Breiter Konsens für die Energiewende
Demnach befürworten 88 % der deutschen Bürgerinnen und Bürger die Energiewende, quer durch alle Bildungs-, Einkommens- und Altersgruppen und politischen Präferenzen, auf dem Land wie in den Städten. Rund zwei Drittel der Deutschen sehen jedoch eine soziale Schieflage bei der Energiewende. Über 65 % sind der Meinung, dass die kleinen Leute die Kosten der Energiewende tragen, während Unternehmen und Wohlhabendere eher davon profitieren.
Eine breite Mehrheit wünscht sich, dass Vielverbraucher stärker an der Finanzierung der Energiewende beteiligt werden sollen. Fast die Hälfte der Bevölkerung (49 %) ist mit der Politik der Großen Koalition bei der Umsetzung der Energiewende unzufrieden. Gleichzeitig sehen 84 % den Staat in der Verantwortung, eine ausreichende Energieversorgung für alle Menschen in Deutschland sicherzustellen.
Die große Mehrheit der Deutschen befürwortet die Energiewende (88 %), will sich selbst daran beteiligen (75 %), hält die Förderung von erneuerbaren Energien (84 %), das Energiesparen (80 %) und die Energieeffizienz (85 %) für richtig. „Die Energiewende ist in allen gesellschaftlichen Gruppen als Zielsetzung fest verankert und positiv besetzt. Und das über alle Parteien hinweg“, erklärt Daniela Setton, IASS-Wissenschaftlerin und Hauptautorin der Studie. Durchschnittlich über 87 % der Anhänger von CDU/CSU, SPD, FDP, Linke und Bündnis 90/Die Grünen und 59 % der AfD-Anhänger befürworten sie. Selbst unter Klimaskeptikern sprechen sich 77 % für die Energiewende aus.
„Ein überraschendes Ergebnis für uns war, dass der Kohleausstieg eine ähnlich hohe Zustimmung erhält wie der Atomausstieg“, hebt Daniela Setton hervor. Fast zwei Drittel der Bevölkerung (63 %) stimmen einem Ausstieg aus der Kohle zu. Das gilt auch mehrheitlich für die vier Bundesländer mit Braunkohleabbau (Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt). In dem Kohlestandort Nordrhein-Westfalen befürworten einen Ausstieg sogar 60 %. Den Atomausstieg befürworten 68 % der Bevölkerung.
Bei den Themen Gerechtigkeit, Kosten, Steuerung und Bürgernähe der Energiewende überwiegen skeptische Einschätzungen. So halten zwei Drittel der Deutschen die Energiewende für teuer. 73 % sind der Meinung, dass sie zu erhöhten Strompreisen führt. Insbesondere bei den einkommensschwächeren Haushalten ist die Einschätzung, dass die kleinen Leute die Kosten der Energiewende tragen, weit verbreitet (71 %), aber auch 57 % der einkommensstärkeren Haushalte teilen diese Ansicht.
„Fast jeder zweite Deutsche hält die Energiewende für eher ungerecht, nur jeder Vierte für eher gerecht. Das ist ein deutliches Signal. Energiepolitische Maßnahmen sollten stärker auf ihre soziale Verträglichkeit abgeklopft und einkommensschwache Haushalte gezielt unterstützt werden“, betont Ortwin Renn, Wissenschaftlicher Direktor am IASS und Projektleiter der Studie. „Erstaunlich dabei ist: Die Menschen, die sich finanziell und wirtschaftlich eher negativ von der Energiewende betroffen fühlen, befürworten diese dennoch. Die Politik kann mit breitem Rückhalt rechnen – erst recht, wenn sie die Energiepolitik künftig sozial nachhaltig ausgestaltet.“
Keine der im Bundestag vertretenen Parteien kann mit ihrem Konzept zur Umsetzung der Energiewende mehrheitlich überzeugen. So finden 23 %, dass „keine Partei“ die besten Konzepte habe; 20 % sehen diese Kompetenz bei Bündnis 90/Die Grünen. Alle anderen Parteien schneiden teils deutlich schlechter ab: Nur 15 % sehen die besten Konzepte bei CDU/CSU, 7 % bei der SPD, 3 % bei der Linken, 2 % bei der FDP und 1 % bei der AfD. Der Partei Bündnis 90/Die Grünen sprechen zumindest die eigenen Anhänger mit großer Mehrheit (74 %) zu, die besten Konzepte für die Energiewende zu haben. Den anderen Parteien gelingt dies deutlich weniger. Die SPD-Anhänger trauen der Partei Bündnis 90/ die Grünen mit 29 % sogar mehr Kompetenz in Sachen Energiewende zu als ihrer eigenen Partei (26 %).
Die Verantwortung für eine sozial gerechte Ausgestaltung der Energiewende sehen die Deutschen beim Staat. Er soll für niedrige Energiepreise sorgen, damit auch Geringverdiener nicht übermäßig belastet werden (57 %). 27 % finden, der Staat solle bedürftige Bürger bei der Deckung ihres Wärme- und Strombedarfs finanziell unterstützen. 88 % wünschen sich bei einer energetischen Gebäudesanierung eine zumutbare Begrenzung der Mieterhöhung. Das sehen auch 75 % der Vermieter so.
Aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger ist eine Änderung der Befreiung der besonders energieintensiven Unternehmen von der Umlage für den Ausbau erneuerbarer Energien (EEG-Umlage) erforderlich. Diese Ausnahmeregelung für Unternehmen im Erneuerbaren-Energie-Gesetz (EEG) lehnen 72 % der Bevölkerung ab. Statt die Kosten der Energiewende über den Strompreis auf alle Verbraucher umzulegen, wollen 60 %, dass diejenigen Haushalte und Unternehmen, die für hohe Kohlendioxid-Emissionen verantwortlich sind, einen Großteil dieser Kosten übernehmen. Darüber hinaus spricht sich rund jeder Zweite – darunter auch 42 % der Haushalte mit einem hohen Stromverbrauch – für eine progressive Preiskomponente bei den Energiepreisen aus.
Bemängelt wird auch die geringe Bürgereinbindung, etwa beim Ausbau der Windkraft. 85 % der Deutschen halten es für wichtig, dass sich Bürgerinnen und Bürger frühzeitig am Planungsprozess für Windanlagen in ihrer Umgebung beteiligen können. 55 % sind dafür, dass die betroffenen Bürger das letzte Wort beim Bau von Windanlagen haben sollen.
„Viele wichtige und auch umstrittene Fragen erhalten mit dem Sozialen Nachhaltigkeitsbarometer zur Energiewende zum ersten Mal eine notwendige empirische Basis. Der Erfolg der Energiewende wird letztlich von einem Faktor abhängen: Haben die Menschen vor Ort das Gefühl, dass ihnen persönlich die Energiewende neue Chance eröffnet – zum Beispiel, indem sie ökonomisch oder politisch an ihr teilhaben?“ ist René Mono, geschäftsführender Vorstand der 100 prozent erneuerbar Stiftung, überzeugt.
86 % der Deutschen begrüßen, dass sich Bürgerinnen und Bürger als Energieerzeuger an der Energiewende beteiligen können. Die persönliche Mitwirkung an der Energiewende konzentriert sich bei den meisten jedoch auf energieeffiziente Kaufentscheidungen (93 %) und energiesparendes Verhalten im Alltag (87 %). In intelligente Heizungssteuerungssysteme (Smart Heat) haben bislang 8 % investiert, 10 % in eine eigene Erneuerbaren-Anlage. Eine Änderung des Investitionsverhaltens zeichnet sich für die nahe Zukunft nicht ab.
„Das Soziale Nachhaltigkeitsbarometer zur Energiewende ist eine belastbare Wissensbasis: Was denken die Menschen? Welche Präferenzen haben die Verbraucher? Wie muss eine Gesellschaft funktionieren, um eine größtmögliche Beteiligung an der Entwicklung des Energiesystems der Zukunft zu gewährleisten? Damit ist jetzt die Voraussetzung gegeben, um nach den richtigen Lösungen für eine sozial nachhaltige Energiewende zu suchen, so wie dynamis sich das zum Ziel gesetzt hat“, erläutert Stephan Muschick, Geschäftsführer innogy Stiftung für Energie und Gesellschaft.
Viele Mieter und Eigenheimbesitzer sind prinzipiell bereit, durch eigene Investitionen an der Energiewende mitzuwirken – Beratungs- und Unterstützungsangebote von Politik, Wirtschaft und Umweltverbänden können hier ansetzen. Denn: Energiewende ist Zukunftsvorsorge. Das sagen auch 73 % der Deutschen.
In Zusammenarbeit mit dem vom Bundesforschungsministerium geförderten Kopernikus-Projekt Energiewende-Navigationssystem (ENavi) und im Rahmen der dynamis-Kooperation des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS), der innogy Stiftung für Energie und Gesellschaft und der 100 prozent erneuerbar Stiftung misst das Soziale Nachhaltigkeitsbarometer jährlich die sozialen Dimensionen der Energiewende. Die repräsentative Umfrage wurde im Sommer des Jahres 2017 erstmals durchgeführt.
Dabei erfolgte die repräsentative Befragung nach einem Mixed-Method-Ansatz, der sowohl quantitative als auch qualitative Daten erhebt und in der Auswertung miteinander verknüpft. Die zentrale empirische Basis bildet eine jährliche Panel-Befragung von 7.500 Haushalten, die das IASS gemeinsam mit dem RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und forsa durchgeführt hat. Darauf folgte im Juli und September eine qualitative Befragung mit fünf Fokusgruppen und insgesamt 50 Teilnehmern.
Kurzbericht (32 Seiten) zur Studie als PDF zum Herunterladen:www.dynamis-online.de/newsroom/
14.11.2017 | Quelle: Institute for Advanced Sustainability Studies | solarserver.de © EEM Energy & Environment Media GmbH