Solarthermie meets Fernwärme
Rund 200 Experten kamen zu der Tagung, zwei Drittel dieser Interessierten seien Mitarbeiter von Stadtwerken, freute sich Karin Rühling vom Lehrstuhl für Gebäudeenergietechnik und Wärmeversorgung der TU Dresden, die die Veranstaltung im Anschluss an das traditionelle Dresdener Fernwärmekolloquium organisiert hatte. Werner Lutsch, Geschäftsführer des Fernwärmeverbandes AGFW konstatierte, dass in jüngster Zeit das Interesse seiner Branche für die Solarthermie gewachsen sei: „Wir haben früher noch gewisse Berührungsängste gehabt, aber mittlerweile sind wir darüber hinweg.“ Verantwortlich ist dafür nicht zuletzt Druck aus Brüssel. Die EU-Kommision sieht in ihrem so genannten „Winterpaket“ vor, den Mitgliedsstaaten mit Artikel 23 der europäischen Erneuerbare-Energien-Richtlinie Jahr für Jahr eine 1-prozentige Erhöhung des regenerativen Anteils an der Wärme- und Kälteversorgung aufzuerlegen. Referenzanlagen Das Interesse von technischen Geschäftsführern von Stadtwerken und anderen Fernwärmeversorgern wächst aber auch deshalb sprunghaft, weil nun auch in Deutschland seit gut einem Jahr erste Solaranlagen in Fernwärmenetze einspeisen, die nicht mehr nur die technische Machbarkeit demonstrieren, sondern sich auch in Sachen Wirtschaftlichkeit nicht verstecken müssen. Allen voran die vor Jahresfrist eingeweihte deutschlandweit größte Solarthermieanlage der Stadtwerke Senftenberg, die sich mittlerweile zur Pilgerstätte für Fernwärmeexperten entwickelt hat. Deren Geschäftsführer, Detlef Moschke, betont ein ums andere Mal, dass das 8300 Quadratmeter große Kollektorfeld mit seiner Leistung von bis zu 5 Megawatt rein aus wirtschaftlichen Gründen gebaut worden sei. Und die Betriebsergebnisse geben Moschke inzwischen Recht: Im ersten Jahr lieferte die Anlage mehr als den erwarteten Ertrag von 4 Gigawattstunden an das Fernwärmenetz. Dabei überzeugt Experten vor allem, dass die vom Hersteller Ritter XL solar gelieferte Röhrenkollektoranlage im überwiegenden Teil ihrer Betriebszeit nicht wie früher üblich in den Rücklauf des Fernwärmenetzes einspeist, sondern direkt in den heißeren Vorlauf. Und das auf einem Temperaturniveau von 90 Grad und mehr, wie es in deutschen Bestands-Wärmenetzen gängig ist. Die Anlage in Chemnitz, die mit ihren 2136 Quadratmetern Flachkollektoren ebenfalls seit gut einem Jahr läuft, kann hingegen in ein neu konzipiertes Niedertemperatur-Subnetz einspeisen, das den Stadtteil Brühl versorgt. Bei Vorlauftemperaturen von nur 70 Grad können Flachkollektoren – die hier vom österreichischen Hersteller Greenonetech stammen – wesentlich effizienter arbeiten als bei höheren Temperaturen. Dass auch Flachkollektoren grundsätzlich in der Lage sind, ohne Glycol als Frostschutzmittel zu arbeiten, hat die Chemnitzer Anlage nach Aussage ihres technischen Mentors, Thorsten Urbaneck von der TU Chemnitz, bewiesen. Den ersten Winter habe sie problemlos überstanden. Allerdings wurden vorsichtshalber 6 Prozent ihres solaren Jahresertrages für ihre Beheizung bei Minusgraden eingesetzt. Dieser Wert lasse sich schon im nächsten Winter deutlich optimieren, ist Urbaneck überzeugt. Die Senftenberger Vakuumröhrenkollektoren benötigten demgegenüber auf Anhieb nur einen Fostschutz von 1,5 Prozent des solaren Jahresertrages. Lediglich 0,1 Prozent mussten dabei nach Aussage von Ritter-Bereichsleiter Rolf Meissner aus dem Fernwärmenetz entnommen werden. Der nächste Quantensprung Der nächste Quantensprung für die solare Fernwärmeversorgung in Deutschland kündigt sich in der Stadt Hennigsdorf nordwestlich von Berlin an. Die dortigen Stadtwerke haben jüngst eine Machbarkeitsstudie abgeschlossen, wie die Fernwärmeversorgung der Industriestadt mit 26000 Einwohnern innerhalb der nächsten Jahre klimaneutral werden soll. Neben einem vorhandenen Biomasse-Heizwerk und 30 Prozent bislang ungenutzter Abwärme aus dem örtlichen Elektrostahlwerk ist auch die Solarthermie in den Plänen ein wesentlicher Baustein. Das Fernwärmenetz soll sich dabei zu einer „Wärmedrehscheibe“ entwickeln, wie es die Hennigsdorfer zeitgemäß nennen. Eine zentrale Rolle soll dabei ein Wärmespeicher spielen, dessen Betonhülle 22000 Kubikmeter Wasser fassen und der mit einer neuartigen schwimmenden Abdeckung zur Wärmedämmung versehen werden soll. Schon weil das Netz die plötzlichen Schwankungen von bis zu 50 Megawatt aus der Abwärme des Stahlwerkes nicht verkraften könnte, wird dieser Speicher als Puffer gebraucht. Zugleich eröffnet er aber die Möglichkeit, als Multifunktionsspeicher für einen 10-MW-Power-to-Heat-Kessel Schwankungen im Stromnetz zu puffern und daneben große Mengen Solarwärme einzulagern. In Hennigsdorf soll im kommenden Jahr zunächst eine 3000 Quadratmeter große Solaranlage ans Netz angeschlossen werden. Im zweiten Schritt soll eine große Solarthermieanlage mit rund 17000 Quadratmetern Kollektorfläche auf einer ehemaligen Schlackehalde des Stahlwerkes entstehen. In noch größeren Maßstäben denkt bereits der Dresdener Kommunalversorger Drewag. Hier läuft gemeinsam mit der TU Dresden die Machbarkeitsstudie für einen 500000 Kubikmeter Wasser fassenden Wärmespeicher in einer ehemaligen Kiesgrube nebst endsprechend riesiger Solarflächen. Mit einem solchen Projekt würden selbst die Dimensionen des Vorreiterlandes Dänemark gesprengt. Beeindruckt von solchen Aussichten zeigte sich in Dresden der Vertreter des gastgebenden Bundeswirtschaftsministeriums, Unterabteilungsleiter Frank Heidrich. Sein Fazit: „Fernwärme und Solarthermie – hier kommt zusammen, was zusammen gehört.“ Text und Foto: Guido Bröer