Die Energiewende in die Städte tragen

Ob Windkraft, Photovoltaik, Solarthermie oder Biomasse – bisher sind es vornehmlich Landwirte und Einfamilien­hausbesitzer in der deutschen Provinz, auf deren Grund und Boden erneuerbare Energien gewonnen werden. „Die Energiewende muss urbaner werden“, sagt deshalb Tobias Kurth, Geschäftsführer des Strommarkt-Analysten Energy Brainpool in Berlin und erläutert beim Forum Neue Energiewelt Mitte November in Berlin: „Bisher fand die Energiewende im ländlichen Raum statt. In Zukunft müssen die PV-Potenziale der Städte erschlossen werden.“ „Urbanisierung der Energiewende“, das sei eines der wichtigen und trendigen Themen, finden auch Markus Meyer, Leiter Politik beim Branchenverband BSW-Solar, und Fabian Zuber, Berater und Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Nina Scheer,…

Gegenpool zur Ausschreiberei Urbanisierung der Stromerzeugung, das ist somit auch ein klarer Gegenpool zur Ausschreibungsphilosophie, die das neue EEG 2017 prägt. Denn erneuerbare Energien dort zu ernten, wo die Kilo- oder Megawattstunde am kostengünstigsten gewonnen werden kann, das ist nur die eine Seite der Medaille. Der Strom muss ja auch dorthin kommen, wo er gebraucht wird und das sind nun mal die Städte und Ballungszentren. Transport und Handel sind nicht umsonst. Photovoltaik hat noch große Potenziale Von den regenerativenStromtechnologien ist für die regenerative Energiegewinnung direkt beim Verbraucher die Photovoltaik besonders geeignet. Tobias Kurth verweist darauf, dass beispielsweise in Berlin von einem städtischen Photovoltaikpotenzial von mehr als 3 Gigawatt gerade einmal 2 Prozent genutzt würden. Deutlich weiter sei München, wo bei einem wesentlich geringeren Potenzial von 700 Megawatt immerhin schon knapp 8 Prozent genutzt würden. Insgesamt aber, so hat Markus Lohr von der De(nk)zentrale Energie in München errechnet, sei nur 1,4 Prozent der in Deutschland installierten Photovoltaik in den zehn größten Städten verbaut, in denen immerhin 14 Prozent der Bevölkerung lebten. Hinzu kommen Millionen Berufspendler, die sich – überwiegend während der hellen Stunden – in diesen Städten aufhalten und dort Energie verbrauchen. Strom vom Balkon Dass man Photovoltaik in den Städten noch viel kleinteiliger denken kann als im Maßstab der politisch aktuell viel diskutierten Mieterstrom-Modelle, betont Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale NRW. Die Verbraucherschützer machen sich jetzt in einem aktuellen Positionspapier dafür stark, dass für so genannte Balkonmodule bis zu 600 Watt eine Bagatellgrenze für Stromeinspeisung, Zählerwechsel und Meldepflichten geschaffen wird. Wobei der Versicherungsschutz auch bei Inbetriebname durch Laien gewährleistet sein müsse. Selbst wenn man kleine Balkonanlagen nicht und Fassadenflächen ansonsten nur zu 4 Prozent einrechne, bestehe auf dem Stadtgebiet von Berlin allein durch Photovoltaik ein Potenzial zur Erzeugung von 25 Prozent des für eine regenerativen Vollversorgung der Stadt benötigten Stroms, berichtet Professor Bernd Hirschl vom Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). Sein Institut zeichnet verantwortlich für das Berliner Energiekonzept, das Grundlage ist für das Anfang 2016 vom Senat beschlossene Berliner Klimaschutzprogramm. Hirschl sagt: „Wir haben deutlich mehr Erzeugungspotenziale in der Stadt, als früher oft angenommen wurde.“ Schleusen auf! Der Forscher macht aber auch deutlich, dass heutige Stromanwendungen nur ein geringer Teil der Lösung seien, wenn man ernsthaft über die Urbanisierung der Energiewende reden wolle. Wärme und Verkehr seien das größere Thema. Deshalb setzt das IÖW neben der Photovoltaik stark auf Solarthermie und auf flexible Blockheizkraftwerke, die perspektivisch mit Power-to-X-Kraftstoffen betrieben werden können. Selbst deren Erzeugung stellt sich Hirschl zu beachtlichen Anteilen in dezentralen Anlagen vor, die mitten in der Stadt mit Strom aus der Stadt betrieben werden. Und auch an Batterien werdein der Stadt Mangel herrschen, meint Hirschl.Mit zunehmender Verbreitung vonE-Mobilen führen demnächstMillionen Stromspeicher über die Straßen. Eine Botschaft seiner Szenarien adressiert Hirschl direkt an die Politik: „Die Argumentation für das derzeitige Bremsen der Erneuerbaren greift im urbanen Raum überhaupt nicht. Es gibt hier keine Netzengpässe.“ Im Gegenteil entlaste jede in der Stadt erzeugte Kilowattstunde die Übertragungsnetze; ebenso senke jedes Mieterstromprojekt und jeder Eigenverbrauch die EEG-Umlage. Hirschl: „Da kann man nur appellieren, Schleusen auf!“ Text: Guido Bröer Foto: fotolia, Ch_Alexandr

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