Windkraft: Oldtimer kaschieren Politiklücke

Windkraftanlagen auf Stahl-GittermastenFoto: Guido Bröer
Solarthemen 509. Im Windenergiemarkt in Deutsch­land ist der von vielen Experten befürchtete massive Einbruch jetzt angekommen, und das laufende Verfahren des Energiesammelgesetzes wird daran nicht viel ändern.

„Der Rummel geht weiter“, lautete das Motto der Windenergietage, zu denen sich in der vergangenen Woche ein Großteil der Branchenexperten in Linstow in der mecklenburgischen Provinz drei Tage lang versammelte. Doch vom Rummelplatz ist aktuell vor allem das große Durcheinander zu spüren – zum Feiern gibt es wenig Anlass. Denn die Aussichten für den Windenergieausbau in Deutschland werden für die nächsten Jahre immer bedrückender. Nichts zeigt dies deutlicher als das Ergebnis der jüngsten EEG-Ausschreibungen. Zum Ausschreibungstermin am 1. Oktober bewarben sich so wenige Projekte, dass nur für etwas mehr als die Hälfte der ausgeschriebenen Leistung von 670 Megawatt von der Bundesnetzagentur (BNetzA) Förderzusagen vergeben werden konnten. Ohne ausreichende Nachfrage wirkt allerdings das ganze Ausschreibungssystem zunehmend absurd. Der durchschnittliche Zuschlagswert lag mit 6,17 Cent im Oktober nur knapp unter dem von der BNetzA festgelegten Höchstwert von 6,3 Cent. Ein Indiz für die Krise sind auch die gemeinsamen Ausschreibungen von Wind und Photovoltaik. Nachdem schon in der ersten Runde im April 2018 kein einziges Gebot aus dem Windbereich zum Zuge kam, dürfte an der Ausschreibung zum 1. November, deren Ergebnis bei Redaktionsschluss noch nicht feststand, kaum ein Windpark teilgenommen haben. Warum sollte man sich mit der Photovoltaik beim Preisniveau von Vier-Komma-X Cent in den Ring begeben, wenn man in der nächsten reinen Windausschreibung risikolos auf den Höchstwert von 6,3 Cent bieten kann. Jürgen Quentin von der Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind) hat vor diesem Hintergrund Daten der Bundesnetzagentur und des Umweltbundesamtes ausgewertet – mit alar­mie­renden Ergebnissen: Im Vergleich der Jahre 2014 bis 2016 mit dem Zeitram Januar 2017 bis September 2018 ist die durchschnittliche Leistung der neu erteilten und beim Anlagenregister gemeldeten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen für Windprojekte um 65 Prozent zurückgegangen. Und dies, obwohl Quentin den Dezember 2016, in dem wegen des Stichtags für die Übergangsfrist zum Ausschreibungssystem allein mehr als 5 Gigawatt genehmigt wurden, aus seiner Statistik herausgehalten hat. Der Rückgang ist freilich recht ungleichmäßig über das Bundesgebiet verteilt, was mit den Ausschreibungen nur teilweise zu tun haben dürfte. So sind in Bayern, dem Saarland und Schleswig-Holstein die Genehmigungen um über 80 Prozent zurückgegangen, während der Rückgang in Mecklenburg-Vorpommern mit 28 Prozent vergleichsweise gering ausfiel. Gerichtsverfahren bremsen Der Vorrat an Projekten, die über eine Genehmigung verfügen und somit an den EEG-Ausschreibungen teilnehmen könnten, hat im Laufe des Jahres 2018 kontinuierlich abgenommen. Vor der letzten Ausschreibung im Oktober betrug er nur noch 921 Megawatt. Doch längst nicht alle, die eine Genehmigung in der Tasche haben, nehmen an den Ausschreibungen teil. Im Oktober verzichteten drei von fünf potenziellen Auktionsteilnehmern auf ein Gebot (Grafik Seite 9). Die einzige plausible Erklärung dafür sei, so Quentin: „Diese Anlagen könnten in Gerichtsverfahren stecken, so dass die Betreiber das Risiko scheuen, eine Pönale zu zahlen.“ Der Großteil der aktuell verzögerten Windprojekte hat es allerdings noch gar nicht bis zu einer Genehmigung gebracht, die vor Gericht beklagt werden könnte. Er steckt schon vorher irgendwo in den Genehmigungsverfahren fest, die immer länger dauern. Inzwischen vergingen zwischen Antragstellung und Genehmigung nach Bundesimmisionsschutzgesetz im Durchschnitt mehr als vier Jahre, berichtete der Geschäftsführer des Bundesverbandes Windenergie, Wolfram Axthelm, auf den Windenergietagen. Infolge dessen steckten inzwischen 12 Gigawatt potenzieller Anlagen in Genehmigungsverfahren fest. Viele geben auf Zudem werde etwa ein Drittel der beantragten Genehmigungen nicht erteilt, hat Jürgen Quentin ermittelt. Wobei der überwiegende Teil der gescheiterten Anträge von den Antragstellern selbst zurückgezogen werde. Aufgrund dieser Erfahrungswerte und anhand der vom Umweltbundesamt erhobenen Zahlen über laufende Genehmigungsverfahren rechnet Quentin damit, dass für die Ausschreibungen im Jahr 2019 lediglich 2000 Megawatt bereit stehen werden. Das reguläre Ausschreibungsvolumen gemäß EEG beträgt aber bereits 2800 Megawatt. Laut dem Entwurf des Energiesammelgesetzes, über das aktuell im Bundestag beraten wird, sollen nun weitere 1000 Megawatt an Sonderausschreibungen hinzukommen, um mithilfe des Windkraftausbaus die Lücke zum Klimaschutzziel 2020 wenigstens noch ein bisschen zu verkleinern. Dass die Ausschreibungen wegen chronischer Unterzeichnung auch 2019 als Farce erscheinen werden, ist also absehbar. Um so größer der Aktivismus, den das Wirtschaftsministerium jetzt mit dem Energiesammelgesetz an den Tag legt. So soll im Jahr 2019 die Frist vom Gebotszuschlag bis zur Inbetriebnahme des Windparks um ein halbes Jahr auf 24 Monate verkürzt werden. Wolfram Axthelm sieht darin nur ein zusätzliches Problem für die Betreiber: „Die Ausbaudelle tritt in den Jahren 2019 und 2020 auf. Diese Verkürzung der Realisierungsfrist führt gerade nicht dazu, dass die Delle abgebaut wird.“ Künstlicher Wettbewerb Auch der im Energiesammelgesetz genannte Vorschlag, künftig nur noch 80 Prozent aller Gebote zu bezuschlagen, um so künstlich Wettbewerb herzustellen, wird gerade nichts dazu beitragen, dass Arbeitsplätze bei den Herstellern von Windkraftanlagen gesichert werden und die Klimaschutzlücke schneller geschlossen wird. Dem Klima hilft da schon eher die Entwicklung der Börsenstrompreise. Der Jahresmarktwert für Windstrom ist dadurch in den letzten zwei Jahren um rund 1,2 Cent pro Kilowattstunde gestiegen. Er liege laut Prognose für 2018 bei 3,68 Cent, berichtet Dirk Sudhaus von der FA Wind. Bei laufenden Betriebskosten für abgeschriebene Altanlagen von 3 bis 5 Cent pro Kilowattstunde werde der Weiterbetrieb also für zunehmend mehr Anlagen eine wirtschaftliche Alternative zur Stillegung. Die zahlreichen Foren, die sich auf den Windenergietagen mit diesem Thema befassten, waren gut besucht. Müssen die Oldtimer es richten? Denn viele Windpioniere, die Ihre Anlagen bereits seit dem vorigen Jahrtausend betreiben und für die somit die EEG-Vergütung Sylvester 2020 auslaufen wird, überlegen sich aktuell, die Anlagen weiterzubetreiben. Für 4 Gigawatt kommt dann nach Zahlen der FA Wind das Förderende. Nur für 47 Prozent dieser Anlagen komme ein Repowering in Frage, berichtet Dirk Sudhaus, weil auf vielen der Flächen heute keine Windparks mehr genehmigt würden. Bis 2029 werden 16 Gigawatt aus der Förderung fallen. Die Oldtimer-Mühlen werden die Klimaziele nicht retten, aber sie werden vielleicht noch dringend gebraucht. Text + Foto: Guido Bröer

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