Sonne + Holz – den Gewinn macht das Dorf

Foto: Guido Bröer
Heizzentrale und Solarthermie-Feld in Ellern
Kommunen, die ihre Wärmeversorgung auf heimische erneuerbare Energien umstellen, tun nicht nur der Umwelt Gutes, sondern vor allem auch der lokalen Wertschöpfung.
Kommunen, die ihre Wärmeversorgung auf heimische erneuerbare Energien umstellen, tun nicht nur der Umwelt Gutes, sondern vor allem auch der lokalen Wertschöpfung.
Kreishaus in Simmern. Büro des Klimaschutzbeauftragten im Rhein-Hunsrück-Kreis, Frank-Michael Uhle. Der Gastgeber und Volker Wich­ter, Ortsbürgermeister der Gemeinde Neuerkirch, rechnen mal eben nach: 310000 Liter Öl pro Jahr, bei einem Heizölpreis, der im November gerade auf 90 ct pro Liter geklettert war. „Das macht 279000 Euro pro Jahr“, sagt Uhle. So viel Geld geben die knapp 300 Einwohner der Gemeinde Neuerkirch bei diesem Preis pro Jahr nicht mehr für Heizöl aus. Denn seit drei Jahren sind mehr als 80 Prozent der Gebäude in Neuerkirch und der Nachbar­gemein­de Kürz an das gemeinsame Wärme­netz angeschlossen, das mit Holz aus der Region und Solarwärme beheizt wird.
Uhle und Wichter rechnen weiter: In 20 Jahren flösse bei dieser Ölpreis-Momentaufnahme die stolze Summe von  5,58 Millionen Euro nicht mehr aus Neuerkirch ab und zu auswärtigen Energiehändlern und Ölscheichs.
Die Neuerkircher bezahlen zwar weiterhin für ihre Wärme – an die Verbandsgemeindewerke in Simmern, die die Dorfwärmeversorgung betreiben. Aber das Geld bleibt in der Region. Die Gemeindewerke finanzieren aus den Beiträgen der Hausbesitzer die Abschreibung von Heizhaus, Leitungen und Solarthermie­anla­ge, sie bezahlen den Lohn ihres Ingenieurs, der die Anlage überwacht, und sie kaufen Holz­hack­­schnit­zel bei dem örtlichen Dienstleister, der das Restholz aus den umliegenden Wäldern zerkleinert, trock­net und ausliefert.
Und die Energieernte von der Sonne – 650.000 Kilowattstunden pro Jahr? Zwar wurde die erst durch ein staatlich gefördertes Investment in das 1400 Quadratmeter große Solarkollektorfeld ermöglicht. Aber die Sonne selbst, die schickt keine Rechnung.
Die Energiewende sorgt in Ellern für kommunale Wertschöpfung: Die Windräder im Kommunalwald bringen Geld ins Gemeindesäckel; das Solar-Biomasse-Heizwerk erübrigt Öl-Importe. Foto: Guido Bröer

Im Hunsrück ist diese mone­tari­sierte Sicht auf die heimische Energiewelt inzwischen in vielen Köpfen verankert. Die Idee von der kommunalen Daseinsvorsorge und der Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe mithilfe erneuerbarer Energien wird nirgends deutlicher als in den inzwischen 17 Dorfwärmeverbünden, die sich im Rhein-Hunsrück-Kreis in den vergangenen Jahren gebil­det haben. Für alle zusammen rechnet Uhle eine jährliche Einsparung von 2,7 Millionen Liter Heizöläquivalenten vor.
Geld ist ein Thema
Zwei dieser Verbünde, Külz-Neuerkirch und seit Oktober 2018 auch Ellern (Foto oben), 10 Fahrminuten wei­ter westlich gelegen, nutzen neben Holz die Solarthermie, die in beiden Ortsnetzen jeweils rund 20 Prozent zum Jahreswärmebedarf beiträgt und die den Sommerbedarf vollständig abdeckt.
Letztlich sei auch in Ellern viel über Geld gesprochen worden, bevor im Gemeinderat der endgültige Beschluss zum Bau des Wärmenetzes gefallen sei, erinnert sich Friedhelm Dämgen, der Bürgermeister. Besonders als in der entscheidenden Anwerbephase vor eini­gen Jahren, in der sich möglichst viele Hausbesitzer für einen Anschluss an das Netz entscheiden sollten, der Ölpreis in den Keller fiel, sagt Dämgen: „Wir hatten uns ursprünglich 130 Hausanschlüsse vorgestellt, dann sind wir allerdings lange nicht über 80 hinausgekommen.“ Je geringer die Anschlussdichte, desto geringer die Wirtschaftlichkeit – dieses Grund­gesetz aller Wärmenetzprojekte ließ das Projekt in Ellern zeitweilig auf der Kippe stehen. Der Durchbruch kam dann aber, als der Arbeitskreis Nah­wärme acht Dorfbewohner aus den eigenen Reihen argumentativ schulte, um für jeden Hausbesitzer eine Einzelberatung anzubie­ten. Gemein­­sam wurde in diesen  Be­ra­tungsgesprächen die Situation im Heizungskeller über­prüft und mit einem eigens entwickel­ten Excel-Tool eine individu­elle Wirtschaftlichkeitsberechnung erstellt. Ein wichtiges Argument war dabei auch, dass jeder Hausbesitzer für die Erneuerung seiner Heizungstechnik einen Zuschuss von der Gemeinde von 3800 Euro erhält. Der Betrag entspricht genau den Anschlusskosten die die Verbandsgemein­de­werke Rhein­böllen, die das Wärmenetz betreiben, einmalig für den Hausanschluss erheben. Dass die Gemeinde so großzügig sein kann, hat auch mit den vier Windrädern zu tun, die hier, wie in manchen anderen Hunsrück-Kommu­nen, im gemeindeeigenen Wald stehen. So fließen hohe Pachteinnahmen an die Gemeinde.
Wie in anderen Wärmenetzverbünden wird auch in Ellern ein Glasfaser-Kabel für ultraschnelles Internet ins Haus gelegt. „Für mich ist dies beson­ders wichtig, dass man mit der Wärmeversorgung solche anderen Dinge miterledigen kann, die für die Zukunfts­fähig­keit unseres Dorfes wichtig sind“, sagt Bürgermeister Dämgen. Er denkt dabei auch an die neuen Stromkabel, die zusammen mit den Wärmeleitungen verlegt wer­den. Auch solche Maßnahmen hätten mit kommunaler Wertschöpfung zu tun, meint er. Denn schließlich lebe Ellern von den Pendlern, die nach Mainz, Kob­lenz oder Wiesbaden führen. Für diese Leute seien Kommunikationstechnik und gute Onlineverbindungen im Home­­office zunehmend wichtiger.
Ein Dorf grinst
Volker Wichter, erlebt in Neuerkirch-Külz nun schon seit drei Jahren, wie sich der Doppel-Ort seit der Installation des Wärme­net­zes entwickelt und wie das Netz auch manchen unerwarteten Se­gen bringt. Wichter lacht laut auf, als er erzählt: „An den Tagen, als die Stromkostenabrechnungen ins Haus flatter­ten, hatten alle, wirklich alle im Dorf ein Grinsen im Gesicht. Ich selber habe nach dem ersten Jahr 500 Euro Stromkostenrückerstattung bekommen, ohne dass ich etwas getan hätte – 200 bis 800 Euro haben die Leute zurück bekommen.“ MIt dem Stromspareffekt hatte nie­mand erechnet; er resultiert aus den vielen ineffizienten Heizungspumpen, die beim Anschluss an das Wärmenetz außer Dienst gestellt wurden.
Doch Wichter sieht den Benefit des Wärmenetzes nicht nur im Finanziellen: „Es fängt schon damit an, dass das Dorf im Winter ganz anders riecht; es stinkt nicht mehr nach Qualm. Und das Nahwärmenetz hat uns enorm zusammengeführt. Inzwischen haben wir vieles, was wir uns vor drei Jahren nicht vorstellen konnten, verwirklicht. Denn bei vielen Bürgern hat es Klick gemacht. Wenn heute neue Ideen kommen, werden die nicht gleich belächelt, wie frü­her, sondern es wird ernst genommen.“
Beispielsweise hat die Gemeinde mehrere E-Bikes angeschafft und ein elektrisch unterstütztes Lastenrad, „die im Sommer jeden Tag unterwegs sind“, beteuert Wichter. Und neben der Turnhalle spielen Senioren mit ihren Enkeln auf einem neuen „Mehrgenerationen feld“ Mensch-ärgere-Dich-nicht.
Alles kommt vom Wärmenetz
„Das alles kam eigentlich vom  Wärmenetz“, sagt Wichter. Mit den Diskus­sio­nen über die gemeinsame Energieversorgung sei ein neuer Gemeinsinn entstanden, und das Dorf sei auch deshalb wieder attraktiv gewor­den für junge Familien, berichtet er: „In Neuerkirch gibt es jetzt überhaupt keine Leer­stän­de mehr. Sondern wenn ein Haus zum Verkauf steht, ist die erste Frage des Interessenten, ist das Haus ans Wärme­netz ange­schlos­sen? Und dann kommt als zweite Frage: Hat das Haus diesen Glasfaser­an­schluss?“ 
Derzeit befänden sich in Neuerkirch  sechs Häuser im Umbau, deren ältere Besitzer verstorben seien, so Wichter: „Die werden jetzt von jungen Familien bezogen, teilweise von Leuten aus Neuerkirch, die weg gezogen waren und die jetzt wieder zurück kommen.“ Auch das habe mit dem Wärmenetz zu tun, meint Wichter. „Die Leute, die zu uns kommen, sehen, dass hier was passiert. Und die sagen sich, wenn die den Heizungsumbau im ganzen Dort gepackt haben, dann geht da auch sonst was.“ 
Wichter sagt: „Das ist alles aus der Nahwärme entstanden, weil wir damit so zusammengewachsen sind. Als da­mals nach dem Wärmenetzplan auch noch die Idee mit der Solarthermie aufkam, haben uns manche Leute für verrückt erklärt und ausgelacht.“ Inzwis­chen lacht niemand mehr – außer über seine eigene Stromrechnung.
Text + Fotos: Guido Bröer
Der Artikel ist in Heft 1/2019 der Zeitschrift Energiekommune erschienen. Als PDF-Datei kann er hier heruntergeladen werden.
Am 13.2.2019 bietet die Energieagentur Rheinland-Pfalz einen "Fachinformationstag Solare Wärmenetze" in Simmern an, bei auch dem die Anlagen in Ellern und Neuerkirch/Külz besichtigt werden. Die Teilnahme ist kostenlos. Die Veranstaltung wird unterstützt vom rheinland-pfälzischen Umweltministerium und dem Projekt Solnet 4.0.
Weitere Informationen zu solaren Wärmenetzen unter: www.solare-waermenetze.de
29.1.2019 | Quelle: Energiekommune | solarserver.de © EEM Energy & Environment Media GmbH

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