Expertenkommission: „Energiewende höheren Stellenwert einräumen“
Die Energiewende in Deutschland kommt nicht auf allen Feldern wie gewünscht voran. Zwar macht der Ausbau der erneuerbaren Energien weitere Fortschritte, diesen stehen jedoch erhebliche Defizite bei der Steigerung der Energieeffizienz gegenüber. Insbesondere die Entwicklungen im Verkehrssektor gehen in die falsche Richtung. Doch dazu muss die Energiewende wieder einen höheren Stellenwert auf der politischen Agenda bekommen. Dies gilt nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Beschlüsse auf EU-Ebene zu den Energie- und Klimaschutzzielen für 2030, so die Kommission.
Wichtige Vorhaben wurden verwirklicht
In den letzten Jahren konnte die Bundesregierung zwar wichtige Vorhaben zur Energiewende verwirklichen. Dazu gehören etwa der Nationale Aktionsplan Energieeffizienz (NAPE), der Übergang zu Ausschreibungen bei der Förderung des Ausbaus der erneuerbaren Elektrizität oder die Weiterentwicklung des Strommarktdesigns. Diese Maßnahmen reichten jedoch nicht aus, um die Ziele des Energiekonzepts zu erreichen.
Bestandsaufnahme zeigt die Schwächen
Die Bestandsaufnahme der Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“ für das Jahr 2020 zeigt die Handlungsnotwendigkeiten: Im Bereich der Erneuerbaren wird das Ziel für den Bruttoendenergieverbrauch wahrscheinlich erreicht, die Anteile der erneuerbaren Energien in den verschiedenen Sektoren entwickeln sich aber sehr unterschiedlich. So wurde das 2020-Ziel für den Anteil am Bruttostromverbrauch bereits 2017 erfüllt, die anstehende EEG-Reform sollte allerdings weitere Schritte zur Integration in den wettbewerblichen Strommarkt anstoßen. Die Zielerreichung für den Wärmeverbrauch ist nicht sichergestellt und das Ziel für die Erneuerbaren im Verkehr wird sogar deutlich verfehlt werden.
Schwachfeld Energieeffizienz
Im Bereich der Energieeffizienz ist die Situation schwieriger: Trotz zahlloser politischer Initiativen und Maßnahmen erscheint keines der entsprechenden Ziele für 2020 erreichbar. Die Energieproduktivität müsste gegenüber der bisherigen Trendentwicklung um den Faktor 4 gesteigert werden, um noch bis 2020 auf den Zielwert des Energiekonzepts zu gelangen. Dies zeigt die Notwendigkeit des politischen Engagements für mehr Energieeffizienz.
Schwachfeld Verkehr
Im Verkehrsbereich ist der Endenergieverbrauch zum vierten Mal in Folge angestiegen, allein im Jahr 2016 um fast 3 % gegenüber dem Vorjahr. Mittlerweile entspricht die Ziellücke zum 2020-Ziel in Deutschland rechnerisch dem Jahresverbrauch von mehr als 10 Mio. Pkw. Eine deutliche Reaktion der Bundesregierung auf diese schon seit Jahren bestehende Negativentwicklung ist noch nicht zu erkennen.
Ziel wird deutlich verfehlt
Das übergeordnete Klimaschutzziel für das Jahr 2020 wird demzufolge aller Voraussicht nach deutlich verfehlt. Die Expertenkommission weist hierauf schon seit Jahren hin. Nun wird dies auch von der Bundesregierung eingeräumt. Das ist insofern erfreulich, als dass jetzt die Chance zu einer fairen Manöverkritik besteht, in deren Folge die Ursachen für die Zielverfehlung unvoreingenommen adressiert werden können.
Der Monitoring-Bericht der Bundesregierung liefert erste Hinweise in diese Richtung, doch sind diese noch lückenhaft. Aus Sicht der Expertenkommission ist die Erreichung des deutschen Klimaschutzziels für 2030 mit der jetzigen Dynamik nicht möglich, denn von 2017 bis 2030 müssen die jährlichen Treibhausgasemissionen dreimal stärker gesenkt werden als in den Jahren von 2000 bis 2017. Dies ist bedeutsam, da verbindliche europäische Zielvorgaben für das Jahr 2030 – für Deutschland -38 % gegenüber 2005 für alle Sektoren außerhalb des Emissionshandels – erreicht werden müssen.
Durchwachsenes Urteil
Bei den Zielen „Versorgungssicherheit – Preiswürdigkeit – Umweltverträglichkeit“ ergibt sich ebenfalls ein durchwachsenes Urteil: Während die Bundesregierung die Stromversorgung als rundum sicher betrachtet, sieht die Expertenkommission bei der Versorgungssicherheit durchaus Probleme, insbesondere wegen des schleppenden Ausbaus der Stromnetze. Die Preiswürdigkeit der Energiewende ist augenblicklich gegeben, was sich in einem erneut gesunkenen Anteil der Letztverbraucherausgaben für Elektrizität an der Wirtschaftsleistung äußert. Diese Entwicklung sollte aber weiter beobachtet werden, da es Hinweise dafür gibt, dass die Stabilisierung der Gesamtausgaben nur vorübergehend sein könnte.
„Nun müssen Schlussfolgerungen gezogen werden“
Im Koalitionsvertrag werden die zentralen Handlungsfelder angesprochen, wenn auch abstrakt und weitgehend ohne konkrete Maßnahmen. Nun gilt es, der Energiewende wieder einen höheren Stellenwert auf der politischen Agenda einzuräumen. Die offene und realistische Bestandsaufnahme im sechsten Monitoring-Bericht der Bundesregierung ist daher zu begrüßen, nun müssten aber die Schlussfolgerungen gezogen und Weichenstellungen getroffen werden.
Langfristigen Zielkorridor definieren
So muss im Rahmen des geplanten Klimaschutzgesetzes ein mit dem Pariser Klimaabkommen konformer langfristiger Zielkorridor definiert werden. Dazu gehört auch eine Perspektive zur Beendigung der Kohleverstromung in Deutschland. Es ist zu wünschen, dass die gerade eingesetzte Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ dafür sozial- und regionalpolitisch akzeptable Lösungen findet. Aus Sicht der Expertenkommission ist für eine erfolgreiche Transformation des Energiesystems darüber hinaus zeitnah eine Reform der Entgelte, Steuern, Abgaben und Umlagen auf Elektrizität erforderlich. Der Leitgedanke sollte dabei eine allgemeine CO2-Bepreisung sein.
Hintergrund
Heute wurde der sechste Monitoring-Bericht zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“ von der Bundesregierung veröffentlicht. Anhand von Indikatoren wird im Bericht ein faktenbasierter Überblick über den Stand der Umsetzung der Energiewende gegeben. Er wurde vom Bundeswirtschaftsministerium unter Beteiligung der anderen Ressorts und nachgeordneter Behörden erarbeitet. Zur Begleitung des Monitoring-Prozesses hatte die Bundesregierung im Jahr 2011 eine Kommission aus unabhängigen Energieexperten berufen. Die Expertenkommission verfasst Stellungnahmen zum jährlichen Monitoring-Bericht bzw. zum alle drei Jahre erscheinenden Fortschrittsbericht der Bundesregierung. Dabei geht es um die wissenschaftliche Einordnung und Bewertung der Berichte sowie um Handlungsempfehlungen für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende in Deutschland.
Die Mitglieder der Expertenkommission sind:
Prof. Dr. Andreas Löschel (Vorsitzender), Universität Münster
Prof. Dr. Georg Erdmann, TU Berlin
Prof. Dr. Frithjof Staiß, Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW)
Dr. Hans-Joachim Ziesing, AG Energiebilanzen e.V. (AGEB)
27.06.2018 | Quelle: ZSW | solarserver.de © EEM Energy & Environment Media GmbH