Prof. Michael Nelles: Biomasse auf neuen Wegen
Solarthemen: Bundespolitik und Biomassesektor – dazu fällt mir die Redensart ein: Rin in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Wie kommt die Branche damit klar und wo steht der deutsche Biomassesektor heute?
Michael Nelles: Der Bereich hat sich in den letzten 15 Jahren sehr dynamisch – teilweise auch zu schnell – entwickelt. Insbesondere das EEG 2009 hat zu Verwerfungen geführt, weil damals teilweise auch unsinnige Dinge gefördert wurden.
Stichwort: Güllebonus?
Ja, da wurden unsinnige Mehrfachboni bezahlt, sodass jeder, wenn er nur bis drei zählen konnte, mit Biogasanlagen Geld verdienen konnte. Aktuell haben wir stattdessen die Situation, dass keine auskömmlichen Vergütungen mehr gezahlt werden. Das ist ein Ergebnis hektischer EEG-Novellen im Zwei-Jahres-Rhythmus. 2011 hatte wir eine Spitze von 1300 neu errichteten Biogasanlagen, davon ein Drittel an falschen Standorten. Dann hat man 2012 die Bremse getreten. Das war auch gut. Bloß bis so eine Bremse wirkt, dauert es zwei Jahre. Zwischenzeitig kam aber schon das EEG 2014, bei dem die Politik noch stärker auf die Bremse trat. Und dass war dann zu viel. Jetzt wurde faktisch gar nichts mehr gebaut bis auf einige Gülle-Kleinanlagen. Für die Branche ist das ein Schlag ins Kontor. Gute Firmen haben vor 5 Jahren angefangen, sich Auslandsmärkte zu erschließen. Dafür brauchen sie aber mindestens 20 Prozent Markt zu Hause. Der ist allerdings abrupt weggebrochen. Dabei mussten viele – auch gute – Firmen Insolvenz anmelden. Das ist eine ungute Entwicklung, die wir uns volkswirtschaftlich nicht leisten können.
Bei den Biokraftstoffen lief es ja auch nicht viel anders als beim Biogas.
Ja, da kam der Umschwung schon 2007/2008. als man die Förderung umgestellt hat. Seitdem gibt es keine reinen Biokraftstoffe mehr, sondern es gilt die Beimischungspflicht. Volkswirtschaftlich ist die sicher besser, aber die Quoten sind so gering, dass die Anlagen, die mit viel Steuergeld in Deutschland errichtet wurden, nur zu 2/3 ausgelastet sind. Insgesamt muss man sagen: Wir haben in den letzten 15 Jahren im Bereich der Biomassetechnologien einen hohen Standard erreicht. Aber jetzt müssen wir aufpassen, dass wir nicht wieder den typisch deutschen Fehler machen, etwas zur Weltmarktführer schaft zu puschen und dann den Wagen vor die Wand zu fahren. Das können wir uns auf Dauer nicht leisten.
Sie sprechen von einer neuen Rolle der Bioenergie in der Energiewende. Beschreiben Sie die bitte mal?
Bisher war der Zubau vor allem von der Stromseite her getrieben, also durch das EEG. Anlagenbetreiber verdienen am meisten, wenn sie möglichst rund um die Uhr möglichst viele Kilowattstunden erzeugen. Holzheizkraftwerke und Biogasanlagen werden deshalb über 8000 Stunden im Jahr Volllast gefahren. Das wird natürlich unsinnig, wenn an bestimmten Tagen schon Wind und Photovoltaik den gesamten Bedarf abdecken. Wenn dann zusätzlich eine Biogasanlage läuft, führt das nur dazu, dass irgendwo anders eine Windkraftanlage abgeregelt wird. Das ist natürlich Quatsch. Die Biogasanlage hat ja den Vorteil, dass sie genau dann Strom produzieren kann, wenn zu wenig Wind und zu wenig Sonne zur Verfügung steht. Das ist ihre zukünftige Rolle im Strombereich.
Geht es nur um neue Anlagen oder auch um den Bestand? Wie schnell kann man den flexibilisieren?
Neuanlagen wird es nicht mehr viele geben. Wir haben jetzt etwa 8000 Anlagen. Es geht darum, wie man den Bestand zukunftsfähig machen kann. Einem Großteil der Anlagen sollen Zukunftsoptionen aufgezeigt werden, die dann genutzt werden können, wenn die 20-jährige Förderung abläuft. Der Politik fehlt hier oft das Verständnis dafür, wie Investoren ticken. Ein Investor überlegt sich fünf Jahre bevor die Förderung ausläuft: Nehme ich noch nennenswert Geld in die Hand, damit die Kiste weiterläuft oder fahre ich sie auf Verschleiß, und in 5 Jahren war’s das dann. Daher kann die Politik also nicht 20 Jahre EEG abwarten, sondern muss jetzt schon reagieren.
Ist denn die Biomasse in Deutschland – über Biogas hinaus – generell noch auf einem Ausbaupfad oder ist sie auf einem Umbaupfad?
Sie ist eher auf einem Umbaupfad. Es werden Schwerpunkte anders gesetzt. Die Flexibilisierung ist nur ein Punkt. Ein anderer ist, dass man sich in Zukunft viel stärker auf die biogenen Rest- und Abfallstoffe konzentrieren wird. Außerdem müssen wir schon im Hinterkopf haben, dass wir in den nächsten 50 Jahren eine biobasierte Wirtschaft aufbauen müssen, die das Erdöl für die chemische Industrie ersetzt. Dann brauchen wir auch landwirtschaftliche Flächen, um darauf Rohstoffe für die chemische Industrie anzubauen. Es wird keinen großen Ausbau mehr geben. In Deutschland kommen jetzt etwa 8 Prozent des Primärenergiebedarfs über die Biomasse. Das ist immer noch über 60 Prozent der gesamten erneuerbaren Energien. Diese Größenordnung erreicht man allerdings auch, wenn man nur die gesamten Reststoffe verwerten würde, die anfallen. Für die Bundesregierung haben wir in einer Studie ein Potenzial von 7,3 Prozent des Primärenergiebedarfs errechnet, die mit diesen Reststoffen zu decken wären. Wenn wir bei der Energieeffizienz tatsächlich mal weiter kämen, dann kämen wir mit dem gleichen Material statt auf 7,3 auf bis zu 10 bis 15 Prozent. Das ist eine nennenswerte Größe für das Energiesystem, vor allem vor dem Hintergrund, dass man die Biomasse sehr unterschiedlich einsetzen kann.
Wie viel Effizienzpotenzial und wie viel Treibhausgas-Minderungspotenzial steckt denn noch in den Prozessen der Biomasse-Erzeugung und -Nutzung?
Man muss grundlegend unterscheiden zwischen zwei Konzepten. Das eine ist der Anbau von Energiepflanzen – derzeit in Deutschland auf 2 Millionen Hektar. Hier führt der Energieverbrauch beim Anbau zu einer relativ hohen Grundbelastung. Die muss berücksichtigt werden. Bei den biogenen Reststoffen werden die Emissionswerte hingegen auf Null gesetzt. Mit diesem Konzept kann ich 90 bis 95 Prozent Treibhausgase reduzieren. Bei angebauten Energiepflanzen ist das – je nach Konversionspfad – deutlich weniger.
Stichwort Konversionspfade – wie kann man die verbessern?
Einerseits kann man aus jeder Biomasse eigentlich alles machen. Man kann in Richtung Kälte, Wärme oder Strom gehen. Andererseits muss man sich für jede Biomasse überlegen, was Sinn macht. Der wichtigste Grund, warum zum Beispiel Biogasanlagen im ländlichen Raum gebaut werden sollten, ist die Behandlung von Gülle und Festmist. Um das effizienter und wirtschaftlicher zu machen, ist es aber sinnvoll auch einen Teil Energiepflanzen dazuzugeben. In reine Gülleanlagen müsste man sonst noch Energie hineinstecken, um Biogas zu erzeugen. Ein weiteres Beispiel sind die 25 bis 30 Millionen Kleinfeuerungsanlagen, die in Deutschland betrieben werden – zumeist mit Stückholz. Die Anlagen haben zum Großteil einen geringen Wirkungsgrad und sind emissionsmäßig bedenklich. Auf dem Gebiet forschen wir am DBFZ intensiv. Da kann man den Wirkungsgrad annähernd verdoppeln und bei den Emissionen kann man über katalytische Systeme auch eine Menge verbessern.
Es gibt Wissenschaftler, die finden Biomasse für die bloße Wärmeerzeugung grundsätzlich viel zu schade.
Das kommt drauf an. Wenn man intelligente, tragfähige Pfade für die stoffliche Verwertung findet, dann sollte man die zuerst beschreiten. Wenn der Stoff dabei nicht verbraucht wird, dann fällt er irgendwann wieder als Reststoff an. Und dann sollte der letzte Schritt tatsächlich die energetische Verwertung sein. Solch eine Kaskadennutzung ist viel besser. Auch innerhalb der Kaskaden fallen Reststoffe an, die energetisch genutzt werden können.
Ihr Institut, das DBFZ, ist mit viel Rückenwind aus der Politik gegründet worden. Inzwischen kommt der Wind für die Biomasse eher von vorn. Wie wirkt sich das auf die Stimmung aus?
Es ist schwieriger geworden. Ich selber arbeite ja seit 25 Jahren in der Abfallwirtschaft. Daher bin ich Gegenwind gewohnt. Denn egal welche Anlage man baut, die will nie jemand in der Nachbarschaft haben. Auch bei der Biomasse ist die Stimmung jetzt gekippt und da haben jüngere Mitarbeiter schon so ihre Probleme, wenn sie nun nicht mehr zu den „guten“ Erneuerbaren gehören. Am DBFZ haben wir natürlich weniger Projekte, wenn jetzt Biogasfirmen reihenweise pleite gehen. Aber es geht uns nicht schlecht. Die außergewöhnliche Konstruktion des DBFZ als gemeinnützige GmbH, die an das Bundeslandwirtschaftsministerium angebunden ist, funktioniert gut. Wir haben knapp 200 Mitarbeiter. Wir werben die Hälfte unserer Einnahmen, etwa 6 Millionen Euro pro Jahr, als Drittmittel ein.
Warum geht eigentlich Bio-Landwirtschaft nicht besser mit Bio-Energie zusammen? Auf Bioenergieprodukten klebt im Gegensatz zu immer mehr Lebensmitteln kein Öko-Siegel.
Da gibt es von unserer Seite gar keine Berührungsängste. Bei uns laufen einige Projekte mit Bio-Landwirtschaft. Das passt auch sehr gut zusammen. Durch die Kreislaufwirtschaft können die Höfe sehr positive Effekte generieren, wenn sie zum Beispiel Gülle in Biogasanlagen vorbehandeln. Aber es wird weniger gemacht – wahrscheinlich, weil die Biohöfe eher etwas kleiner sind und die Standard-Biogasanlage schon einen gewissen Viehbestand braucht.
Es gibt – im Gegensatz zu Nahrungsmitteln – keinen Qualitätsmarkt für Bioenergie aus ökologischem Landbau.
Das stimmt. Es gibt nur die einheitliche Vergütung. Vielleicht kann man aber bei der Fortschreibung des EEG solche Boni einrechnen. Das ist durchaus ein wichtiger Aspekt vor dem Hintergrund, dass Bioenergie ja nachhaltig sein soll.
Interview: Guido Bröer
Foto: Jan Gutzeit