Photovoltaik gegen Schneebruch von Dächern?

Solarthemen+plus. Während nach den heftigen Schneefällen im Alpenraum vielerorts Katastrophenalarm ausgerufen wurde und Helfer Schnee von Dächern schau­feln, um deren Einsturz zu verhindern, rückt die Photovoltaik als Lösungsoption in den Fokus. Eine Rückbe­stromung der PV-Module könn­­­te in vielen Fällen helfen, den Schnee zu beseitigen.

Es war Hans-Josef Fell, Solarstrompionier und ehemaliger grüner Bundestagsabgeordneter, der Anfang dieser Woche in seinem E-Mail-Rundbrief die Photovoltaik als potenziellen Katastrophenhelfer anpries. Von der internationalen Solarkonferenz im Wüstenklima von Abu Dhabi schrieb Fell unter der Überschrift „PV-Anlagen können Häuser vor Schneebruch schützen“ an seine schneegeplagten bayerischen Landsleute: „Für die Hausbesitzer im nun von der Schneekatastrophe heimgesuchten Südbayern und Alpenraum wäre es die entscheidende Lösung, um die unter den Schneelasten einbrechenden Dächer zu schützen, wenn sie denn längst rückstromfähige PV-Anlagen mit Batterien im Keller auf ihre Dächer gebaut hätten.“ Seit Jahren sei die Technologie der Rückbestromung bekannt und technisch realisiert, schreibt Fell, wodurch der geneigte Leser den Eindruck gewinnen musste, sie sei auch käuflich zu erwerben. Dies trifft allerdings nach Solarthemen-Recherchen nur bedingt zu. Die Firma Solutronic, die als einziger Wechselrichter zwei Typen von „De-Icing-Boxen“ entwickelt und als Zusatzmodul zu seinen Invertern angeboten hatte, ist inzwischen vom Markt verschwunden. Die Boxen mit der Rückbestromungstechnik, die für 250 bis 500 Euro zu kaufen waren, werden nicht mehr angeboten. Allein die Eulektra GmbH aus Wesel am Niederrhein bietet derzeit ein patentiertes „solargesteuertes Schneeabtausystem“ an, das bereits im Jahr 2011 im bundesweiten Innovationswettbewerb „365 Orte im Land der Ideen“ ausgezeichnet wurde. Yüksel Kara, der das Produkt seit 2009 über zwei Jahre entwickelt hat, bevor es 2011 an den Markt ging, berichtet, das System sei bislang weltweit in einer dreistelligen Stückzahl verkauft worden. Aufwändige Technik Herzstück des Eulektra-Systems ist ein sogenannter „Reverter“, wobei der Begriff als Gegenstück zum Inverter, dem Wechselrichter, von der Firma geschützt worden ist. Zusammen mit einer komplexen Sensorik auf dem Dach und einer speziellen SPS-Steuerung sorge der Reverter dafür, dass die Module bei Schneebelag automatisch und schonend rückbestromt würden, so Kara: „Wir bestromen die Module mit 85 bis 95 Prozent ihrer Nennleistung“. Dadurch werde die Schneeschicht von unten angetaut und rutsche auf dem entstehenden Wasserfilm zumindest bei Schrägdachanlagen leicht ab (Foto oben). Auch für Flachdächer bietet Eulektra ein modifiziertes System an, das zusammen mit einem beheizbaren Drainagesystem installiert werden kann. Letzteres trage dafür Sorge, dass die Schneelast nicht zwischen den Modulen liegen bleibe, sondern dann auch wirklich vom Dach abfließen könne, erläutert Kara. Voraussetzung sei aber, dass die Module selbst eine ausreichende Neigung haben: „Wir brauchen mindestens 15 Grad, besser 20 Grad Neigung.“ Jedes Abtausystem müsse individuell an die PV-Anlage angepasst werden, betont Kara. Das schlägt sich auch im Preis nieder, den der Ingenieur mit etwa 350 Euro pro kWp veranschlagt. Sinnvoll werde die Investition erst bei Anlagengrößen oberhalb von 15 bis 20 kWp. Kara sagt, wer sich eine solche Anlage installieren lasse, dem gehe es weniger darum, im Winter noch die letzte Kilowattstunde aus seiner PV-Anlage zu holen, sondern eher um die Sicherheit für sein Dach oder um noch andere Dinge: So projektiere Eulektra gerade eine System für das Photovoltaik-Glasdach eines Moskauer Museums. Dessen Hauptaufgabe ist es, auch bei Schneewetter Tageslicht in die Ausstellung gelangen zu lassen. Den Stromverbrauch der Abtaueinrichtung möchte Kara nicht beziffern, da dieser je nach Anlagentyp, Standort und Jahr sehr verschieden sei. Lohnt es sich energetisch? Tina Ternus vom Photovoltaikbüro Ternus und Diehl in Rüsselsheim, das die Rückbestromung normalerweise zur Fehlersuche an PV-Anlagen, zum Beispiel mit dem Elektrolumineszenzverfahren nutzt, geht davon aus, dass es sich auch energetisch in den meisten Fällen lohne, schneebedeckte PV-Anlagen kurzzeitig rückzubestromen. Sie hat zusammen mit ihrem Partner Matthias Diehl schon 2006, damals noch in Diensten der inek Solar AG, Versuchsreihen zur Rückbestromung von beschneiten Solarmodulen gemacht. Dabei hatte sich gezeigt, dass beim damaligen Versuchsaufbau und einer Erwärmung der Module um 3 Kelvin (Eulektra arbeitet mit bis zu 17 Kelvin Temperaturdifferenz) im schlechtesten Fall nach vier sonnigen Wintertagen die Energie für eine sechsstündige Rückwärtsbestromung wieder ausgeglichen sei. In den meisten Fällen reiche es aber aus, das Modulfeld kurz anzutauen. Sobald ein Teil der Zellfläche schneefrei sei, könne sogar durch anschließendes Kurzschließen des Solargenerators dafür gesorgt werden, dass die Solaranlage den Rest selbst erledige. Dafür sei freilich eine bestimmte Modulanordnung notwendig, damit die Bypassdioden der Module nicht aktiv würden. Trivial sei die Sache jedenfalls nicht, sagt Ternus: „Ob und wie gut es funktioniert, hängt von der Dachneigung, der Schneemenge und der Konsistenz des Schnees ab.“ So habe ein Kollege jüngst in Bayern versucht, bei einem 15 bis 20 Grad geneigten Hallendach mit 8 Ampere 40 Minuten rückwärts zu bestromen, damit die 30 bis 40 Zentimeter dicke Schneeschicht wegrutscht, doch es habe sich leider nichts getan. Vielleicht sei er zu ungeduldig gewesen, meint Ternus. Keinesfalls sei es aber unter energetischen Gesichtspunkten sinnvoll, den Schnee, etwa bei sehr flach installierten Modulen, komplett abzutauen. Neben Solutronic hatten auch andere Wechselrichterhersteller mit der Enteisungstechnik experimentiert. Diehl und Ternus hatten neben Solutronic auch Kaco beraten. Dort sei man kurz davor gewesen, zwei trafolose Wechselrichtermodelle für die Kombination mit der De-Icing-Box von Solutronic frei zu geben, bestätigt Kaco-Vertriebsleiter Michael Humburg. Kaco sein damit aber letztlich nicht an den Markt gegangen, unter anderem, weil hardwareseitige Änderungen notwendig gewesen wären und weil die Anwendung nicht zu automatisieren gewesen sei. Text: Guido Bröer Foto: Eulektra GmbH

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