und Handlungsfelder entwickeln. So könnten Haldenflächen und Industriebrachen im Ruhrgebiet Platz für große solarthermische Anlagen bieten, die in Fernwärmenetze einspeisen. Dietmar Schüwer vom Wuppertal Institut sagt, stromgeführte KWK finde in der Solarthermie einen guten Partner. So könne im Sommer, wenn viele PV-Anlagen Strom produzieren und die Produktion von Strom in KWK-Anlagen nicht lohnt, die Solarthermie den Wärmebedarf in Wärmenetzen decken. Das sei auch im Ruhrgebiet möglich. Jürgen Harks, Klimaschutzmanager der Stadt Herten, sieht dabei durchaus ein Potenzial in vorhandenen, nicht genutzten Flächen. Zu einer schnellen Einbindung großer solarthermischer Anlagen in die Wärmenetze des Ruhrgebiets wird es aber wohl nicht so bald kommen. Heizen mit Kohle Die Energiewende ist im Ruhrgebiet konfrontiert mit einigen Wohnquartieren, in denen die Eigentümer über nur wenig Geld verfügen. Teils heizen sie zudem noch mit Deputatkohle. Dieser Herausforderung widmet sich Kirsten Sassning, Klimaschutzmanagerin der Stadt Gelsenkirchen. Sie profitiert davon, dass die Projektidee „Gartenstadt der Zukunft“ für das Forschungsvorhaben Energiewende Ruhr ausgewählt wurde und sich Gelsenkirchen gemeinsam mit Herten beim Projektaufruf „Nationale Projekte des Städtebaus“ mit dem Projekt „Energielabor Ruhr“ durchsetzen konnte – bis Ende 2018 fließen nun im Stadterneuerungsgebiet Hassel/Westerholt/Bertlich vier Millionen Euro unter anderem in die energetische Sanierung von Zechensiedlungen. Im Sanierungsgebiet werden je eingespartem Kilogramm CO2 50 Euro je Quadratmeter Gebäudenutzfläche gezahlt. Doch ist die Gestaltung der Gebäude offenbar wichtiger als der Klimaschutz – so darf die Außendämmung im sichtbaren Bereich maximal sechs Zentimeter betragen. Quartiersbezogene Ansätze Wissenschaftlich begleitet hat diese Sanierung die TU Dortmund. Anne Söfker-Rieniets erklärt, es habe sich als sinnvoll erwiesen, die im Quartier vorhandenen Vereine und Initiativen einzubinden. Besonders wirkungsvoll seien aber die Zuschüsse. Wichtige Stellschrauben seien zudem die Kommunen selbst. Sie seien starke Leader im Energiewendeprozess und sollten die Ziele, die sie verfolgen, möglichst konkret formulieren. Gerade mit Blick auf die Arbeit in einem Quartier sei die Präsenz der Mitarbeiter – also zum Beispiel der Klimaschutzmanager –bedeutsam. Und sie müsse möglichst dauerhaft gewährleistet sein, um Vertrauen zu schaffen. Als vorteilhaft erwiesen sich längere Förderzeiträume. Torsten Bölting, Geschäftsführer der InWIS GmbH, sagt, wenn es um die Energiewende im Ruhrgebiet gehe, träten die Quartiere in den Fokus. Sie seien zentrale Einheiten für die Energiewende. Eigentümer von Immobilien könnten in den Prozess besser eingebunden werden, wenn ihnen die Vorteile für das Quartier und damit auch für die eigene Immobilie deutlich gemacht würden. 2820 unterschiedliche Quartiere hat die InWIS im Ruhrgebiet identifiziert und deren Potenzial im Bereich Energieeffizienz analysiert. Vor allem im mittleren Ruhrgebiet gebe es ein großes Energieeinsparpotenzial, aber leider auch wenig Kaufkraft. Den Quartiersansatz hatte zunächst auch Marcel Hunecke, Professor im Bereich Angewandte Sozialwissenschaften an der FH Dortmund, gewählt. Der Psychologe hat im Auftrag der Stadt Dortmund in einem Forschungsprojekt versucht, Einwohner mit Migrationshintergrund für energetische Maßnahmen zu gewinnen. Dies sei eine sehr relevante Gruppe, weil rund 40 Prozent der Immobilieneigentümer in Deutschland einen Migrationshintergrund hätten. Der Quartiersansatz habe sich jedoch zumindest in dieser Bevölkerungsgruppe als nicht sonderlich erfolgreich herausgestellt. Als alternativer Ansatz sei daher der Weg über kulturelle Communities gewählt worden, wie über einen türkischen Moscheeverein und einen afrikanischen Club. Binde man die Schlüsselpersonen in diesen Communities mit ein, so könne man sich sogar weitere Mittel der Öffentlichkeitsarbeit, wie Mailings und Flyer, sparen. Die Ansprache auf diesem Weg habe sich gelohnt. Einige Eigentümer und Mieter hätten an Energiesparberatungen teilgenommen und es seien auch Verhaltensänderungen messbar gewesen. Partisanen gesucht Tatsächlich kann die Energiewende mit solchen auf einzelne Haushalte zielenden Maßnahmen nicht schnell vorankommen. Strukturelle Änderungen wären erforderlich. Professor Rolf Heinze von der Ruhr-Universität Bochum sagt, man brauche „Innovations-Partisanen“, die sich für einen Wandel einsetzten. Denn noch werde die Energiewende im Ruhrgebiet nur von wenigen als Chance begriffen. Erneuerbare Energien seien „disruptive Technologien“, die gerade in Regionen wie dem Ruhrgebiet eine deutliche Systemumstellung erforderten. Und derzeit werde, was von manchem als Konsens im Klimaschutz unterstellt werde, von „populistischen Kräften massiv hinterfragt“. Weiterhin sei es wichtig, neue Koalitionen zu schmieden. Professor Jörg Knieling von der HafenCity Universität Hamburg macht darauf aufmerksam, dass die regionale Energiewende Verhinderungs-Allianzen gegenüberstehe. Doch „Pioniere des Wandels“ könnten mit der Zeit Regime durcheinander bringen. Sie beförderten ein Umdenken. Ein ermutigendes Beispiel ist für Knieling die Fahrradstadt Kopenhagen. Viele Denkmuster seien dort umgedreht worden: Das Auto gelte nicht mehr als bevorrechtiges Verkehrsmittel. Ein ähnliches Umdenken sei auch im Ruhrgebiet möglich. Text: Andreas Witt Foto: mitifoto/fotolia.de