Wie die Solarnutzung zur Pflicht wird

Solarthemen 505. In Tübingen hat der Stadtrat den Grund­­satzbeschluss gefasst, dass in der Kom­mune kein Gebäude mehr ohne Solarstromanlage gebaut werden soll. Auch in anderen Gemein­den wurde und wird nach Wegen gesucht, die Installation von PV- und Solarthermieanlagen möglichst verbindlich vorzuschreiben.

Vor rund zehn Jahren war in Marburg der Versuch unternommen worden, die Nutzung der Solarenergie verbindlich in einer speziellen Satzung vorzuschreiben. Sie hätte auch für Bestandsbauten gegolten, sofern dort die Heizung oder das Dach umfassend modernisiert worden wäre. Doch Marburg wurden einige Steine in den Weg gelegt. Zuerst beanstandete das Regierungspräsidium Gießen die Solarsatzung. Dagegen klagte die Stadt vor dem Verwaltungsgericht Gießen. Das wies zwar am 12. Mai 2010 die Klage ab, doch es zeigte mit der Begründung zugleich auf, wie Marburg seine Satzung rechtssicher würde gestalten können: So sollte es für Hauseigentümer, die ihre Gebäude sanierten, eine schonende Übergangsbestimmung geben und Gebäude mit weniger als 50 Quadratmetern Nutzfläche sollten nicht von der Solarpflicht erfasst werden. Allerdings bestätigte das Amtsgericht das Recht Marburgs, eine Solarsatzung zu erlassen und sich dabei auf die Hessische Bauordnung zu stützen. Hürde nach Hürde Doch kaum war die erste Hürde umschifft, baute sich die zweite in Form der hessischen Landesregierung auf. Die änderte im Jahr 2010 die Landes-Bauordnung und strich in § 81 den Passus, auf den sich Marburg stützen konnte. Dies hat sich bis heute nicht geändert. Auch die grüne Fraktion im hessischen Landtag hat bislang die Wünsche aus Marburg nicht berücksichtigt – am 7. Juli dieses Jahres ist Hessens neue Bauordnung in Kraft treten, die aber bei den Vorgaben für örtliche Bauvorschriften – jetzt in § 91 – weiterhin für Solarsatzungen keine neue Grundlage bietet. Dass es auch anders geht, zeigt die Bauordnung von Rheinland-Pfalz. Hier heißt es in § 88: „(4) Die Gemeinden können außerdem durch Satzung bestimmen, dass (…) 3. im Gemeindegebiet oder in Teilen des Gemeindegebiets im Interesse des Klimaschutzes bei vor dem 1. Januar 2009 errichteten Gebäuden anteilig erneuerbare Energien zu nutzen sind.” Jedoch können Kommunen auch ohne spezielle Satzungen Vorgaben zur Nutzung erneuerbarer Energien machen. Marburg habe trotz der Landtagsentscheidung das Thema nie fallen gelassen, berichtet Fabio Longo. Er befasst sich als Jurist schon seit fast 20 Jahren mit Optionen von Kommunen, um die Solarnutzung auszuweiten. In der nordhessischen Stadt Vellmar war er am Konzept des städtebaulichen Vertrags wesentlich be­teiligt, um die Solarthermie voranzubringen. In Marburg ist er heute Mitglied des Stadtrates. Und dieser achtet in den von ihm beschlossenen Bebauungsplänen darauf, dass es hier Mindestvorgaben zur Nutzung der Sonnenenergie gibt. Birgit Heimrich von der Stadt Marburg erklärt, die Universitätsstadt lege bei neuen Bebauungsplänen fest, dass 30 Prozent der Dachflächen von Neubauten mit solartechnischen Anlagen ausgerüstet werden sollen. „Diese Vorgabe ist allerdings auf Flächen beschränkt, für die seitdem neue Bebauungspläne erstellt wurden und werden.” Gut ein Dutzend davon wurden bislang beschlossen, schätzt Longo. Sie bedürften jeweils einer städtebaulichen Begründung. Bislang habe es keine weitere deut­sche Stadt nach Marburg gegeben, die eine Solarsatzung beschlossen hätte, sagt Longo. Allerdings zeige jetzt das Beispiel Tübingens auf, wie Kommunen die Initiative ergreifen können. „Ich begrüße sehr, was Tübingen macht.” Die Stadt handele mit ihrem Grundsatzbeschluss sehr konsequent. Und die Vorgehensweise sei aus juristischer Sicht zulässig. Mehrheit in Tübingen Konkret hat der Stadtrat von Tübingen beschlossen, die Photovoltaik auszubauen. Er erklärt: „Der Ausbau der Stromproduktion aus Photovoltaikanlagen stellt einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz, zur dezentralen Energieversorgung und zur Reduktion von Luftschadstoffen dar. Zudem werden dadurch Energieversorgungs- und Energiepreisrisiken reduziert.” Um das Ziel zu erreichen, wird die Stadtverwaltung dazu verpflichtet, bei Grundstücksverkäufen und städtebaulichen Verträgen die Installation von PV-Anlagen zu vereinbaren oder ansonsten in Bebauungsplänen festzusetzen. Dabei soll beachtet werden, dass dies verhältnismäßig ist. So wird niemand dazu verpflichtet, eine PV-Anlage zu errichten, die in einer speziellen Situation – zum Beispiel aufgrund von Verschattung oder wegen ungeeigneter Rahmenbedingungen – unwirtschaftlich wäre. Die Pflicht zum Bau einer PV-Anlage entfällt auch, wenn die Pflichten aus dem Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetz vollständig über eine Solarthermieanlage auf dem Dach eines Gebäude erfüllt werden. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer erklärte nach dem Ratsbeschluss: „Die Diskussion verlief sehr sachlich. Am Ende hatten wir zwei Drittel der Stimmen für den Beschluss. Ich bin sehr stolz darauf, wie Stadt und Rat in die Rolle ökologischer Pioniere geschlüpft sind.” Photovoltaik sei in der Stadt die billigste und beste Stromquelle, so Palmer: „Eine Pflicht, sie zu nutzen, ist zum Vorteil aller. Nötig ist sie trotzdem, denn viele beschäftigen sich damit nicht und lassen die Chance daher aus.” Unumstritten ist die Regelung dennoch nicht. Die CDU, die Tübinger Liste und ein fraktionsloser Ratsherr stimmten dagegen. Die FDP will der Verankerung der Photovoltaik in Bebauungsplänen nicht folgen. Für die Tübinger Liste spielte bei der Ablehnung eine Rolle, dass für manchen Bauherren möglicherweise für die Installation einer PV-Anlage ein späterer Zeitpunkt besser wäre und daher nur die Vorbereitung einer Anlage durch Leerrohre etc. vorgeschrieben wer­den solle. Zum Nachdenken anregen Bernd Schott, der Umwelt- und Klimabeauftragte der Stadt Tübingen, hält es für wichtig, zum Nachdenken anzuregen. Wie die bereits in Tübingen gemachten Erfahrungen zeigten, seien die Vorgaben geeignet. Es gebe bei den Bauherren keinen Widerstand. Im Gegenteil würden häufig größere Anlagen installiert, weil sich dies wirtschaftlich lohne. Welche Mindestgrößen für PV-Anlagen in städte­bau­lichen Verträgen und Kaufverträgen vorgegeben würden, sei im Einzelfall zu prüfen. Tübingen nutzt im Zusammenhang mit den Kaufverträgen das Zwischenerwerbsmodell: Hier wird die Ausweisung von neuen Baugebieten und die Umwandlung von Flächen in Bauland davon abhängig gemacht, dass zumindest ein Großteil der Grundstücke zuvor – zu einem angemessenen Preis – an die Stadt verkauft wird. Steuern über Kaufverträge Der Kaufvertrag ist dann eine sehr einfache Möglichkeit, um die Käufer auf bestimmte Verpflichtungen, auch die Nutzung der Solarenergie, festzulegen. Dies haben auch andere Kommunen in den vergangenen Jahren häufig so gehandhabt. Ebenso gab es auch schon vor einigen Jahren Kommunen, die die Solarnutzung in Bebauungsplänen festschrieben. Dies war zum Beispiel in Hamburg schon früh der Fall – die Hansestadt konnte sich dabei für die städtebauliche Begründung auf das Landesklimaschutzgesetz beziehen. Dies wäre inzwischen auch auf Basis des Baugesetzbuches möglich. Allerdings greifen städtebauliche Verträge, Kaufverträge und Bebauungspläne häufig nur auf Neubauten zu. Marburg hatte versucht, mit der Solarsatzung auch auf den Bestand einzuwirken. Und war damit übrigens nicht die erste Kommune. Schon in den 90er Jahren gab es in Berlin einen ersten Vorstoß. Hier konnten sich die Abgeordneten aber letztlich nicht zu der Solarsatzung durchringen und stimmten stattdessen einer freiwilligen Vereinbarung mit der Immobilienwirtschaft zu, die einen Zubau in ähnlicher Größenordnung versprach, dies aber nicht einhielt. Text: Andreas Witt; Foto: Stadt Tübingen

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