Tübingen beschließt: Kein Neubau ohne Solarenergie
Die Stadt Tübingen führt als erste Stadt Deutschlands eine flächendeckende Photovoltaikpflicht für Neubauten ein. Einen entsprechenden Grundsatzbeschluss fasste der Gemeinderat der württembergischen Universitätsstadt mit großer Mehrheit. Die Mindestleistung der Anlagen wird nun durch die Stadtverwaltung zu definieren sein. Formal verankert wird die Auflage in den Grundstückskaufverträgen, sofern die Stadt der vorherige Grundbesitzer ist. In den anderen Fällen wird die Pflicht über einen städtebaulichen Vertrag geregelt. Die Stadt sieht sich dazu durch das Baugesetzbuch legitimiert, räumt aber ein gewisses rechtliches Risiko ein, weil es zur Frage der Zulässigkeit einer solchen Auflage noch keine einschlägigen Urteile gebe. Umfasst von dem Beschluss sind alle Objekte, „bei denen die vorgesehene Bebauung einen Strombedarf bedingt“, also auch gewerbliche und öffentliche Gebäude. Bedingung ist aber, dass eine Solarstromanlage „mit einem wirtschaftlich angemessenen Aufwand errichtet und betrieben werden“ kann. Eine Ausnahme soll es für Bauten geben, die auf ihrem Dach eine definierte Menge Solarthermie nutzen. Der Beschluss basiert auf dem Ziel der Stadt, die CO2-Emissionen pro Kopf bis 2022 gegenüber dem Wert von 2014 um 25 Prozent abzusenken. Dies sei nur unter Mitwirkung der Bürgerschaft möglich, betont die Stadtverwaltung in ihrer Beschlussvorlage. Da das nutzbare Potenzial der Wasserkraft in der Stadt ausgeschöpft sei, die Windkraft auf städtischem Gebiet am Naturschutz scheiterte, Klärgas bereits vollständig verstromt werde und eine zusätzliche Nutzung von Biogas nicht absehbar sei, biete im Stromsektor alleine die Photovoltaik noch „ein großes, einfach nutzbares Potenzial“. Gebäudeeigentümer, die die Investition in eine Solarstromanlage scheuen, können ein Pachtmodell nutzen. Der Gemeinderat machte die Existenz eines solchen gar zur Voraussetzung für seine Zustimmung: Die Baupflicht gilt laut Beschluss nur so lange, wie „für den Bauherren Wahlfreiheit zwischen Eigentum und Pacht gegeben ist.“ Die Stadtwerke Tübingen haben bereits ein entsprechendes Angebot: Sie planen auf Wunsch die Anlage, finanzieren und warten sie. Der Kunde zahlt sie dann über seine Stromrechnung ab, indem die Einsparungen durch den Eigenverbrauch die Pacht finanzieren. Attraktiv sei das für den Kunden, weil der Strom vom Dach längst preisgünstiger ist als jener aus dem Netz, sagt Oberbürgermeister Boris Palmer, und rechnet mit einem Preisvorteil für den Verbraucher von zwei Cent je Kilowattstunde. Per Facebook teilte der umtriebige Rathauschef nach der Abstimmung mit: „Ich bin sehr stolz darauf, wie Stadt und Rat in die Rolle ökologischer Pioniere geschlüpft sind.“ Die vorausgegangene Diskussion im Gemeinderat sei „sehr sachlich“ verlaufen. Obwohl heute die Photovoltaik „in der Stadt die billigste und beste Stromquelle“ sei, sei eine Pflicht zur Nutzung von Photovoltaik nötig, betont Palmer. Denn viele Bürger beschäftigten sich ansonsten nicht mit dem Thema – und ließen diese Chance dann ungenutzt. Text: Bernward Janzing, Foto: Manuel Schönfeld, fotolia