Hans-Josef Fell im Interview: Kombikraftwerke vergüten!

Foto: Guido Bröer
Solarthemen 490. Hans-Josef Fell, der ehemalige Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, hat das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit entworfen und durchgesetzt. Seit 2013 ist er als Gründer und Präsident der Energy Watch Group weltweit als eine Art Energiebotschafter unterwegs. Solarthemen-Redakteur Guido Bröer besuchte Fell in seiner Heimatstadt Hammelburg und sprach mit ihm über Alternativen zur derzeitigen Förderpolitik.

Solarthemen: Wie kommen Sie als ein Vater des EEG damit klar, dass Ihr Kind sich mittlerweile stark verändert hat und unter ganz anderen Einfluss geraten ist?

Hans-Josef Fell: Das EEG war immer schon als lernendes Gesetz angelegt, das sich an den Marktentwicklungen orientieren muss. Es sollte jeweils von den Abgeordneten so angepasst werden, dass es optimiert die Marktentwicklung begleitet. Leider sind daraus unter Frau Merkel Veränderungen geworden, die nicht mehr der Leitlinie „wachsen lassen, Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien” folgen. Zum Beispiel die Abschaffung der Vergütung für Pflanzenöl BHKW, die wir heute dringend bräuch­ten. Denn sie sind hochflexibel und dienen so dem Ausgleich von Sonne und Wind. Dann kam die Veränderung des Wälzungsmechanismus, der verheerend wirkt, weil durch ihn die EEG-Umlage hoch geschossen ist und sie nun nicht mehr die wahren Kosten der Vergütungszahlungen zeigt. Damit wurde ein Angriffsfeld gegen die Erneuerbaren aktiv geschaffen. Später folgten Aktivitäten gegen die Photovoltaik. Dann ging es mit den Bioenergien weiter und jetzt kommt der Wind dran. Die EEG-Novellen haben nichts mehr zu tun mit Klimaschutz, sondern nur mit Bestandsschutz für Kohle.

Ist das EEG, ausgehend von seiner heutigen Form, überhaupt noch im Sinne seiner Erfinder reformierbar?

Ja. Natürlich können wir wieder zurück zu Vergütungen in allen Sektoren. Windenergie, Solarenergie, PV-Freiflächenanlagen und auch die Bioenergie brauchen das auch. Wir sollten den Vorschlag der EU-Kommission beachten, die empfiehlt, bis 18 Megawatt keine Ausschreibungen zu machen, und zumindest Bürgerenergiegemeinschaften davon frei­zu­stellen. Das wäre ein Hebel, um die ehemals treibende Kraft in Deutschland, die vielen kleinen dezentralen Akteure, die Privatleute, Landwirte, Stadtwerke und Bürgergemeinschaften wieder zum Zuge kommen zu lassen.

Braucht das EEG denn nicht steuernde Elemente, wenn die Erneuerbaren das Rückgrat der Stromversorgung bilden sollen?

Natürlich muss man darauf achten, dass die Netzintegration stattfindet, dass wir Speicher und Flexibilitäten schaffen, um die Schwankungen von Solar- und Windenergie auszugleichen. Deswegen haben wir ja seinerzeit gerade den Mix der erneuerbaren Energien gewünscht. Doch Bioenergie, Wasserkraft und Geothermie, die flexiblen Energien, sind im Ausbau faktisch auf Null zusammengedrückt worden. Dies allein zeigt schon, dass es der amtierenden Bundesregierung gar nicht darum geht, die Flexibilitäten für den Ausgleich von Solar- und Windenergie zu schaffen. Sie verkauft stattdessen Ausbremsen der Investitionen in Erneuerbare als Netzintegration. Wenn wir in Klimaschutzkategorien denken, brauchen wir aber das schnelle Wachstum. Und im Einklang mit diesem schnellen Wachstum muss die Netzintegration geschafft werden.

Mit welchen politischen Instrumenten?

Wir haben die große Möglichkeit, innerhalb des EEG genau die Aktivitäten anzureizen, die in der Lage wären, schon dezentral vor Ort das zu erfüllen, was das Gesamtsystem braucht. Das kann man mit einer Kombikraftwerks-Einspeisevergütung machen. Dabei ist dem Investor freigestellt, welchen erneuerbaren Mix aus Kraftwerken und Speichern er nutzt. Er muss nur die Bedingung erfüllen, ganzjährig viertelstundengenau 100 Prozent erneuerbare Energie für das Netz oder den Eigenbedarf herzustellen. Als Kom­bi- kraftwerksvergütung kann heute schon 10 Cent pro Kilowattstunde ausreichen. Damit würde eine starke Dynamik entstehen. Es würde genau das passieren, was wir brauchen: Von unten dezentral vernetzt über tausende von Akteuren wird der Ausgleich der Schwankungen organisiert. Das ist ein ganz anderer Ansatz als der planwirtschaftliche, es von oben zu diktieren.

Soll Ihre Kombikraftwerksvergütung bisherige Vergütungsmodelle ganz ersetzen?

Wir brauchen auch noch die klassischen Vergütungen für die einzelnen Investitionen, um den Markt zu stützen. Aber wenn wir dann nach drei oder vier Jahren sehen, dass eine echte Dynamik entsteht, dass die Innovation und die Investitionstätigkeit so stark geworden ist, dass es selbsttragende Effekte gibt, dann kann man darüber nachdenken, die klassischen Vergütungen zurückzufahren und es nur noch bei dieser kombinierten Vergütung zu belassen. Dahinter steckt viel Innovationskraft. Man muss Power to Gas, Power to Heat, Power to Traffic nutzen, sonst bekommen wir den Überschussstrom lokal gar nicht unter. Somit haben wir über die Kombikraftwerksvergütung gleich auch die Sektorenkopplung geschaffen.

Wie kann die Politik aus der Stromwende eine echte Energiewende machen?

Im Wärme und Verkehrsbereich stagnieren die erneuerbaren Energien und im Transportsektor sind sie massiv rückläufig durch die Dezimierung der Biokraftstoffnutzung. Wir hatten von Anfang an im Blick gehabt, mit dem EEG die wichtigste Energieform besonders zu stützen, die später auch die anderen Sektoren durchdringen muss.

Verkehrswende per EEG?

Ja natürlich. Den Verkehr konnten wir zwar noch nicht direkt angehen, weil es damals keine politische Unterstützung für die Elektromobilität gab. Aber für uns Protagonisten war damals klar, dass der Überschussstrom aus Solar- und Windenergie auch in die Elektromobilität fließen muss, so dass deren Flexibilität genutzt werden kann. All dies war schon immer im Sinn. Es ist nur nie organisiert worden. In den ersten Jahren unter Rot-Grün gab es noch nicht die Notwendigkeit. Wir haben damals immerhin die Kraftwärmekopplung stark gefördert, weil Nahwärmesysteme ein wichtiges Element sind. Jetzt geht es darum, im Energiewirtschaftsgesetz die Verbindung der Speicher mit den anderen Flexibilitäten richtig zu organisieren. Und zwar, indem man auch die gesellschaftlichen Kräfte aufgreift. Wir haben Neugründungen von Energiegesellschaften fast nur noch im Wärmesektor. Dort gibt es Dorfgemeinschaften, die umstellen auf Nahwärmesysteme, um die Abwärme einer Biogasanlage, solare Wärme oder auch Windenergie dort hineinzubringen. Das genau gehört angereizt. Ich komme zurück zur Kombikraftwerksvergütung. Sie ist das Instrument, das diese Aktivitäten massiv befördert. Dazu gehören auch bidirektionale Ladesäulen, wo Batterien von Elektroautos eingebunden werden.

Ist die Kombikraftwerksvergütung eine Art eierlegende Wollmilchsau?

Es diskutiert bloß kaum jemand darüber. Das liegt daran, dass alle nach direktiven Maßnahmen suchen, wie der Staat von oben mit Planwirtschaft lenken kann. Sie haben nicht im Blick, wie sich dezentral von unten etwas entwickeln kann und wie sie die Selbstorganisation der Gesellschaft zulassen können. Das finde ich nicht mehr in der Regierung und im Bundestag.

Welche Möglichkeit liegt in den bestehenden Instrumenten, die teils schon unter Rot-Grün für den Wärmesektor entwickelt wurden, etwa das Marktanreizprogramm?

Ich persönlich wollte das Marktanreizprogramm nie haben. Es ist gekommen, weil ja auch der Strom aus erneuerbaren Energien besteuert wurde, was damals schon eine Fehlleistung in der Ökosteuerreform war. Und aus den Einnahmen der Besteuerung des Regenerativstroms wurde ursprünglich das Marktanreizprogramm gebildet. Ich hatte immer vor staatlich subventionierten Förderprogrammen gewarnt. Es hat in 15 Jahren kaum was gebracht.

Die Alternative?

Nach Alternativen haben wir im Wärmesektor lange gesucht – nach ähnlichen Elementen wie der Einspeisevergütung für Strom. Bei Wärme ist es aber komplexer. Wir haben dran gearbeitet, aber es unter rot-grün nicht mehr geschafft. Es ist in den letzten Jahren zu wenig Grips hineingesteckt worden. Die staatlichen Subventionen funktionieren nicht. Das sehen wir jetzt auch am Elektroauto, wo die 5000 Euro wenig helfen. Das sind falsche Instrumente. Wir brauchen ganz andere Anreize, zum Beispiel über Privilegien für Elektroautos im Verkehrssektor. Die Bundesgesetzgebung ermöglicht nun endlich, dass Kommunen und Städte Privilegien geben können. Aber die scheuen sich noch, diese Möglichkeiten anzuwenden.

Was halten Sie vom Ordnungsrecht im Wärmesektor?

Einen Stopp des Neubaus von Ölheizungen fordern wir schon lange. Nach dem Elbehochwasser hatten wir es sogar schon fast im Bundestag durch, wenigstens in Überschwemmungsgebieten Ölheizungen zu verbieten. Aber selbst diese vom klassischen Umweltschutz her notwendige Maßnahme war nicht durchzubringen. In dieser Richtung zu denken, macht Sinn. Man muss es behutsam machen mit Übergangszeiträumen. Stattdessen werden heute verrückterweise wieder reine Ölheizungen subventioniert.

Diese Förderung soll ja ein Ende haben, wenn man Ministerin Zypries glauben kann.

Sowas glaube ich immer erst, wenn ich es schwarz auf weiß sehe.

Deutschland sieht sich international als das große Vorbild in Sachen Energiewende. Sie
waren in den letzten Jahren viel im Ausland unterwegs. Von wem können wir Deutschen etwas für die Energiewende lernen?

Wir können inzwischen sehr viel von China lernen. Sie haben zwar planwirtschaftliche Elemente in Form ihrer 5-Jahres-Pläne, führen sie aber mit markwirtschaftlichen Vergütungen aus und lassen all diese Vorgaben maßlos übererfüllen. Sie machen inzwischen integrative Systeme. BYD wird in diesem Jahr 200000 Elektrobusse verkaufen, die alle bidirektional am Netz hängen und zum Ausgleich der Schwankungen von Solar- und Windstrom dienen. Mit der Agrophotovoltaik hat China eine weitere innovative Entwicklung im großen Maßstab.

Ich dachte, da gebe es bislang nur eine kleine Forschungsanlage am Bodensee.

Nein. In China gibt es in der Wüste Gobi eine riesengroße Anlage – ich schätze ein Gigawatt –, wo vorher nichts gewachsen ist. In Deutschland haben wir für PV über bewirtschafteten Ackerflächen nicht einmal eine Förderung. Ich weiß nicht, warum in Berlin nur noch Blockadedenken herrscht, statt offen zu sein für Innovationen. Es gibt inzwischen 48 Staaten, die beschlossen haben, ihre ganze Energieversorgung 100-prozentig auf erneuerbare Energien umzustellen. Deutschland ist weit abgehängt in der Welt.

Interview und Foto: Guido Bröer

Close