Interview mit Prof. Dr. Andreas Löschel: Es gibt Alternativen für die Politik

Solarthemen 505. Prof. Dr. Andreas Löschel ist Ökonom und Vorsitzender der Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“ der Bundesregierung, die hierzu gerade ihre Stellungnahme veröffentlicht hat. Löschel lehrt und forscht als Professor Ener­gie- und Ressourcenökonomik an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Die Solarthemen sprachen mit ihm über den Stand der Energiewende.

Solarthemen: Sie haben zum Monitoringbericht „Energie der Zukunft“ Stellung bezogen. Wo sehen Sie Defizite?

Andreas Löschel: Zum einen im Bereich der Engieeffizienz, wo wir in fast allen Indikatoren zu wenig Fortschritte sehen. Im Verkehrssektor ist dies besonders auffällig, aber auch insbesondere im Bereich des Klimaschutzziels, das im Jahr 2020 deutlich verfehlt werden dürfte und wo es auch für 2030 schwierig werden wird, das gesetzte Ziel tatsächlich zu erreichen. Hier besteht ein großer Nachsteuerungsbedarf von Seiten der Politik.

Solarthemen: Bei den Erneuerbaren im Strombereich werden die kurzfristigen Ziele erreicht. Aber müsste deren Ausbau nicht deutlich schneller gehen, um die Klimaziele zu schaffen?

Andreas Löschel: Wir haben uns zunächst die Situation bis 2020 angeschaut. Und da sieht man, dass wir auf einem guten Pfad sind. Und die Ziele für die erneuerbaren Energien wurden ja auch deswegen immer wieder nach oben angepasst, weil es diese guten Fortschritte beim Ausbau gibt. Das Ziel für das Jahr 2030 wurde im Monitoring nicht vertieft betrachtet, weil es darin mehr um die zurückliegenden Jahre geht. Es wird Ende des Jahres einen Fortschrittsbericht geben, der sich auch konkret mit den Zielen für 2030 befasst. Und hier wird man dann schauen müssen, was das neue 65-Prozent-Ziel für erneuerbare Energien im Stromsektor bedeutet und wie man vorankommt. Man wird auch fragen, ob das Ziel für den Stromsektor ausreicht, um den Anteil der Erneuerbaren am gesamten Energiebedarf ausreichend nach oben zu bringen und so die Klimaschutzziele zu erreichen.

Solarthemen: Sie mahnen an, beim Netzausbau müsse mehr Tempo gemacht werden. Im Koalitionsvertrag ist der Netzausbau eine Bedingung, von der der Ausbau der Erneuerbaren abhängt. Ist es richtig, sich beim Ausbau der Erneuerbaren von der Entwicklung im Netzausbau abhängig zu machen?

Andreas Löschel: Man darf es sich nicht zu einfach machen. Nur der Verweis auf den fehlenden Netzausbau ist nicht ausreichend, sondern man muss sich überlegen, wie man auch bei einem schleppenden Ausbau der Stromnetze trotzdem die Ausbauziele der Erneuerbaren weiter erreichen kann. Dazu müssen Netz­engpässe adäquat angegangen werden. Wir haben uns in unserer Stellungnahme intensiver mit der Bepreisung der Netznutzung befasst. All das wird eine Rolle spielen müssen. Aber, wie gesagt, es gibt die gesetzten Ziele für den Netzausbau. Und wir denken, dass wir hier deutlich schneller werden und deutlich mehr Engagement für eine verbesserte Netznutzung an den Tag legen müssen.

Solarthemen: Was halten Sie von der Alternative eines mehr dezentralen Ausbaus in Kombination mit Speichern und möglicherweise Power-to-X?

Andreas Löschel: Ich glaube, das wird eine natürliche Entwicklung sein. Auch hier spielt der richtige Rahmen für Dezentralität eine zentrale Bedeutung. Dazu gehören etwa zeitlich und räumlich differenzierte Netzentgelte. Dann würde auch klar werden, dass eine Einspeisung im Norden, die stark zu Netzengpässen beiträgt, anders zu behandeln ist als eine Einspeisung im Süden. Durch diesen marktbezogenen Ansatz würde mehr in Regionen investiert und erzeugt, in denen Knappheiten bestehen, und dadurch bekommt man eine bessere Verteilung der Erzeugungsanlagen. Die Politik möchte das eigentlich ja auch erreichen. Allerdings soll stärker politisch gesteuert werden – und bei politischen Entscheidungen spielen natürlich auch eine Reihe anderer Dinge eine Rolle. Aber es wird in jedem Fall durch die fallenden Kosten der erneuerbaren Stromerzeugung eine breitere Verteilung der Investitionen geben. Und dies wird einhergehen mit anderen Technologien. Sie haben die Speicher angesprochen. Es wäre tatsächlich eine Aufgabe, eine Speicherstrategie zu entwickeln, die es in einer konsistenten Form noch nicht gibt. Auch bei Power-to-X ist mittlerweile klar, dass diese Technologien ein zentraler Baustein für die Energiewende sein werden. Diese Technologien müssen jetzt konsequent entwickelt werden, damit sie uns gegen Ende der 2020er Jahre zur Verfügung stehen, um mit der gesteigerten Stromerzeugung aus Erneuerbaren ökonomisch umgehen zu können.

Solarthemen: Das Wirtschaftsministerium scheint aber noch der Philosophie der Kupferplatte zu folgen, laut der ein Ausgleich bei Stromerzeugung und -bedarf über die Stromnetze – möglichst auf europäischem Level – erfolgen soll.

Andreas Löschel: Da muss man einen realistischen Blick auf die Probleme haben. Im europäischen Kontext gibt es ja schon lange Verpflichtungen des Ausbaus, auch der Kuppelstellen. Das hat aber jahrzehntelang nicht so stattgefunden. Auch dies muss man berücksichtigen, wenn man realistisch nach vorne schaut. Es gibt nicht nur Probleme beim deutschen Netzausbau, sondern auch im europäischen Kontext. Dabei ist in der mittleren Sicht durchaus auch die Versorgungssicherheitssituation länderübergreifend zu betrachten.

Solarthemen: In Ihrer Stellungnahme sprechen Sie etwas an, was vielen Sorge bereiten könnte: Das Auslaufen der EEG-Förderung in möglicherweise schon fünf Jahren.

Andreas Löschel: Das Auslaufen der Förderung in relativ kurzer Frist müsste mit entsprechenden Änderungen bei den Rahmenbedingungen einhergehen, insbesondere mit einer deutlich höheren CO2-Bepreisung. Die könnte dann tat­sächlich dazu führen, dass Erneuerbare sich in einigen Jahren wirtschaftlich über Markterlöse finanzieren könnten. Ein allein marktgetriebener Ausbau in der gewünschten Größenordnung wird sich ohne entsprechende Rahmenbedingungen nur sehr schwierig gestalten lassen. Aber auch die Fördermechanismen müssen weiterentwickelt werden.

Solarthemen: Ein großer Vorteil des EEG ist die Absicherung der Investition, was zu guten Finanzierungskonditionen führt. Ohne EEG wären das Risiko und damit die Zinsen höher. Ist es wirklich geschickt, das aufzugeben? Würden dadurch die Kosten nicht steigen?

Andreas Löschel: Das ist sicher ein Punkt. Wie geht man tatsächlich mit den Finanzierungskosten um, wenn die Erneuerbaren stärker in den Markt integriert werden und größere Marktunsicherheiten tragen müssen? Etwa beim Umstieg auf eine fixe Marktprämie. Heute hat man über die flexible Marktprämie entsprechende Absicherungen. Ein anderes Modell, bei dem die Anlagenbetreiber ebenfalls ein sehr geringes Risiko tragen, sind Systeme mit Differenzkontrakten wie in Großbritannien, wo eine Absicherung der Finanzierungsrisiken langfristig stattfindet und erneuerbare Energien bei systematisch steigenden Preisen nicht überfördert werden. Wir haben uns auch dafür ausgesprochen, technologiespezifisch eine feste Anzahl von Stunden zu fördern. Auch hier wird eine Rückkopplung mit den Veränderungen auf den Strommärkten geschaffen. Investoren können aber durchaus mit Marktrisiken umgehen. Wir sehen ja die Diskussion um Power-Purchase-Agreements, also langfristige Stromlieferverträge zwischen Erzeugern und Verbrauchern. Dies wird sehr zentral für die Zukunft sein und es gibt ein großes Interesse von Energieerzeugern und aus der Industrie daran. Dabei stellt sich die Frage, wie man solche privatwirtschaftlichen Konstrukte unterstützen kann, auch indem man zum Beispiel von staatlicher Seite einen Teil des Finanzierungsrisikos durch öffentliche Kredite direkt anspricht.

Solarthemen: Der Wärmebereich bleibt weiterhin weit hinter seinen Potenzialen zurück. Hat die Politik überhaupt wirksame Optionen?

Andreas Löschel: Das ist ein schwieriges Thema. Wir sehen, dass im Gebäudebereich seit einigen Jahren eine Stagnation eingetreten ist. Langfristig ist auch noch fraglich, in welchem Umfang eine Reduktion von Emissionen im Gebäudebereich durch eine verstärkte Sektorkopplung stattfinden kann. Der Gesetzgeber scheint nicht gerade viel in seinem Instrumentenkasten zu haben. Schon eine steuerliche Förderung energetischer Sanierung scheint politisch seit Jahren nicht durchsetzbar. Wir sprechen uns dafür aus, über höhere Energiesteuern auf CO2-Basis im Gebäudebereich Anreize zu schaffen. Dies würde fossile Energien verteuern und Alternativen den Weg öffnen. Ich denke, das wäre ein ganz wichtiges Instrument. Es wird aber politisch leider praktisch nicht diskutiert.

Solarthemen: Die Maßnahme einer CO2-Steuer ist speziell im Wirtschaftsministerium nicht populär. Herr Altmaier hat kürzlich erklärt, das sei eine Debatte, die keine Rolle spiele. Ein Gegenargument ist für ihn, dass Wärme dann teurer werde. Welches Argument können sie dem entgegensetzen?

Andreas Löschel: Der Gebäudebereich wird genau aus diesem Grund von der Politik immer nur sehr zögerlich angefasst. Man hat hier direkte Betroffenheiten. Auf der anderen Seite ist es wichtig, zwischen der langfristigen Perspektive, also den Anreizen bei den Haushalten, und den Umstellungseffekten zu unterscheiden. Es ist jetzt wichtig, das System so umzustellen, dass die Menschen von Preiserhöhungen in Folge einer CO2-Bepreisung nicht zu stark betroffen sind, aber entsprechende Anreize für die Zukunft gesetzt werden. Das ist machbar, denn durch die Steuern werden Einnahmen generiert und die können rückverteilt werden, etwa als Zahlungen pro Kopf an die Haushalte. Das kann man austarieren und die größten Unwuchten wegnehmen. Es ist ja klar, dass die Energiewende in der mittleren Sicht mit Mehrbelastungen einhergehen wird, die fair verteilt werden müssen. Es braucht aber auch ein langfristiges Signal, dass sich fossile Energien in Zukunft deutlich verteuern werden.

Interview: Andreas Witt; Foto: Andreas Reeg

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