Nina Scheer: Mehr Demokratie für die Energiewende!
Solarthemen: Was finden Sie am neuen Koalitionsvertrag energiepolitisch richtig gut?
Nina Scheer: Aus vielen Formulierungen wird klar: Es bedarf deutlich mehr erneuerbarer Energie um die Energiewende voranzubringen. Und man braucht sie in allen Sektoren. Da wird Sektorkopplung genannt und dass man Speicher braucht. Dabei werden sowohl Batterien als auch Wasserstoff benannt. Das Vokabular lässt erkennen, dass jedem, der da mit am Tisch saß, klar ist, wo die Reise eigentlich hingehen muss.
Eigentlich?
Im Text wird zu vorsichtig formuliert und es werden mit den Aussagen keine wirklich durchschlagenden Fakten geschaffen. Im Worst Case könnte es also bei Absichtsbekundungen bleiben. Mit der Aussage zum Klimaschutzgesetz müsste man so frühzeitig ansetzen, dass damit ein Kohleausstieg einherginge und damit wohl auch die Klimaschutzziele für 2020 mit erfüllt würden. Zugleich verweist der Koalitionsvertrag aber auch auf den völlig unzureichenden Klimaschutzplan, der Kohlekraftwerke gegenüber anderen Sektoren verhältnismäßig stark schont, also CO2-Minderungen stärker in andere Sektoren verschiebt. Das Problem dabei: Die reale Erfüllbarkeit bleibt von der rechnerischen Erfüllbarkeit weit entfernt. Das zeigen die bisherigen Erfahrungen. Und man kann nicht einfach die Altersstruktur der Eigenheimbesitzer negieren, die durchschnittlich über 60 Jahre beträgt. Egal welches Förderprogramm zur Gebäudesanierung man sich noch ausdenkt: Gemessen an den Reduktionsverpflichtungen werden zu viele Eigenheimbesitzer hier absehbar überfordert sein. Hier fehlt im Klimaschutzplan der Gesamtblick. Im Bereich der Kohlekraftwerke kann sowohl zeitlich als auch maßnahmenbezogen deutlich zuverlässiger und schneller das größere CO2-Minderungspotenzial erreicht werden. Wenn Deutschland als Industrienation diesen Schritt ginge, hätte dies sicher auch in anderen Ländern eine Devest-Wirkung in Bezug auf fossile Energien. Eine Orientierung am Klimaschutzplan gefährdet oder konterkariert somit insgesamt die Aussage zum Klimaschutzgesetz und den 2030-Zielen. Hierdurch widersprechen sich zwei Aussagen ein und desselben Koalitionsvertrages. Das gilt auch für die Aussage zum verstärkten Ausbau erneuerbarer Energien im Verhältnis zu der zugleich erklärten Bedingung verfügbarer Netzkapazitäten.
Sie haben vier Jahre GroKo erlebt und waren Teil davon. Kann man in der politischen Praxis aus diesem Vertrag etwas machen, auch wenn Sie ihn im Detail nicht für konsistent halten?
Maßnahmen, die zu spürbaren Einschnitten bei konventionellen Energien geführt hätten, wurden bislang unterlassen. Hingegen wurde die Zielvorgabe der Großen Koalition zu Ausbaubeschränkungen für erneuerbare Energien scharf gestellt, was absolut kontraproduktiv für die Energiewende war und ist. Es fehlt im Koalitionsvertrag eine klare und nicht an anderer Stelle wieder relativierte Aussage zur Umsetzung der Klimaschutziele.
Werden Sie beim Mitgliedervotum mit Ja oder mit Nein stimmen?
Ich hatte gegen die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen gestimmt und sehe nicht, dass meine damaligen Argumente entkräftet sind. Der Austausch mit den Mitgliedern in meinem Wahlkreis beginnt in dieser Woche. Da es ein Mitgliedervotum ist, möchte ich diesem Austausch aber auch nicht vorgreifen.
Warum liebäugeln Sie nach wie vor mit einer Minderheitenregierung?
Als Demokratin sehe ich alternative Modelle jenseits einer starren Koalition als eine Chance für mehr transparenten und parlamentarischen Diskurs – also zugunsten der sachlichen Auseinandersetzung. Eine Koalition ist sich gegenseitig verpflichtet und schließt wechselnde Mehrheiten aus. In der Vergangenheit wurde aufgrund der großen inhaltlichen Diskrepanz zwischen Union und SPD zu viel durch die Führungsspitzen ausgehandelt oder im Kabinett und in den Ministerien – fernab von den Menschen vor Ort und ihren Abgeordneten. Das hat Lähmungserscheinungen in Bezug auf die Beantwortung von Zukunftsfragen hervorgerufen. Darin sehe ich den Haupt-Nährboden für die Erfolgswelle der Rechtspopulisten. Wir brauchen eine Umkehr dieser Entwicklung, die in einer fortgesetzten schwarz-roten Koalition meines Erachtens schwerer zu gestalten sein wird.
Sehen Sie eine Chance, sich mit Ihren energiepolitischen Vorstellungen ohne GroKo besser durchzusetzen?
Es könnte eine Grundlage schaffen, dass andere politische Vorstellungen als diejenigen, die in den Ministerien ausgearbeitet werden, überhaupt mal sichtbar werden – und dass dann auch ein parlamentarischer Wettstreit zwischen den verschiedenen Modellen stattfindet. Ansätze, die nicht brauchbar sind, und die bislang teils nur aus Loyalität zu den Ministern oder aus vermeintlichem Zeitdruck nicht hinterfragt wurden, müssten sich im Parlament bewähren. Der Fokus läge dann auch stärker auf den einzelnen Abgeordneten, die hierdurch eine stärkere Legitimation erfahren, eigene sowie aus dem Wahlkreis aufgefangene Perspektiven ins Parlament zu tragen. Allerdings müsste das Parlament auch erst lernen, so zu agieren. Es ist nicht zu erwarten, dass die ersten Monate gleich den großen Wurf bedeuteten. Eine Minderheitsregierung oder ein Kooperationsmodell müsste zunächst Arbeitsweisen entwickeln. Gruppenanträge bekämen einen neuen Stellenwert. Die Fraktionen bräuchten dafür zum Beispiel mehr Referenten. Ein Chaos der ersten Monate dürfte uns dann also nicht entmutigen und sollte nicht als Beweis des Nichtfunktionierens herhalten. Das gesellschaftlich breite Ja zur Energiewende hätte aber sicher mehr Gehör als in den letzten Jahren.
Ließe sich dadurch energiepolitisch denn mehr bewegen?
Es gibt zwar derzeit im Parlament keine energiepolitisch progressive Parteienmehrheit. Aber es könnten fraktionsübergreifende Mehrheiten zustande kommen. Es wäre auch eine Chance, die AfD mit Blick auf deren absolut unverantwortliche Energiepolitik pro Atomenergie zu stellen. Denn sie wäre dann ganz anders gefordert, sich thematisch auseinanderzusetzen, statt immer nur die Opferrolle einzunehmen.
Warum scheint die SPD die erneuerbaren Energien nicht als ein Gewinnerthema für sich wahrzunehmen?
Ich glaube schon, dass die Erneuerbaren so gesehen werden, aber es gibt in der SPD zugleich immer noch widerstreitende Kräfte. Die gibt es zwar noch stärker in der CDU/CSU. Weil sie bestimmte Nerven in der SPD treffen, wird der Konflikt aber in der SPD noch stärker verortet. Wenn man allerdings in die Antragsbücher zu SPD-Bundesparteitagen schaut, gibt es viele Anträge in Richtung Klimaschutz und erneuerbare Energien, während es kaum Anträge gibt, die sich für die Verschonung der Kohlewirtschaft aussprechen. Die fossile Energiewirtschaft schafft es bislang sehr geschickt, ihr Konzerninteresse als ein vermeintliches Arbeitnehmerinnen-Interesse einzusetzen und kampagnenstark als Schutzpatron aufzutreten. Auf diesem Weg werden die Einschnitte für die alten Energien in den betroffenen Regionen als Bedrohung dargestellt und Chancen des aktiv sozialdemokratisch gestalteten Strukturwandels verpasst. Ein Bündnis mit der Union begünstigt dies. Anstelle von heute etwa 30000 von einem Kohleausstieg direkt und indirekt Betroffenen könnte ein Vielfaches an Beschäftigten in Zukunftstechnologien eintreten. Letzteres ist auch für die Exportnation Deutschland unverzichtbar und würde die Wirtschaftskraft vor Ort stärken.
Können sich erneuerbare Energien mit diesem Koalitionsvertrag als Bürgerenergien weiterentwickeln?
Es sind Ansätze für mehr Bürgerenergie drin, etwa zum Mieterstrom und zu Genehmigungen für Windparks. Allerdings werden Ausschreibungen offenbar als martkwirtschaftliches Mittel der Wahl unterstellt. Letzteres wird die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern nachweislich erschweren.
Sind Klimaschutzziele erreichbar, wenn man Bürger, die bislang Treiber der Energiewende waren, bremst?
Die Klimaschutzziele würden erreichbarer, und die Menschen vor Ort würden sehr schnell wieder investieren, wenn man die heute immer noch gegebenen Marktverzerrungen anginge, etwa durch eine Bepreisung von Schadstoffen. Dies ist nur leider im Koalitionsvertrag nicht angelegt.
Ist denn ein nationaler CO2-Preis mit dem Vertrag komplett vom Tisch?
An sich ja. Das Wort Bepreisung findet sich zwar; der Emissionshandel wird dann aber als Leitinstrument bezeichnet und eine mögliche Bepreisung soll „jedenfalls die G20-Staaten“ umfassen. An dieser Stelle ist auch der Verweis auf das fortgeltende Energie-Eckpunktepapier 2015 problematisch.
Nehmen wir an, es käme zur Großen Koalition und die hielte bis 2021. Was müsste passieren, damit Sie am Ende sagen würden: „Das hat sich gelohnt”?
Es müsste – trotz allem – ein transparenterer, diskursfreudigerer und auf Pluralismus ausgerichteter Parlamentsbetrieb beginnen. Damit könnten sich vielleicht auch die positiven Aussagen zur Energiewende gegenüber den bremsenden durchsetzen.
Interview: Guido Bröer
Foto: Benno Kraehahn