Interview mit Jörg Lange: CO2-Abgabe hat jetzt eine Chance

Solarthemen 509. Der Biologe Jörg Lange ist Geschäftsführer des Vereins für eine nationale CO2-Abgabe. Seit Mitte der 1990er Jahre hat er in einer Reihe von sozialökologischen und solaren Projekten mitgewirkt. Der Verein hat sich im März 2017 allein zu dem Zweck gegründet, eine nationale CO2-Abgabe durchzusetzen, um für einen „effizienten Klimaschutz” zu sorgen. Nach Auffassung des Vereins scheitert der europäische Emissionshandel an einer unzulänglichen Umsetzung. Mit einer wirksamen Änderung sei auch in den nächsten Jahren nicht zu rechnen. Nationale CO2-Abgaben ließen sich dagegen einfacher umsetzen, erklärt der Verein. Sie stünden internationalen CO2-Preisen auch nicht im Weg, sondern würden internationale Vereinbarungen…

Solarthemen: Viele Experten halten eine CO2-Abgabe oder -Steuer für ein gutes Instrument, um die Energiewende voranzubringen. Dennoch scheint sich auf der politischen Ebene nicht viel zu tun. Woran liegt das?

Jörg Lange: Im Wesentlichen am Bundeswirtschaftsministerium. Inzwischen sind sich ja Unternehmen weitgehend einig, die Wissenschaft ohnehin. Der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Umweltfragen sagt seit Jahren, dass wir CO2-Preise brauchen. Die Wirtschaftsweisen haben gerade in der vergangenen Woche eine CO2-Bepreisung – auch auf nationaler Ebene – gefordert. Der wissenschaftliche Beirat zur Energiewende hat sich klar geäußert. Auch der Bundesrechnungshof hat erklärt, das Wirtschaftsministerium solle eine CO2-Steuer prüfen. Und auch die Länder sprechen sich für eine nationale CO2-Steuer aus.

Es gibt eine sehr grundsätzliche Kritik an CO2-Preisen, dass man mit ihnen die erneuerbaren Energien nicht unbedingt voranbringt. Denn um in die Erneuerbaren mit ihrer sehr langen Amortisationszeit zu investieren, braucht man Sicherheiten, wie sie das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das EEG, bietet. Fällt das weg, wird das Investment in große Wind- und Solaranlagen eventuell zu riskant. Und die Frage ist, ob eine CO2-Abgabe oder -steuer auf fossile Energien dies ausgleichen könnte.

Ja, eindeutig. Erstens ist es so, dass wir das EEG nicht abschaffen wollen, sondern das bleibt erst einmal bestehen. Unser Konzept hat nur den Vorteil und gleichzeitig ist dies eines unserer wichtigsten Ziele: die Bürokratie, die sich inzwischen aufgebaut hat, wieder abzubauen. Wenn man sich das heutige EEG mit über 100 Paragrafen anschaut, dann hat das nicht mehr viel mit seinem Start auf wenigen Seiten zu tun. Diese Bürokratie würde mit unserem Konzept der CO2-Abgabe wegfallen können. Aber nicht in dem Sinne, dass wir das EEG ganz abschaffen, die Vergütungsstruktur könnte so bleiben. Nur ist es langfristig so: Wenn der CO2-Preis langsam ansteigt, dann ist dies mit einem Anstieg auch der Börsenstrompreise verbunden, wie man dies in den letzten Monaten schon beobachten konnte. Wir erwarten mit einer CO2-Bepreisung relativ schnell Börsenstrompreise von 6 bis 7 Cent pro Kilowattstunde. Und dann sind die Erneuerbaren auch fast ohne Förderung schon wirtschaftlich darstellbar. Dies gehört zum Konzept der CO2-Bepreisung. Und dass es in der Realität funktioniert, kann man sehr schön zumindest beim Strom in England verfolgen. In den letzten fünf Jahren hat dort die CO2-Bepreisung dazu geführt, dass die Steinkohle praktisch komplett aus der englischen Stromerzeugung verschwunden ist. Dafür haben die Erneuerbaren stark zugelegt und auch die flexibleren Gaskraftwerke.

Für bisherige Gegner einer CO2-Abgabe ist daran wohl schwierig, dass sie zu höheren Kosten führen kann, wenn sie auf Öl und Gas als Energieträger im Gebäudebereich ausgedehnt wird. Wie könnte man dies den Bürgern vermitteln, ohne seine Wählerstimmen zu riskieren?

Wir sind dabei, unsere Diskussionsgrundlage aus dem Jahr 2017 zu überarbeiten und haben dafür eine Reihe von Analysen erstellt. In einer von diesen haben wir uns genau angeschaut, wie sich eine CO2-Abgabe auf Haushalte – auch einkommensschwache – auswirken würde und auch auf Pendler. Für diese Gruppe erwartet zum Beispiel die CDU Nachteile aufgrund höherer Treibstoffkosten. Wir kommen aber zu dem Ergebnis, dass die überwiegende Anzahl der Haushalte von unserem Konzept sogar profitieren würde, wenn man sich deren Gesamtkosten anschaut und nicht nur einzelne Sektoren betrachtet. Wie profitieren sie? Sie sparen Geld, denn bei unserem Konzept ist es so, dass Strom günstiger wird, weil die ganzen bisherigen Umlagen, wie die EEG-Umlage, die KWKG-Umlage und die Stromsteuer, wegfallen. Dies würde über die CO2-Abgabe gegenfinanziert werden. Gleichzeitig würde so die Bürokratie abgebaut. Im ersten Schritt wird Strom also für Haushalte deutlich günstiger. Wärme und Treibstoffe werden teurer. Und wenn man dies in Beziehung setzt, profitieren rund 90 Prozent der Haushalte.

Was ist für Sie das wichtigste Schlüsselargument für die Abgabe?

Nach unserem Konzept gibt es zwei. Das eine ist die Lenkungswirkung. Dass die Verursacher von Emissionen, die zum menschengemachten Treibhauswandel am meisten beitragen, dafür mehr bezahlen müssen. Dadurch kommen Innovationen und Einspareffekte zum Tragen. Das andere, was uns fast genauso wichtig ist, das ist eben der Bürokratieabbau. Den wird man aber nur erreichen, wenn die CO2-Abgabe eine entsprechende Höhe und einen ausreichenden Umfang erreicht, damit sie die bisherigen Steuern und Umlagen ablösen kann.

Was stellen Sie sich da vor? Ist das ähnlich wie in der französischen Gesetzgebung, die einen Zielpfad mit deutlich höheren CO2-Preisen als im europäischen Emissionshandel vorsieht?

Wir haben uns selbst den Emissionshandel noch einmal sehr deutlich angesehen. Und dabei haben wir festgestellt, dass erstens die Ziele sowieso viel zu gering sind, um die Klimaschutzauflagen von Paris zu erreichen. Und auch die neuesten Untersuchungen, wie sich die CO2-Preise im ETS verhalten werden, haben zwei Dinge zum Vorschein gebracht: Erstens werden sie bis 2030 nicht wesentlich über 20 Euro je Tonne steigen. Und zum anderen sind sie auch sehr volatil. Dies hat man dieses Jahr wieder gesehen. Sie sind von 8 Euro zu Beginn auf 25 Euro im August gestiegen und sind nun schon wieder auf 16 Euro je Tonne heruntergefallen. Das heißt, der ETS bringt keinerlei Planungssicherheit mit sich. Ein Unternehmen, dass sich für Innovationen oder Investitionen in Effizienzsteigerungen entscheiden soll, hat dafür keine gute Planungsgrundlage. Dies würde sich durch eine CO2-Abgabe grundlegend ändern.

Ende der 1980er Jahre wurde die Stromsteuer als Ökosteuer beschlossen, die gleichzeitig über die Entlastung der Sozialversicherung Arbeit billiger machen sollte. Ähnliches wird im Zusammenhang mit der CO2-Abgabe vorgeschlagen. Wo sehen Sie bei der CO2-Abgabe den wesentlichen Unterschied zu dieser Ökosteuer?

Bei der Stromsteuer wird der Energiegehalt besteuert. Das hat den Nachteil, dass auch für Strom aus erneuerbaren Energien die Steuer anfällt. Dies konterkariert das eigentliche Ziel, CO2 einzusparen. Erneuerbare werden so teurer, als sie es sein müssten. Allein schon deswegen macht es Sinn, eine Steuer auf das Treibhausgaspotenzial umzustellen. Und dies sollte eben nicht nur für den Strombereich, sondern für alle Sektoren gelten.

Ziel der Ökosteuer war es aber auch, eine Lenkungswirkung zu erzielen, also zum Beispiel auf einen effizienteren Umgang mit Strom hinzuwirken.

Bei den Haushalten ist dies auch durchaus gelungen. Die Stromverbräuche sind hier herunter gegangen, aber insbesondere bei der Industrie, die den meisten Strom braucht, war das nicht der Fall. Und dies hängt damit zusammen, dass sie von dieser Stromsteuer befreit ist. Daher kann sie hier gar keine Lenkungswirkung entfalten.

Wäre das bei einer CO2-Abgabe anders?

Das wäre anders, aber nur wenn man nicht wieder den gleichen Fehler macht wie bei der Ökosteuer oder auch bei der EEG-Umlage und immer mehr Ausnahmen zulässt. Wir haben übrigens auch die Auswirkungen einer CO2-Abgabe auf Unternehmen analysiert. Von diesen würden 96 Prozent zu den Gewinnern einer Abgabe von etwa 40 Euro je Tonne zählen. Die würden ebenso wie die Haushalte entlastet. Aber natürlich würde es auch Unternehmen geben, die stärker als heute belastet werden – das ist die treibhausgasintensive Industrie. Auch das haben wir untersucht. Im Interview kann ich jetzt noch nicht sagen, um welche Beträge es dabei geht, weil das Gutachten noch nicht veröffentlicht ist. Vorweg nehmen kann ich, dass sie deutlich geringer sind, als manche vermuten. Kurz erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang zwei von uns entwickelte Modelle, die die deutsche Industrie schützen oder ihr einen Ausgleich verschaffen können. Dies wäre zum einen ein Grenzsteuersatz, der Importe belastet – dies haben wir rechtlich prüfen lassen und halten es für realisierbar. Möchte man das nicht, könnte man auch in unserem System für Entlastungen sorgen, die über einen Steueraufschlag finanziert werden könnten. Dies sollte sich aber wie im heutigen ETS an Benchmarks ausrichten. Sprich, nur die besten Unternehmen würden profitieren und gleichzeitig würde dies eine weitere Lenkungswirkung enthalten.

Aber wäre eine internationale oder zumindest europäische CO2-Abgabe nicht der bessere Weg?

Das wäre sicherlich der bessere Weg. Aber wir dürfen nicht übersehen, dass Deutschland der bei weitem größte Emittent von Treibhausgasen in Europa ist. Vieles richtet sich also allein deswegen an Deutschland aus. Im ETS-Bereich entfallen über 25 Prozent der Emissionen auf Deutschland – in diesem großen Europa. Das heißt, wenn Deutschland seine Politik ändert, dann würden wohl auch andere folgen. Und es gibt ja im Gegenteil schon viele andere Länder, die längst eine CO2-Bepreisung haben. Gerade Länder wie die Niederlande, Frankreich und Österreich fordern ja geradezu Deutschland heraus, mit ihnen zusammen multinational in dieser Frage voranzugehen. Deutschland wäre also ohnehin nicht allein, sondern würde auf offene Ohren auch bei anderen Partnern stoßen.

Was stimmt Sie zuversichtlich, dass wir gerade jetzt, nach einer so langen Zeit, die man über CO2-Bepreisung diskutiert, dieses Instrument in Deutschland realisieren könnten?

Ich sage es mal ganz vorsichtig. Es gibt jedes Jahr das Risk-Barometer der Allianz. Dafür werden jedes Jahr weltweit Unternehmen befragt, was für sie die wichtigsten Risiken sind. Im letzten Barometer von 2018 ist der Klimawandel das erste Mal unter die Top 10 von Risiken gelangt, die für Unternehmen laut deren eigener Einschätzung eine Rolle spielen. Auch die öffentliche Wahrnehmung hat sich geändert. Nicht zuletzt durch den trockenen Sommer spielen Begriffe wie Heißzeit oder auch CO2-Preis in der öffentlichen Wahrnehmung eine größere Rolle. Dies ist auch zum Beispiel in vielen Talkshows im Fernsehen jetzt zu beobachten. Und es ist von großer Bedeutung, dass der Klimawandel keine Glaubensfrage mehr ist. Er ist eine wissenschaftliche Tatsache, die nur von wenigen Klimaleugnern noch bestritten wird. Vor allem aber denken die Unternehmen um. Immer mehr sprechen sich für eine CO2-Bepreisung aus. Damit steigt der Druck auf die Politik, auf alle Parteien. Selbst im Koalitionsvertrag der bayerischen CSU und der Freien Wähler steckt für dieses Thema ein großes Potenzial drin – und die CSU war bislang einer der größten Gegner einer nationalen CO2-Bepreisung.

Interview: Andreas Witt

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