Interview mit Volker Quaschning: Koalition muss deutlich zulegen
Solarthemen: Die möglicherweise wieder zusammen regierende große Koalition hat die Ergebnisse ihrer Sondierungsgespräche veröffentlicht. Darin erhöht sie das Ziel für den Anteil erneuerbarer Energien auf 65 Prozent im Jahr 2030. Bislang stehen im Erneuerbare-Energien-Gesetz maximal 60 Prozent bis 2035. Wie realistisch ist es, dass dieses neue Ziel erreicht werden kann?
Volker Quaschning: Mit den ebenfalls im Sondierungspapier genannten Zubauzahlen eher nicht. Zur Änderung des EEG gibt es darin keine Aussagen. Sondern es ist nur von zwei Sonderausschreibungen in den Jahren 2019 und 2020 die Rede, die für die Photovoltaik und die Onshore-Windkraft jeweils pro Jahr 2 Gigawatt vorsehen sowie noch etwas mehr, wenn auch unbeziffert, im Bereich Offshore-Windkraft. Damit allein werden wir die 65 Prozent natürlich nicht erreichen. Wir haben ja jetzt einen deutlich reduzierten PV-Zubau von rund 2 Gigawatt im Jahr 2017. Im Windbereich erwarten wir 2019 einen radikalen Einbruch. Man muss beim weiteren Ausbau auch berücksichtigen, dass durch das EEG nach 20 Jahren nun zunehmend PV-Anlagen aus der Vergütung herausfallen werden, was bei der Windenergie schon der Fall ist. Das heißt, wir sehen auf der einen Seite einen mäßigen Zubau und auf der anderen die Stilllegung bestehender Kapazitäten, die man irgendwie zusätzlich kompensieren müsste. Ich sehe daher weder, wie wir unsere Klimaschutzziele erreichen können, noch, wie das neue 65-Prozent-Ziel bis 2030 greifbar werden soll. Da müsste noch einiges hinterherkommen.
Mit dem, was wir an zusätzlichem Strombedarf etwa für Elektromobilität erwarten können, sprechen wir jetzt fast über eine Verdoppelung der Erneuerbare-Energien-Kapazitäten in gut zehn Jahren. Ist das überhaupt machbar?
Natürlich ist es das. Im PV-Bereich haben wir in Deutschland schon einmal in einem Monat 3 Gigawatt neu installiert. Wenn man die Energiewende wirklich ernst meint und für den Klimaschutz tatsächlich etwas erreichen möchte, dann kann man die nötigen Kapazitäten auch errichten. Nur muss man dann ganz andere Maßnahmen treffen. Und die Frage ist auch, auf was man die 65 Prozent bezieht. Wenn wir den Klimaschutz ernst nehmen, dann müssen wir auch den Verkehr und den Wärmebereich dekarbonisieren. Das wird im Wesentlichen nur durch den stark erhöhten Einsatz von Strom funktionieren. Und wenn dieser Bedarf ansteigt, dann würden wir derzeit sogar einen prozentualen Rückgang des Anteils erneuerbarer Energien verzeichnen müssen. Um für die 65 Prozent eine Chance zu sehen, müssten noch einige Schippen nachgelegt werden. Stimmig ist das Papier noch überhaupt nicht.
Was bräuchten wir an durchschnittlichem Zubau, um auf die 65 Prozent zu kommen?
Wir haben das in einer Studie für die Pariser Klimaschutzziele ausgerechnet. Da geht es um die Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad. Dazu bräuchten wir einen jährlichen Zubau von netto 15 Gigawatt bei der Photovoltaik und 6 Gigawatt bei Windkraft an Land. Da besteht also eine große Lücke zum derzeitigen Zubau und auch zu dem von der eventuellen Koalition angepeilten Zubau. Nun liegt die Messlatte zwar nicht ganz so hoch, denn die im Papier erwähnten deutschen Klimaschutzziele sind nicht so ambitioniert wie die im Pariser Abkommen. Aber selbst wenn man die Latte niedriger anlegt, wird man das Ziel von 65 Prozent bis 2030 nicht hinbekommen. Da sehe ich keinerlei Chance. Dazu bräuchten wir wie gesagt einen Zubau in einer ganz anderen Dimension. Wenn bei der Photovoltaik nur zwei Gigawatt pro Jahr über Sonderausschreibungen hinzukommen, dann landen wir lediglich bei den Ausbauzahlen von 2013. Wenn wir noch den kommenden Rückbau einbeziehen, geht es zwar langsam nach oben, aber nicht mal annähernd in dem Tempo, das wir für die Energiewende bräuchten.
Bislang ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz das wesentliche Instrument, um die erneuerbaren Energien in Deutschland voranzubringen. Ist das aus Ihrer Sicht noch der geeignete Rahmen, um Erneuerbare so zu entwickeln, wie es auch das von den Sondierern formulierte Ziel nahelegt?
Ganz klar nein. Es wird ja auch nicht über das EEG geredet, sondern es soll lediglich eine Sonderausschreibung geben. Das heißt, der ganze EEG-Wust mit seinen über hundert Paragraphen soll offensichtlich so bleiben. In seiner jetzigen Form ist das eher ein Ausbauverhinderungsgesetz. Bei der Photovoltaik gibt es unzählige Deckel. Wir haben ab 10 Kilowatt Anlagenleistung die Eigenverbrauchsumlage, ab 100 kW die Pflicht zu Direktvermarktung, ab 750 kW die Ausschreibungsgrenze. Mehr als 10 Megawatt dürfen auf Freiflächen überhaupt nicht gebaut werden. Und all diese Deckel sorgen dafür, dass die Mengen radikal begrenzt werden. Viel sinnvoller als die Sonderausschreibungen wäre es daher, die Deckel einschließlich der Eigenverbrauchsumlage zu beseitigen. Aber dazu findet sich kein Hinweis im Sondierungspapier. Diese einmaligen Sonderausschreibungen entfachen bestenfalls ein Strohfeuer. Sie sollen nur dazu dienen, das Gesicht etwas zu wahren, wenn man die eigenen Klimaschutzziele im Jahr 2020 nicht erreichen wird. Man möchte dann behaupten, dass man es wenigstens versucht habe.
Sie betrachten das Thema aus einer für den Klimaschutz engagierten, aber auch wissenschaftlichen Perspektive. Was wären wesentliche Änderungen gegenüber dem Status quo für den Ausbau erneuerbarer Energien?
Vielleicht sollte man sich erstmal ehrlich machen. Da sind die USA weiter. Donald Trump hält nicht viel vom Klimaschutz und macht auch nichts dafür. In Deutschland wird immer gesagt, man bekenne sich zum Pariser Klimaschutzabkommen und wolle die Ziele einhalten. Aber man tut dann dennoch nicht mehr als in den USA – das ist aus meiner Sicht unehrlicher als die Politik von Trump. Ich denke, da sollte man dann einen Schritt zurück machen und in die Diskussion einsteigen, ob wir Klimaschutz in Deutschland überhaupt ernsthaft realisieren wollen. Ein „Ja“ würde bedeuten, dass wir in den kommenden 20 Jahren CO2-neutral werden müssen. Dann müssen aber auch alle dazu nötigen Maßnahmen getroffen werden von einem rechtzeitigen Ausstiegsdatum bei der Kohleverstromung, einem Ende des Verbrennungsmotors sowie auch von Öl- und Gasheizungen bis einem deutlich gesteigerten Ausbau von Solar- und Windkraftanlagen.
Wenn man bald nun schneller werden wollte, gerade auch beim Ausbau der Photovoltaik, was wären wesentliche Punkte, bei denen man heute ansetzen könnte?
Die Psychologie spielt eine große Rolle. In den stärksten Ausbauphasen für die Photovoltaik ging es nicht nur um Rendite, die dies angetrieben hat, sondern auch um die Überzeugung. Viele haben gesagt, sie wollten etwas tun, andere wussten: Solarenergie rechnet sich. Viele sind aber eingestiegen, ohne groß nachzurechnen. Heute hat man die andere Situation. Viele meinen, über Solarenergie brauche man gar nicht groß nachzudenken, weil es sich eh nicht mehr lohnt. Da wäre es zunächst wichtig, psychologisch ranzugehen. Eine der wichtigsten Maßnahmen wäre hierzu, den Willen für einen schnellen Ausbau zu signalisieren und die Eigenverbrauchs- umlage zu streichen. Sie macht alles sehr kompliziert und vertreibt den Leuten schlicht die Lust, sich mit erneuerbaren Energien zu beschäftigen. Man müsste natürlich darauf achten, dass es sozial gerecht zugeht. Das aber kann man erreichen, wenn man den Mieterstrom optimiert. Und dann profitieren alle, die an der Energiewende teilnehmen, indem sie einen günstigeren Strompreis haben. Dann bekommen wir die nötige Dynamik. Der Strompreis wird weiter ansteigen, Solarenergie wird immer billiger und es wird attraktiver, sich und seine Mieter mit Solarstrom zu versorgen. Dies könnte einer der Haupthebel sein. Darüber hinaus kann man natürlich im Freiflächenbereich mehr ausschreiben. Aber warum sollte das auf 10 Megawatt begrenzt bleiben? Das ist eine rein willkürliche Grenze.
Wenn man auf das 65-Prozent-Ziel für erneuerbare Energien blickt, was bedeutet das dann für Kohle- und Gaskraftwerke?
Das muss man differenzieren. 2030 sind wir schon raus aus der Kernenergie. Diese Übergangsphase wird sowieso spannend, weil wir diesen Strom ersetzen müssen. Wenn wir das mit Kohle machen, steigen die Treibhausgasemissionen weiter an. Das soll kein Plädoyer für die Kernenergie sein. Aber den Ausstieg müsste man durch einen schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien abpuffern. Sonst laufen wir in die Falle, dass die bis 2020 erreichten CO2-Reduktionsmengen wieder aufgefressen werden. Dann müssen wir natürlich sehen, dass ein 65-Prozent-Anteil der erneuerbaren Energien eine radikale Veränderung im Strombereich bedeutet. Das ist vielen vielleicht gar nicht bewusst. Wir haben am 1. Januar dieses Jahres schon über 90 Prozent des Strombedarfs regenerativ gedeckt bei einem Jahresanteil 2017 von etwa 34 Prozent. 65 Prozent sind nicht ganz das Doppelte. Es würde aber bedeuten, dass wir bei gleichbleibendem Verbrauch an Tagen wie dem 1. Januar auf einen Anteil erneuerbarer Energien von weit über 100 Prozent kommen. Wir müssten dann die klassischen Kraftwerke komplett abschalten. Das wird mit den jetzigen Grundlastkraftwerken nur unter Schmerzen gehen, wenn überhaupt. Wir müssen uns also von diesen Grundlastkraftwerken, sprich von den meisten Braunkohlekraftwerken, komplett verabschieden, weil sie nicht mehr kompatibel sind. Wir brauchen mehr Optionen für die Flexibilität, also Backup-Kraftwerke auf Gasbasis und natürlich Speicher in großen Dimensionen. Das muss man schnell aufbauen. Wir haben heute nicht mal 30 Gigawatt Kapazität im Bereich der Gaskraftwerke. Wenn wir aus der Kohle herausgehen, müssen wir aber die Solar- und Windkraftkapazität mit Gas und Speichern abpuffern können. Wir müssen die Gaskapazitäten mehr als verdoppeln. Wir brauchen also ein massives Ausbauprogramm für Gaskraftwerke und im nächsten Schritt für Speicher. Nun steht im Sondierungspapier zwar, dass man darüber nachdenken will. Aber statt dauernd nur nachzudenken, wäre mal Handeln angesagt.
Das Sondierungspapier ist ein Kompromiss. Darin finden sich – vage – Aussagen zum Kohleausstieg, zu einem erhöhten Anteil Erneuerbarer und einem Klimaschutzgesetz, das die Parteien beschließen möchten. Bietet das Anlass zu Optimismus oder fürchten Sie eher ein „Weiter so wie bisher”?
Es sind zunächst mal dieselben Koalitionäre, die bisher vier Jahre regiert haben. Und das sind diejenigen, die die Energiewende regelrecht zugrunde gerichtet haben. Es ist kaum zu erwarten, dass diese ohne Not eine Rolle rückwärts machen. Ich denke schon, dass sie erkannt haben, dass in der bisherigen Politik einiges völlig überzogen war, also sowohl die Reduktion im PV-Bereich als auch bei der Windenergie. Und man will offensichtlich die schlimmsten Fehler zumindest kosmetisch korrigieren. Das ist erkennbar. Ansonsten enthält das Sondierungspapier nur Absichtserklärungen, die fast alle auch noch Ausstiegssklauseln haben. Beispielsweise werden die Sonderausschreibungen unter den Vorbehalt der Netze gestellt. Man hat einen sehr großen Interpretationsspielraum und es steht und fällt mit den Leuten, den Ministern, die sich durchsetzen, und deren Linie. Meine Hoffnungen sind da nicht sonderlich groß. Bereits im Papier sind Verzögerungen und Ausflüchte enthalten. Wir sind zwar bereits froh, wenn aus 2 Gigawatt PV eventuell 4 werden. Aber wir bräuchten 16. Es wird vielleicht ein wenig besser als bisher, aber auf niedrigem Niveau.
Interview: Andreas Witt
Foto: Silke Reents