Senftenberg: Mehr Sonne im Wärmenetz als gedacht
Solarthermie zur Fernwärmeunterstützung ist ein zunehmend aktuelles Thema für viele Netzbetreiber, seit KWK-Strom aufgrund der anwachsenden Photovoltaik-Stromanteile im Sommer immer unrentabler wird.
Das Fernwärmenetz der Stadtwerke Senftenberg hat eine Gesamtlänge von rund 33 Kilometern und bei einem Anschlusswert von rund 50 Megawatt einen jährlichen Wärmebedarf von etwa 100 Gigawattstunden (GWh) sowie eine Sommergrundlast von ca. 3,8 Megawatt (MW). Die Solaranlage hat eine Peakleistung von ca. 4,5 MW und deckt mit maximal 4 GWh im Jahr ca. 4 Prozent des Jahresbedarfs. Im Sommer erbringt sie tagsüber knapp 20 Prozent Überschuss und versorgt dann das Netz ganz allein. Aufgrund der Kapazität des Netzes braucht sie trotz der Überschüsse von bis zu 5 MWh pro Tag keinen Speicher.
Die mangelnde Verfügbarkeit geeigneter Flächen ist der Solarthermieanwendung größtes Hemmnis. Abbildung 2 zeigt, dass die Solaranlage jedoch weniger als 1/1000 des Senftenberger Versorgungsgebietes beansprucht.
Die Solaranlage wurde dezentral über eine Ringleitung angebunden, aus deren Mitte heraus sie in beide Richtungen einspeisen kann, und so dimensioniert, dass sie an normalen Sommertagen das gesamte Wärmenetz beliefern kann, obwohl das Kollektorfeld vom Heizwerk weit entfernt liegt. Damit das Netz mit seinen mehr als 2000 m³ Inhalt als Puffer dienen kann, wurde am Heizwerk eine optionale „Kurzschlussverbindung“ hergestellt, so dass es von der Solaranlage auch „rückwärts“ betrieben werden kann. In der Regel erfolgt die Einspeisung der Solarwärme wie im Heizwerk in den Vorlauf mit jahreszeitlich gleitenden Temperaturen zwischen 85 und 105 °C. Bei schwächerer Einstrahlung, vor allem morgens beim Anfahren und abends zur „Resternte“, schaltet die Solaranlage auf Rücklauftemperaturanhebung um.
Am 15. August 2016 wurde das Kollektorfeld von den Solarpumpen mit Wasser gefüllt. Innerhalb von 10 Minuten stellte sich der vorausberechnete maximale Volumenstrom von 220 m³/h ein und das 170 Meter lange und 120 Meter breite Kollektorfeld mit ca. 13 m³ Inhalt war frei von Luftblasen. Die Befüllung erfolgte nachts, weil die Kollektoren bei der Sonneneinstrahlung am Tage sofort Dampf bilden würden. Vom 16. bis 18. August wurde die Anlage getestet. Unter Aufsicht eines Sicherheitsbeauftragten wurde eine thermische Stagnation bei wechselhaftem Wetter herbeigeführt und eine bei voller Einstrahlung von über 1000 W/m². Die thermische Stagnation tritt dann ein, wenn die Wärme nicht abgenommen wird und das Kollektorfeld siedet, bis es leer ist. Die offizielle Wärmemengenzählung im automatischen Betrieb begann am 19. August 2016.
Abbildung 3 zeigt die Monatsergebnisse des ersten Betriebsjahres. In den ersten 12 Monaten speiste die Anlage mit insgesamt 4,1 GWh mehr Wärme ins FW-Netz ein, als ihr maximal zugetraut wurde. Im Durchschnitt werden 3,8 GWh pro Jahr erwartet. Die Ertragsgarantie wurde damit bereits 6 Wochen vor Ablauf des ersten Betriebsjahres erfüllt. Das Solarangebot lag im Oktober und im April deutlich hinter dem Durchschnitt, im Juni und im August war es hingegen besser. Hierbei wurden die Augusttage von 2016 nach der Inbetriebnahme und die von 2017 bis zum Ablauf des ersten Betriebsjahres betrachtet.
Die Solaranlage erzielte einen Jahresnutzungsgrad von 42,3 Prozent, das ist das Verhältnis aus der ins Netz eingespeisten Wärmemenge zur Einstrahlungssumme. Abbildung 4 zeigt, wie der Gesamtertrag (rot) ab Mitte September immer langsamer wuchs, wie Tagesertrag (blau) und Tagesnutzungsgrad (grün) im Winter nachließen und wie bis Mitte September und ab Mitte April Tagesnutzungsgrade von über 50 % erzielt wurden. Das ist das 3- bis 4-Fache von dem, was z.B. Photovoltaik aktuell leisten kann.
Abbildung 5 zeigt die Tagesnutzungsgrade (rote Punkte und linke y-Achse) als Funktion der Tageseinstrahlung und die entsprechenden Tagesnetzerträge (blaue Punkte und rechte y-Achse). Der Ertrag stellt sich proportional zur Einstrahlung ein, der Tagesnutzungsgrad nimmt hingegen bei schlechtem Wetter überproportional ab. Der Break-even-Point, ab dem die Anlage überhaupt etwas bringt, liegt etwa bei 1 kWh/m² Tageseinstrahlung. Um täglich mindestens 10 MWh ins Netz einspeisen zu können, was im Jahresmittel von der Anlage erwartet wird, sind Tageseinstrahlungen von mindestens 3 kWh/m² notwendig. Nach einem sonnigen Herbst 2016 folgten ab Oktober ein besonders trübes, nebliges und regnerisches Jahresende bzw. viele Tage mit geringerer Tageseinstrahlung. Wenn die Sonne so flach steht, dass die für Sommerbetrieb optimal geneigten Kollektoren sie kaum noch „sehen“ können, kommen diese an ihre Grenzen. Dies ist aber gerade auch jene Zeit, in der zum Heizen die meiste Energie gebraucht wird. Je nach Verbrauchsprofil kann Sonnenenergie deshalb ohne Energiespeicher prozentual nur kleine Beiträge zur Gesamtversorgung leisten. Die Anlage in Senftenberg ist extra so ausgerichtet und ausgelegt, dass sie ohne Speichertank und damit zu geringen Wärmegestehungskosten im Sommer ihren Beitrag leistet, wobei das Netz als Speicher genutzt wird. Mit einem Tagesspeicher von 20.000 m³ (das entspricht dem Bedarf eines Wintertages) könnte ein 10-mal größeres Kollektorfeld in Senftenberg das gesamte Sommerhalbjahr und ca. 30 Prozent des Jahresbedarfs abdecken. Hingegen brächte ein Wochenspeicher von 140.000 m³ kaum weitere 4 Prozent.
Die Speicherung von Heizwärme über ein oder zwei Tage ist technisch kein Problem, erfordert jedoch einen entsprechenden Standort und verursacht Zusatzkosten. Wollte man weit mehr als die Hälfte des Jahresbedarfs solar decken, müsste die saisonale Verschiebung zwischen dem Bedarf von Herbst bis Winter und der Einstrahlung in Frühjahr und Sommer mit viel größeren Speichern ausgeglichen werden, was technisch möglich, aber relativ teuer und platzaufwändig wäre. In der zukünftigen Entwicklung kann Saisonalspeicherung einmal nicht nur notwendig, sondern auch wirtschaftlich sein. Solange jedoch noch nicht einmal 0,1 Prozent des mit Solarwärme versorgbaren Wärmebedarfs auch mit Solarthermie versorgt wird, erscheinen Saisonalspeicherprojekte heute realitätsfern und nicht zeitgemäß. Die technischen Herausforderungen hierzu sind nach zahlreichen, vor allem deutschen und dänischen Pilotanlagen bereits beherrschbar, aber deren Solarnutzungsgrad ist viel geringer als in Senftenberg und die Lücke zum heutigen Wärmepreis kann noch nicht sinnvoll überbrückt werden.
Der beste Tag des ersten Betriebsjahres war der 1. Juni 2017. Bei makelloser Einstrahlung (gelb) speiste die Anlage bis zu knapp 5 MW und insgesamt ca. 37 MWh ins Wärmenetz (grün, Abbildung 6). Die kumulierte Solareinstrahlung (braun) erreichte 70 MWh. Der Tagesnutzungsgrad (violett, oben) wächst bis auf 53 %. Die Netz-Solltemperatur (violett, unten) lag immer bei 90 °C. Etwa 13 Stunden speiste die Solaranlage ins Netz ein, 10 3/4 Stunden davon in den Vorlauf des Netzes. Morgens die erste Dreiviertelstunde bzw. abends die letzte speiste sie in den Fernwärme-Netzrücklauf ein, um die Sonnenwärme maximal zu nutzen. Nach Sonnenuntergang und morgens gegen 4:30 Uhr wurde noch einmal die hydraulische Weiche ins Netz geleert. Die Netzeinspeisung erfolgt nach der morgendlichen Aufwärmzeit ab einer Einstrahlung von ca. 2,5 MW (ca. 300 W/m²) kontinuierlich. Eine taktende Einspeisung erfolgte am 1.6. gar nicht.
Der 4. September 2016 (Abbildung 7) war ein Tag voller Wolken und ab dem späten Vormittag verregnet. Trotzdem erreichte die Solaranlage mühelos die Solltemperatur und speiste knapp 8 Stunden ein, mehr als 3 davon sogar in den heißen Netzvorlauf, und erreichte am Abend eine Solarernte von immerhin noch 8 MWh. Selbst unter diesen ungünstigen Bedingungen betrug der Tagesnutzungsgrad fast 40 %. Am 27. Januar 2017 speiste die Anlage bei schönem Wetter und winterlichem Frost 6,3 MWh mit ca. 90 °C ins Netz ein, obwohl die Anlage zu dieser Jahreszeit teilweise im Schatten steht und die nur 20 Grad geneigten Kollektoren zur Sonne einen sehr flachen Winkel bilden (Abbildung 8).
Der Aufbau der Anlage ist verblüffend einfach (Abbildung 9). Sie arbeitet mit Heizungswasser nach VDI 2035. Ein Wärmetauscher sowie eine eigene automatische Druckhaltung waren aus Sicherheitsgründen notwendig, weil das Netzwasser Zusatzstoffe enthält, deren Verhalten bei thermischer Stagnation bei ca. 350 °C im Kollektor nicht genau bekannt ist. Die hydraulische Weiche ist bei gutem Wetter in 2,5 Minuten gefüllt und wieder geleert.
Beim Einspeisen in den Vorlauf sind ca. 5 bar zu überwinden. In dem Maße, wie die Solaranlage in den Vorlauf speist, werden die Pumpen im Heizwerk gedrosselt bzw. schalten sich ganz aus. Effektiv braucht eine solche Solaranlage etwa 1 % ihres Wärmeertrags als Arbeitsstrom, hat also als Wärmepumpe einen COP von 100.
Das Kollektorfeld ist asymmetrisch verrohrt, d. h. nicht nach dem Tichelmann-Prinzip (Abbildung 10). Dies spart viel Rohr und gewährleistet, dass die von der Hauptleitung entferntesten Kollektoren am heißesten sind. Diese Volumenstrom- bzw. Temperatur-Asymmetrie ist über das gesamte Feld nur äußerst gering. Das Kollektorfeld ist selbstbefüllend, selbstentlüftend und selbstabgleichend dimensioniert, wobei Rohre zwischen DN 25 und DN 200 zum Einsatz kommen. Man kann die Verrohrung mit dem Blutkreislauf in einem Organismus vergleichen, der auch nicht hydraulisch abgeglichen oder entlüftet wird. Der nahezu perfekte hydraulische Abgleich des Kollektorfeldes, das ganz ohne Ventile, Stellvorrichtungen und Entlüfter auskommt, zeigt sich in der Homogenität der Betriebstemperaturen auf der ganzen Fläche von ca. 170 m x 120 m.
Die Wärmeverluste der Solaranlage betragen übers Jahr insgesamt knapp 17 % vom Netzwärmeertrag. Dieser ist um verschiedene Verluste geringer als der Kollektorertrag, siehe Abbildung 11 /1/. Die in Abbildung 11 als (6) bezeichneten Verluste entstehen dadurch, dass im Falle eines Wärmetausches die Kollektortemperaturen höher sind als ohne Wärmetauscher.
Die aufgewandte Wärme für den aktiven Frostschutz der Kollektoren sowie die Anfahrverluste werden ständig gemessen (Abbildung 12). Die Anfahrverluste bestehen aus der erforderlichen Wärme zum Aufwärmen der Anlage am Morgen sowie den Auskühlverlusten nachts. Die Anfahrverluste verteilten sich übers Jahr fast gleichmäßig. Dabei gleicht es sich aus, dass sie im Winter natürlich viel höher sind, die Anlage dafür aber seltener startet. Der Frostschutzbedarf von ca. 1,5 Prozent des Netzwärmeertrags entstand von Oktober bis April. Davon wurden nur weniger als 0,1 Prozent aus dem Fernwärme-Netz benötigt, zu 98,5 Prozent genügte dazu die Restwärme in der hydraulischen Weiche.
Die Solaranlage entstand ohne Forschungsmittel als unternehmerische Pionierleistung der Stadtwerke Senftenberg unter Inanspruchnahme des KfW-Programmes Erneuerbare Energien (271). Sie zeigt, dass der Stand der Technik dem Markt voraus ist und dass die für solarthermische Anlagen besonders anspruchsvollen Bedingungen deutscher Fernwärmeversorgungen wie z.B. hohe Vor- und Rücklauftemperaturen, häufige Druck- und Lastwechselvorgänge oder wettbewerbsfähige Wärmepreise kein Handicap mehr darstellen müssen.
Als lebendiger Beweis des Machbaren kann sie der Forschung und der Energiewende neue Impulse verleihen und Blaupause für mehr solare Fernwärme in Deutschland sein. In einer Zeit, in der intensiv diskutiert wird, wie die Fernwärme ins Zeitalter der erneuerbaren Energien transformiert werden kann, hat das Projekt der Stadtwerke Senftenberg einen Weg aufgezeigt. Denn ganz ohne Zweifel ist die Solarthermie von allen erneuerbaren Optionen eine der naheliegendsten und ausgereiftesten.
Literaturhinweise
/1/ Solites: Handbuch ScenoCalc Fernwärme 2.0, kostenloser Download www.scfw.de (2017)
/2/ http://ritter-xl-solar.com/uploads/media/Thermische-Solaranlagen-Waermenetze_Teil1_SHT5SOLAR.PDF
http://ritter-xl-solar.com/uploads/media/Thermische-Solaranlagen-fuer-Waermenetze-Teil2_01.pdf
http://ritter-xl-solar.com/uploads/media/Thermische-Solaranlagen-fuer-Waermenetze-Teil-3.pdf
Fotos: Stadtwerke Senftenberg GmbH
19.04.2018 | solarserver.de © EEM Energy & Environment Media GmbH