Michael Geissler: Mieterstrom hat viel Potenzial
Solarthemen: Wie beurteilen Sie die derzeitigen Chancen für Mieterstromprojekte?
Michael Geißler: Wir sehen perspektivisch ein besseres Umfeld, sowohl regulatorisch als auch bei den wirtschaftlichen Randbedingungen. Aber es gibt noch viel Luft nach oben, vor allem bei Mieterstromprojekten mit Photovoltaikanlagen. Wir selbst als Berliner Energieagentur produzieren bereits seit 20 Jahren Mieterstrom in Blockheizkraftwerken und mit PV-Anlagen, teilweise kombiniert in einzelnen Gebäuden. Das haben wir in hohem Umfang standardisiert und mittlerweile an 65 Standorten in Berlin und Umland für rund 4000 Haushalts- und Gewerbekunden realisiert. Bei den Photovoltaikanlagen stehen auch wir noch am Anfang, was die Wirtschaftlichkeit betrifft. Wir müssen uns hier mit anderen Rahmenbedingungen auseinandersetzen als beim BHKW-Segment.
Wo sehen Sie die wesentlichen Unterschiede zwischen BHKW- und Solarstrom?
Wir haben bei der Photovoltaik noch höhere Produktionskosten, insbesondere bei Anlagen in Bestandsgebäuden. Angesichts des erheblichen Neubaus in Berlin gibt es jedoch zunehmend die Chance, bereits bei der Planung von Wohngebäuden das Thema PV zu integrieren und somit sowohl die Produktionskosten zu senken als auch von Anfang an eine höhere Mieterstromkundenquote zu erzielen. Das ist ein grundsätzliches Momentum, was für mehr PV-basierte Mieterstromprojekte in Zukunft spricht. Hinzu kommt der Rückgang bei den Errichterkosten aufgrund gesunkener Modulpreise und natürlich das aktuelle Zinsniveau. Das hat natürlich erhebliche Auswirkungen auf die Vollkosten bei einem 20-jährigen Betrieb.
Wie stark belastet die EEG-Umlage die Mieterstromprojekte?
Wir arbeiten seit vielen Jahren immer mit der jeweils geltenden EEG-Umlage, egal ob beim BHKW- oder PV-Strom. Das schränkt die Wirtschaftlichkeit und damit die Menge solcher Projekte massiv ein. Gar keine Frage. Es ist unsere politische Forderung, dass man ein PV-Mieterstromprojekt einer Eigenversorgung gleichstellen muss. Die jetzige Unterscheidung macht ökologisch, sozial und daher politisch keinen Sinn. Ich glaube auch, dass der Gesetzgeber im neuen EEG durch die geplante Verordnungsermächtigung zum Mieterstrom dies verstanden hat. Durch eine zumindest reduzierte EEG-Umlage bei Mieterstromprojekten würde es wirtschaftlich einfacher werden, mehr Projekte als bisher umzusetzen und man hätte auch in der Preisgestaltung etwas mehr Spielraum.
Sehen Sie den Gesetzgeber bei der Verordnung auf dem richtigen Weg?
Ich kenne noch keinen Referentenentwurf. Ich kann mich daher nur auf die Diskussionen beziehen, die im Vorfeld gelaufen sind. Diese und auch die wirtschaftlichen Überlegungen im Hintergrund haben gezeigt, dass Mieterstrom bisher eine vergleichsweise riskante und eher renditeschwache Investition ist. Deshalb sind Gebäudeeigentümer und Betreiber noch eher zurückhaltend. Als Energieagentur, an der sowohl das Land Berlin als auch die KfW beteiligt ist, sind wir jedoch auch einem gewissen gesellschaftlichen Anliegen verpflichtet, mehr Klimaschutzmaßnahmen auf den Weg zu bringen. Das heißt nicht, dass wir riskante Investitionen tätigen. Aber wir sind bei der Realisierung von Projekten nicht davon getrieben, dass ein möglichst großer Gewinn herausspringt. Insofern sehen wir uns als Frontrunner für andere, die von unseren Erfahrungen lernen können. Insgesamt sehe ich, dass beim Gesetzgeber allmählich ein Paradigmenwechsel einsetzt, hin zu wirklicher Dezentralität auch in den Städten und Metropolen. Da hat die Diskussion um den Ausbau der Höchstspannungsleitungen von Nord nach Süd ein Übriges getan.
Was sind denn jetzt Voraussetzungen für erfolgreiche Projekte?
Es ist so banal, wie es ist: Die elektrische Anschlusssituation muss stimmen, das Dach muss baulich geeiniget sein und die Eigentümerstruktur muss stimmen. Denn bei jedem Projekt brauchen Sie einen Gebäudeeigentümer, der die Errichtung einer solchen Anlage unterstützt. Dafür braucht es eine gewisse ideelle Begeisterung, denn kaufmännisch ist das für einen Hausbesitzer weder jetzt noch in Zukunft attraktiv.
Mieter haben die Entscheidungsfreiheit, von wem sie ihren Strom beziehen. Wie groß wird dadurch das Risiko?
Das ist ein hohes unternehmerisches Risiko. Aber der Erfolg hängt davon ab, wie geschickt man das Geschäft anpackt, sprich, wie gut man in der Kundenbetreuung ist. Dabei spielt die Glaubwürdigkeit eine große Rolle für die Akzeptanz. Unser Mieterstrom, den wir BEA-Kiezstrom nennen, hat eine nur vierwöchige Kündigungsfrist. Der steht voll im Wettbewerb, es gibt keine komplizierten Boni oder andere Haken und Ösen. Man muss sich klar sein, und das sage ich auch den Politikern, dass hinter einem Mieterstromprojekt ein personalintensiver Marketingaufwand steckt, der auch erwirtschaftet werden muss.
Was wäre wichtig in der Mieterstromverordnung, was sollte darin stehen?
Die Verordnung sollte keine zusätzlichen bürokratischen Hemmnisse aufbauen. Das ist das alles Entscheidende. Stellen Sie sich mal vor – ich male hier mal den Teufel an die Wand – der Gesetzgeber schreibt vor, wie der Preis auszusehen hätte. Das würde den Markt nachhaltig schädigen. Wichtig ist uns, dass wettbewerblich kein Unterschied gemacht wird, ob ein Gebäudeeigentümer selbst oder ein Dienstleister die Mieterstromversorgung realisiert. Hier darf es keine Ungleichbehandlung geben, sonst erstickt man einen Markt, noch bevor er sich entwickelt hat.
Eigen- als auch Mieterstrom wird derzeit eng definiert, meist nur bezogen auf ein Gebäude. Sollte man nicht eher ein Quartier betrachten?
Ja. Zukünftig sollte man nicht auf ein einzelnes Gebäude abstellen, sondern auf die räumliche Nähe – die ist auch hinlänglich definiert. Auch für ein Gebäudeensemble mit einem Eigentümer sollte ein Mieterstromprojekt möglich sein, wenn der räumliche Zusammenhang gegeben ist. Es versteht doch auch niemand, warum ein Mieter, der in Haus 1 wohnt, den Mieterstrom bekommen kann, aber nicht der Mieter von Haus 2, der denselben Vermieter hat. Hier sollte man zukünftig, was die Definition eines Quartiers und dessen Grenzen angeht, eher großzügig vorgehen als allzu restriktiv. Alle wollen die energetische Quartiersentwicklung voranbringen – also müssen die Rahmenbedingungen auch stimmen.
Was würden Sie anderen, die Mieterstromprojekte angehen wollen, empfehlen?
Ganz einfach: sie sollten sich über die Vollkosten Gedanken machen. Auf 20 Jahre betrachtet sind nicht nur die Anfangsinvestitionen relevant, sondern auch andere Dinge wie Versicherungen, Wartungen, Finanzierungen und andere kleine Dinge, die bei einer relativ geringen Verzinsung über Plus oder Minus entscheiden können. Und natürlich müssen gerade Mieterstromprojekte fachlich und betriebswirtschaftlich gut gemacht sein. Unsere Anlagen haben zum Beispiel einen überdurchschnittlich hohen spezifischen Ertrag pro kW Leistung.
Braucht man für ein Projekt eine bestimmte Größe oder ist das auch für ein 6-Familien-Haus machbar?
Sie können das machen, wenn alle sechs Familien diesen Strom beziehen. Aber dann müssen Sie in der Verwaltung mit Blick auf die energiewirtschaftlichen Zusammenhänge schon sehr effizient sein. Dann dürfen nicht drei von sechs anfangen, über den Strompreis zu diskutieren oder über Abrechnungsmodalitäten.
Und welche Vorbehalte werden zu Mieterstromprojekten geäußert?
Die technischen Fragen kann man mit dem Eigentümer klären und hat danach eine gute Entscheidungsgrundlage. Doch das eigentliche Momentum liegt bei den Mietern. Sie müssen dieses Angebot annehmen. Es ist freiwillig! Rechnet man also zu Beginn mit einer Beteiligungsquote von weniger als 30 Prozent, ist ein Projekt meiner Ansicht nach rein wirtschaftlich nicht attraktiv. Unsere Projekte zeigen, dass man mehr erreichen kann. Im Schnitt kommen wir auf eine Mieterbeteiligung von 70 Prozent und bei einigen Projekten liegen wir sogar weit darüber.
Welche Perspektiven sehen Sie für den Mieterstrom in den kommenden Jahren, so etwa bis 2020?
Es hängt alles ganz massiv davon ab, wie die Verordnungsermächtigung aussehen wird. Ich nehme es so wahr: In der Wohnungswirtschaft gibt es eine große Erwartungshaltung und einen großen Willen, sich dem Mieterstrom zuzuwenden. Denn auch große Wohnungsbaugesellschaften wollen in diesen Markt hinein. Sie wollen es vielleicht sogar selbst machen über die von ihnen gegründeten Tochtergesellschaften. Insofern ist eine Nachfrage und eine positive Stimmung vorhanden. Daher glaube ich, wenn wir weiterhin sinkende Errichtungskosten haben, wenn sich die Finanzierungssituation nicht gravierend verschlechtert und wenn wir gesetzlich stabile Rahmenbedingungen haben, dann wird sich hier ein attraktiver Markt auftun mit vielen Chancen für die heimische Wirtschaft und das Handwerk.
Interview: Andreas Witt
Foto: Berliner Energieagentur