Energiewende in Schieflage

Solarthemen+plus. Mit einem halben Jahr Verspätung – wegen der langwierigen Regierungsbildung – hat die Bundesregie­rung den jüngsten Monitoringbericht zur Energiewen­de beschlossen. Die unabhängige Expertenkommission, die den Auftrag hat, die jährlichen Berichte zu kom­mentie­ren, warnt vor Fehlentwicklungen.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Professoren Andreas Löschel, Georg Erdmann, Frithjof Staiß und Hans-Joachim Ziesing äußerst kritisch mit der Energiepolitik der Bundesregierung auseinandersetzen. Die regierungsamtlichen Darstellungen der Energiewende gegen den Strich zu bürsten, ist ihr Job, für den sie vom Deutschen Bundestag als vierköpfige „Expertenkommission zum Monitoring-Prozess ,Energie der Zukunft‘“ beauftragt wurden. Lobend erwähnen die Experten in ihrer Stellungnahme nur wenige Aktivitäten der Bundesregierung. So heben sie hervor, dass der Koalitionsvertrag ein Klimaschutzgesetz ankündigt, das aus ihrer Sicht die bislang nur regierungsamtlichen Klimaschutz- und Energieziele gesetzlich fixieren und Sanktionsmechanismen etablieren sollte, um damit eine größere Bindungswirkung auch für andere Politikbereiche und Planungsprozesse zu entfalten. Vorschusslorbeer vergeben die vier Experten auch für jüngst eingerichtete Kohlekommission, da sich die Regierung nun erstmals offiziell mit dem Kohleausstieg befasse. Schon in ihren früheren Berichten hatte die Expertenkommission regelmäßig darauf hingewiesen, dass die Erreichung des 40-prozentigen Treibhausgas-Minderungsziels für 2020 gegenüber 1990 immer unwahrscheinlicher wird. Dass die Bundesregierung dies in ihrem Monitoringbericht nun erstmals offiziell einräumt, nehmen die Experten zum Anlass, die große Herausforderung des 55-Prozent-Ziels für 2030, das die Bundesregierung laut Koalitionsvertrag unbedingt erreichen will, genauer zu erläutern: „Von 2017 bis 2030 müssten die jährlichen Treibhausgasemissionen mit rund 26 Mio. t CO2-Äquivalenten dreimal stärker reduziert werden als in den Jahren von 2000 bis 2017.“ Große Defizite sehen die Experten bei der Energieeffizienz, wo der Zuwachs an Energieproduktivität um den Faktor 4 gesteigert werden müsste, um das 2020er Ziel noch zu erreichen. Noch schlimmer sieht es im Verkehrsbereich aus, dessen Endenergieverbrauch weiter ansteige statt zu sinken. Die Kommission schreibt: „Mittlerweile umfasst die Ziellücke zum 2020er Ziel rechnerisch etwa den Jahresverbrauch von 10 bis 11 Mio. Pkw in Deutschland.“ Doch auch für den Bereich der erneuerbaren Stromerzeugung, den die Experten zumindest gemessen am 2020er Ausbauziel im grünen Bereich sehen, machen sie auf massive Risiken aufmerksam. Hier werde bei den EEG-Ausschreibungen „nicht in allen Sparten die angestrebte Wettbewerbsintensität erzielt werden können. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der im Koalitionsvertrag angekündigten Sonderausschreibungen für Photovoltaik­anlagen und Windenergie an Land zu beachten.“ Sprich: Was nutzen angehobene EEG-Ausschreibungsmengen, wenn es aus anderen Gründen – etwa wegen restriktiver Flächenvorgaben oder sonstiger Planungsunsicherheiten – zu wenig zuschlagreife Projekte gibt? Massiv setzt sich das Expertengremium für eine Reform der Entgelte, Steuern, Abgaben und Umlagen auf Energie ein. Bereits in ihrem Vorjahresbericht hatte es sich für eine allgemeine CO2-Bepreisung als Leitinstrument ausgesprochen, „um damit einen ökonomisch sinnvollen, stabilen und langfristigen Rahmen für die Transformation des Energiesystems zu setzen.“ Jetzt quantifiziert die Kommission die Preissignale je Tonne CO2 in den Bereichen Strom, Wärme und Verkehr und kritisiert die Schieflage der „totalen CO2-Preise“ zwischen den Sektoren und Energieträgern. Die Expertenkommission regt an, alle Umlagen und Abgaben auf Elektrizität durch einen CO2-bezogenen Zuschlag auf die Energiesteuern auf fossile Energieträger zu prüfen. Dadurch könne der Elektrizitätspreis für die Letztverbraucher sinken, während der Großhandelsstrompreis stiege. Die Kosten der Förderung erneuerbarer Energien würden sich reduzieren. „Womöglich wären manche Erneuerbare-Stromerzeugungsanlagen sogar schon ohne weitere Förderung realisierbar“, so die Experten. Text: Guido Bröer

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