Interview mit Prof. Dr. Claudia Kemfert: „Solarenergie wird diskreditiert”

Prof. Dr. Claudia Kemfert leitet seit 2004 die Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Sie ist Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance und Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen.In ihrem neuen Buch mit dem Titel „Das fossile Imperium schlägt zurück“ befasst sie sich mit der Lobbypolitik etablierter Kraftwerksbetreiber.

Solarthemen: Ihr neues Buch trägt den Titel „Das fossile Imperium schlägt zurück“. Ist das nicht übertrieben?

Claudia Kemfert: Es wäre übertrieben, wenn man den offiziellen Verlautbarungen glaubt, dass alle die, die angeblich die Energiewende wollen und sich für den Klimaschutz engagieren, dies tatsächlich anstreben. Die Taten sehen aber ganz anders aus. Fakt ist: Die Energiewende ist erfolgreich, zu erfolgreich. Global fließen deutlich mehr Investitionen in erneuerbare als in fossile und atomare Energieerzeugung. Zudem sinken die Kosten der Erneuerbaren kontinuierlich weiter. Dagegen sind immer mehr Unternehmen, die mit der Kohle verbunden sind, in finanzieller Schieflage, müssen sogar Insolvenz anmelden oder erhalten Subventionen. Das gefällt den Unternehmen, die in diesen Bereichen ihr Geld verdienen, nicht. Doch statt sich auf die neue Welt einzustellen und ihre Geschäftsmodelle anzupassen, schlagen sie zurück. Gerade in den USA ist das momentan sehr sichtbar, wo sie ihre politischen Handlanger mit Klimaskeptikern und ehemaligen Bossen von Ölunternehmen gefunden haben, die in den höchsten politischen Ämtern platziert wurden. Und mittels einer rückwärts gewandten Energiepolitik will man den Erfolg der Energiewende abwürgen. Auch in Deutschland wundert man sich über so manche politische Entscheidung: Erneuerbare Energien bekommen eine Ausbaubremse, Kohlekraftwerke „Abwrackprämien“, Stromleitungen werden überdimensioniert geplant. Anstelle von Gespensterdebatten um angebliche Kosten erneuerbarer Energien und fehlende Stromleitungen sollte man doch die dezentrale Energiewende voranbringen.

Auch die Solarindustrie sieht sich Anfeindungen ausgesetzt, zumindest werden politische Beschlüsse so in der Branche erlebt.

Die Anfeindungen gegen die Solarindustrie sind Teil dieses Kampfes um Strom. Herr Gabriel hat als Bundeswirtschaftsminister ja mal das Bild geprägt, dass die erneuerbaren Energien keinen Welpenschutz mehr brauchen. Und jetzt tobt und bellt eine in die Jahre gekommene Horde von Rottweilern – um mal bei diesem Bild zu bleiben –, die ihre besten Tage hinter sich haben. Denen passt das überhaupt nicht, dass sich die jungen Hunde nicht mehr devot auf den Rücken werfen, sondern ihren Platz beanspruchen. Die alten versuchen die jungen wegzubeißen. Das ist der Kampf um die Fressnäpfe. Fakt ist: Die Solarindustrie ist sehr erfolgreich. Die Kosten sinken kontinuierlich und die Nachfrage steigt global an. Die Solar­industrie wird auch gegenüber den konventionellen Energien immer wettbewerbsfähiger. Zwar stehen deutsche Unternehmen im internationalen Wettbewerb im Moment nicht mehr gut da. Das hat auch mit der Subventionspolitik in anderen Ländern zu tun. Deutschland subventioniert derzeit lieber die Vergangenheit zu Lasten der erneuerbaren Energien. Doch global findet man die meisten Insolvenzen derzeit vor allem in der Kohleindustrie. Abwrackprämien und andere Subventionen sollen das Überleben der fossilen Energien verlängern. Die Solarenergie aber hat dagegen kein Zukunftsproblem.

Gerade von Seiten der Stromwirtschaft wird erklärt, mit dem Betrieb von Solarstromanlagen könne es zu einer Entsolidarisierung kommen, weil die Anlagenbetreiber, die den Strom selbst nutzen, die Netze nicht mitfinanzierten. Wie beurteilen Sie als Wirtschaftsexpertin diese Aussage?

Das ist wieder eine der absurden Mythen, die durch die Welt kursieren. Fakt ist: Die Energiewende ist Solidarität und sie ist auch Teilnahme pur. Die Solaranlagen, gerade wenn sie Batteriespeicher nutzen, können die Netze erheblich entlasten und so auch Kosten senken. Wichtig ist, dass Solaranlagen und Speicher systemdienlich genutzt werden. Dafür muss man sie auch ins dezentrale Netz integrieren. Zu dem Thema haben wir kürzlich eine große Studie fertiggestellt. Die künftigen Netzentgelte sollten diesen Effekt mit berücksichtigen. Die dezentrale Solarenergie ist ein wesentlicher Bestandteil der Energiewende.

In ihrem Buch erklären Sie, der jetzt geplante Netzausbau sei überflüssig, er werde nur für die fossilen Kraftwerke gebraucht. Wie das?

Ganz einfach: Nur weil wir derzeit zwei Systeme parallel aufrechterhalten – das konventionelle und das neue – müssen wir die Netze ausbauen. Das ist wie überall im Leben: Wer unbedingt sein Auto weiterfahren möchte, findet in seiner Garage nicht direkt Platz für ein Fahrrad und muss anbauen. Das liegt dann nicht daran, dass in der Garage nicht genug Platz wäre. Da könnte man sogar mehrere Fahrräder unterbringen. Das gleiche gilt für die Netze. Unsere Modellrechnungen zeigen sehr deutlich, dass auf den überdimensionierten Übertragungsnetzausbau verzichtet werden kann, wenn man schneller aus der Kohleverstromung aussteigt und mehr auf dezentrale Erzeugung setzt.

Aber werden die Netze nicht auch gebraucht, um Windstrom vom Norden in den Süden zu bringen?

Windstrom, der den Kohlestrom ersetzt, hat ja auch Platz im jetzigen Netz. Der könnte transportiert werden. Aber konventionelle Kraftwerke werden bei hohen Anteilen erneuerbarer Energien nicht im ausreichenden Maß abgeregelt. Kohlekraftwerke sind viel zu unflexibel. Gaskraftwerke sind in der Übergangszeit deutlich besser geeignet, weil sie flexibler sind. Wenn wir auf den Süden blicken, müssten dort erneuerbare Energien wesentlich stärker ausgebaut werden. Zudem haben auch die Österreicher und Schweizer ein Interesse daran, ihren Strom nach Deutschland zu verkaufen. Das ist für den deutschen Süden viel relevanter.

Einige Experten sagen, die Netze würden die Energiewende erst ermöglichen, ausreichende Netze in Europa würden teure Speicher sparen.

Mit den Netzen wird sehr viel Geld verdient. Die Unternehmen machen hier garantierte Traumrenditen. Klar fallen denen eine ganze Menge Argumente ein, warum wir davon immer mehr brauchen. Und weil die Energiewende von der Bevölkerung gewollt ist, muss auch sie zur Begründung herhalten. Um im Bild zu bleiben: Auch Radfahrer mögen lieber befestigte Wege, aber sie brauchen keine achtspurigen Autobahnen. Fakt ist: Stromautobahnen nutzen vor allem den herkömmlichen Energieunternehmen. Wer eine dezentrale und auch intelligente Energiewende will, der baut besser Speicher. Und je mehr Speicher – die zudem bei größerer Produktion immer billiger werden – desto weniger Übertragungsnetze und desto besser für eine erfolgreiche und kluge Energiewende.

Vor allem Wind-, aber auch Solarstromanlagen werden immer häufiger abgeregelt. Zeigt das nicht, dass die Energieinfrastruktur mit dem Ausbau der er­neu­erbaren Energien derzeit nicht Schritt halten kann?

Das ist ein weiterer Mythos, der vor allem von den Energiewendegegnern genutzt wird. Die behaupten, erneuerbare Energien seien überflüssig, man müsse erst auf Netze und Speicher warten. Wenn wir beim Bild bleiben: Wenn man das Fahrrad erst mühsam aus dem Keller tragen muss, springt man lieber ins Auto, um Einkaufen zu fahren. Aber das ist kein Argument, um das Fahrrad abzuschaffen. Es sind genau diese Gespensterdebatten, die uns verwirren und vom Wesentlichen ablenken sollen. Die Abregelungen egal welcher Art sind ja eine Reaktion auf die massiven Überkapazitäten, die wir im Strombereich haben. Statt der erneuerbaren sollten wir besser die konventionellen Energien abregeln. Das wird aber aufgrund der Must-Run-Kapazitäten der Kraftwerke nicht gemacht.

Interview: Andreas Witt
Foto: DIW

Beliebte Artikel

Schließen