Thomas Seltmann im Interview: Energierecht ist für Verbraucher nicht verständlich

Solarthemen 503. Der PV-Experte Thomas Seltmann ist seit August vergangenen Jahres als Referent Photovoltaik bei der Verbraucherzentrale NRW tätig. Dorthin kam er von der SolarWorld AG. Zuvor arbeitete er viele Jahre als unabhängiger Dozent und Autor in diesem Technologiebereich. Die Solarthemen sprachen mit ihm über die Auswirkungen der zunehmenden energierechtlichen Regelungen auf die Betreiber von Solarstromanlagen.

Solarthemen: Das EEG ist in den vergangenen Jahren immer komplexer geworden. Welche Rückmeldung bekommt die Verbraucherzentrale dazu von den Anlagenbetreibern?

Thomas Seltmann: Uns erreichen viele Fragen zu unterschiedlichen Anwendungsfällen. Und dabei haben wir es immer häufiger mit Fällen zu tun, bei denen wir die Fragen ohne aufwändige Rechtsberatung gar nicht beantworten können, weil es sofort in eine juristische Auseinandersetzung mit EEG-Regelungen und weiteren Gesetzen geht. Immer mehr Regelungen aus anderen Energierechtsbereichen haben auch Auswirkungen auf die kleinen EEG-Anlagen. Beispiele dafür sind die Stromsteuer, das Energiewirtschaftsgesetz bis hin zu aus Verbrauchersicht sehr abseitigen Aspekten wie einer europäischen Verordnung, die sich eigentlich auf den Großhandelsmarkt richtet. Das ist die Regulation on Wholesale Energy Market Integrity and Transparency, kurz REMIT. Es geht um Details zur Anmeldung als Energieversorgungsunternehmen, was selbst bei kleinen PV-Anlagen erforderlich sein kann. Solche Fragen kommen auf uns zu. Und selbst Juristen tun sich dann schwer, klar zu sagen, ob diese Fragen für den Betreiber einer kleinen Anlage tatsächlich relevant sind oder nicht.

Worin liegen denn besondere Hindernisse für Betreiber kleiner Anlagen?

Kompliziert wird es immer dann, wenn der Anlagenbetreiber den Strom nicht allein selbst nutzt. Worauf man im ersten Moment nicht kommt, ist, dass sehr viele Betreiber, sehr viele Fallkonstellationen davon betroffen sind. Ich nenne ein paar Beispiele: Der Betreiber hat ein Einfamilienhaus mit Einliegerwohnung, in der die Schwiegermutter lebt – also Stromlieferung. Oder: der Betreiber hat ein Zweifamilienhaus, auf dessen Dach sich eine PV-Anlage befindet. Beide Haushalte nutzen den Solarstrom – also Stromlieferung. Oder es gibt eine Wohneigentümergemeinschaft mit drei Haushalten, die auf der Garage gemeinsam eine PV-Anlage bauen wollen – also Stromlieferung. Aber eigentlich ist das eine Stromlieferfiktion. Denn in der Realität wird hier ja keine geschäftliche Stromlieferung beabsichtigt. Dennoch führen die bestehenden Regelungen dazu, dass ein solcher Betreiber einer kleinen PV-Anlage plötzlich alle energiewirtschaftsrechtlichen sowie aus anderen Gesetzen resultierenden Pflichten übernehmen muss, die ansonsten nur echte Energieversorgungsunternehmen erfüllen müssen. Das heißt, wir weiten das Energiewirtschaftsrecht, das eigentlich für den Handel und die Versorgung übers Stromnetz entwickelt wurde, aus bis zur Steckdose. Festgemacht wird das am Kriterium der Personenidentität von Anlagenbetreiber und Nutzer des Stroms. Und es führt zu absurden Fragen wie: Was passiert, wenn ein Putzdienst in meinem Haus einen Staubsauger einsetzt und dafür meinen Solarstrom nutzt? Ist das dann Perso­nen- identität oder eine Stromlieferung, die ganz genau erfasst, abgerechnet und mit der EEG-Umlage beaufschlagt werden muss? Muss ich mich dann als Stromlieferant und letztlich Energieversorgungsunternehmen anmelden? Allein, dass man diese Fragen stellen muss und nicht klar, nicht rechtssicher beantworten kann, ist eine Absurdität.

Sie sprechen die Rechtssicherheit an. Können wir denn davon ausgehen, dass die meisten Anlagenbetreiber damit klarkommen oder droht hier ein massenweiser Verstoß gegen Gesetze?

Es droht nicht nur, sondern es findet sogar ein nicht gewollter, reihenweiser Verstoß gegen Regelungen statt, die selbst Juristen nicht mehr verstehen. Ich habe selbst bei einer Veranstaltung erlebt, dass der Mitarbeiter des zuständigen Wirtschaftsministeriums teils die Kompliziertheit und Rückbezüglichkeit diverser Paragrafen nicht mehr nachvollziehen konnte.

Gibt es denn, wie Sie eben angedeutet haben, besonders kurios anmutende Auswirkungen der rechtlichen Anforderungen?

Das Kurioseste, was ich bislang gehört habe, war folgendes: Der Eigentümer eines Hauses mit vier oder fünf Wohnungen wollte auf dem Dach des Gebäudes eine PV-Anlage errichten. Gemeinsam mit einer Mikrogasturbine sollte so der Strombedarf der Mieter zu etwa 90 Prozent gedeckt werden. Der Eigentümer hat tatsächlich über Monate versucht, alle rechtlichen Anforderungen zu erfüllen und sollte dann Energieversorger werden. Er hat das mit dem Netzbetreiber diskutiert. Der hat ihm dann am Ende empfohlen, er solle doch ein Hotel anmelden, dann sei es Eigenversorgung.

Worauf sollten Betreiber besonders achten und worauf sollten Installateure ihre Kunden hinweisen?

Man sollte einfach sehr vorsichtig sein, sobald der Anlagenbetreiber nicht allein der Nutzer des Stroms ist. Das sind sehr viele Fälle. Zum Vergleich: Es gibt in Deutschland etwa elf Millionen Einfamilienhäuser. Und es gibt eine Million Gebäude, die im Sinne des Mieterstromgesetzes relevant sind, also mehr als sechs Wohneinheiten haben. Aber dazwischen liegen vier bis fünf Millionen Gebäude, wo es solche Mischkonstellationen geben kann. Bei der Verbraucherzentrale nennen wir es intern „Kleiner Mieterstrom“. Das sind Fälle, wo es ein Energieversorger oder anderer Dienstleister nicht umsetzen kann, weil der Aufwand im Verhältnis zu den Kosten zu groß ist. Für diese kleinen Projekte bräuchte man einfachere Regeln, bei denen der PV-Anlagenbetreiber nicht Energieversorger werden muss. Am besten wäre es zu sagen: Alles, was in einem Gebäude passiert, ist Eigenversorgung, unabhängig davon, wer die Anlage betreibt.

Nehmen wir eine einfache Konstellation mit purer Eigenversorgung. Gibt es hier auch Fallstricke? Was passiert, wenn ich meine Anlage nur beim Netzbetreiber anmelde und sonst gar nichts mache, weil ich eventuell auch gar keine Vergütung beanspruche, sondern einen Großteil des Stroms selbst verbrauche?

Der Betreiber muss die Anlage immer melden, egal, ob er die Vergütung haben möchte oder nicht. Viele wissen nicht, dass sie auch die EEG-Pflichten erfüllen müssen, selbst wenn sie die Förderung nicht in Anspruch nehmen. Beispielsweise die technischen Vorgaben, aber auch verschiedene Meldepflichten wie die bei der Bundesnetzagentur. Die gelten für alle Anlagen, die mit dem Netz verbunden sind. Die Sanktionsmöglichkeiten reichen von Vergütungskürzungen bis zu Bußgeldern.

Wir sprachen über die zunehmende Komplexität des EEG, die wohl kaum ein Bürger in Gänze erfassen kann.

Bei der Anmeldepflicht für Stromspeicher bei der Bundesnetzagentur erleben wir gerade, dass schon recht einfache Pflichten nicht verstanden und umgesetzt werden. Bis vor kurzem war selbst Fachleuten nicht bekannt, dass man einen Batteriespeicher genauso anmelden muss wie eine Photovoltaik­anlage. Der letzte Stand ist, dass von rund 80000 Speichern erst rund 5000 angemeldet wurden.

Kann die Verbraucherzentrale einschätzen, ob diese rechtliche Komplexität den PV-Ausbau behindert?

Auf jeden Fall. Wir hören immer wieder, wenn wir Verbrauchern die mit dem Betrieb einer PV-Anlage verbundenen Pflichten erklären, dass sie es dann lieber sein lassen. Oder es gibt auch Fälle, wo sich die Betreiber mehr oder weniger bewusst rechtlich nicht korrekt verhalten. Sie gehen Rechtsunsicherheiten ein, weil sie die Anforderungen nicht erfüllen können. Unser Fazit als Verbrauchzentrale ist, dass die Gesetze von einem normalen Verbraucher nicht zu verstehen und damit nicht zu erfüllen sind. Sie widersprechen so auch dem Sinn des Gesetzes, den Ausbau zu fördern.

Ginge es denn einfacher?

Ja, denn die Komplikationen ergeben sich häufig daraus, dass man dieses Thema durch die energiewirtschaftliche Brille betrachtet und nicht aus der Anwenderperspektive. Die meisten Probleme entstehen durch die Fiktion einer Lieferung innerhalb der Kundenanlage und durch die Forderung nach der Personenidentität von Anlagenbetreiber und Stromverbraucher.

Gibt es dafür Beispiele, wie andere Länder dies möglicherweise besser regeln?

Aktuell gibt es das in der Schweiz. Da wird genau andersherum gedacht. Man hat in das neue Energierecht explizit die Eigenverbrauchsgemeinschaft hineingeschrieben. Jeder Strom, der innerhalb einer Kundenanlage, also hinter dem Stromanschluss produziert wird, dient dem Eigenverbrauch, egal, wem die Anlage gehört. Alle, die auf einem solchen Grundstück wohnen oder arbeiten, können so versorgt werden und sind befreit von speziellen Abgaben oder Umlagen.

Wäre das auch in Deutschland denkbar?

Das hoffe ich. Wir erleben in unserer täglichen Beratungspraxis als Verbraucherzentrale, dass die Menschen nicht auf Rendite aus sind, sondern einfach Solarenergie sinnvoll nutzen wollen. Aber sinnvolle technische Anwendungsbereiche werden durch eine komplizierte Überregulierung behindert. Wenn wir wollen, dass es Prosumer gibt, dass die Solarenergie dezentral genutzt wird und wenn Verbraucher überhaupt eine Chance haben sollen, ihre Pflichten zu kennen und zu erfüllen, dann müssen wir die gesetzlichen Regelungen dringend vereinfachen.

Interview: Andreas Witt

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