Gutachter raten, Vorrang Erneuerbarer zu relativieren

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Solarthemen+plus.Ein bislang nicht veröffentlichtes Gutachten zur Systemsicherheit im deutschen Stromnetz im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums sorgt für Irritationen. Denn darin wird vorgeschlagen, den Einspeisevorrang für Strom aus Erneuerbare-Energien- und KWK-Anlagen zu „relativieren“.

Nach ersten Berichten in Medien, die über den Vorschlag der Gutachter informiert worden waren, ruderte das Ministerium scheinbar zurück. Am Einspeisevorrang solle nicht gerüttelt werden, so erklärte ein Ministeriumssprecher gegenüber der Presse. Doch das beabsichtigen auch die Gutachter, ein Konsortium bestehend aus Ecofys, Becker Büttner Held und Consentec, nicht. Sie schreiben selbst: „Das aktuell geltende Europarecht gestattet eine Relativierung des Einspeisevorrangs grundsätzlich nur aus Gründen der Netzsicherheit. (…) Von einer zu weitgehenden Relativierung oder gar vollständigen Aufhebung des Einspeisevorrangs ist hingegen auch aus europarechtlichen Gründen abzuraten.“ Der Einspeisevorrang für erneuerbare Energien ist ein wesentliches Element des Energierechts. Er sieht vor, dass bei Netzengpässen zuerst konventionelle Kraftwerke heruntergefahren werden sollen. Wie Studien etwa das Fraunhofer Instituts für Solare Energieversorgung zeigen, laufen aber auch gerade schwer regelbare Braunkohlekraftwerke fast immer durch, auch wenn für den dort produzierten Strom kaum Bedarf besteht. Andererseits werden Windparks heruntergefahren. Laut der Studie „Entwicklung von Maßnahmen zur effizienten Gewährleistung der Systemsicherheit im deutschen Stromnetz“ haben die Netzbetreiber im Jahr 2016 rund 3,7 TWh der Stromerzeugung auf Basis erneuerbarer Energien abgeregelt. Die Gutachter gehen nun davon aus, dass die Kosten für das Netzengpassmanagement verringert werden können. „Voraussetzung hierfür ist eine Relativierung des nachrangigen Einsatzes von EE- und KWK-Anlagen sowie der Netzreserve für die Netzengpassbehebung“, so die Studie. Strom aus EE- und KWK-Anlagen würde so „nur in sehr beschränktem Umfang“ verringert. Doch wie die Gutachter einräumen, würden die CO2-Emissionen tendenziell ansteigen, weil konventionelle Kraftwerke hochgefahren würden. Der Anteil der zusätzlichen Emissionen an der CO2-Bilanz des Kraftwerksparks läge bei weniger als 1 Prozent. Das sei nicht signifikant, meinen die Gutachter. Grundsätzlich würde sich also die Energieerzeugung von Erneuerbare-Energien- und KWK-Anlagen hin zu konventionellen Gas- und Kohlekraftwerken verschieben, auch wenn der Einspeisevorrang nicht ganz gekippt, sondern „relativiert“ würde. In der Opposition stoßen die Überlegungen auf Kritik. Sollte die Regierung die Empfehlungen umsetzen, würde Kohlestrom die Netze verstopfen, erklären die bündnisgrünen Bundestagsabgeordneten Annalena Baerbock und Oliver Krischer: „Atomstrom darf obendrein in Netzengpassgebiete übertragen werden, aber die Erneuerbaren dreht die Bundesregierung zurück.“ Der Einspeisevorrang sei ein Grundpfeiler der Energiewende. „Der Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Netzausbau müssen Hand in Hand gehen, sonst kommt man keinen Schritt voran.“ Die SPD-Bundestagsabgeordnete Nina Scheer sagt: „Wer den Einspeisevorrang für erneuerbare Energien aufgibt, öffnet damit zwangsläufig die Netze für die prioritäre Verwendung von Kohle- und Atomstrom. Dies würde die Ziele des Koalitionsvertrages und die internationalen Klimaverpflichtungen Deutschlands in Frage stellen.“ Text: Andreas Witt Foto: lupolucis/fotolia.com

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