Interview mit Urban Windelen: Speicher sind Speicher!

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BVES-Geschäftsführer Urban WIndelen
Solarthemen 512. Urban Windelen ist Geschäftsführer des Bundesverbandes Energiespeicher e.V. (BVES). In einem Thesenpapier zum Energiesystem des Jahres 2030 hat der Verband jüngst beschrieben, nach welchen grundlegenden Prinzipien sich Energiespeicher in ein zunehmend auf erneuerbaren Energien beruhendes System integrieren werden und welche gesetzlichen Regeln dafür gelten sollten.
Solarthemen: Glaubt man dem Thesenpapier des BVES spielen Speicher in unserem Energiesystem 2030 eine zentrale Rolle. Andere Experten meinen, dass wir noch viel länger keine nennenswerten Speicherkapazitäten brauchen, weil es volkswirtschaftlich günstigere Flexibilitätsoptionen gibt. Was halten Sie von dem Argument?
Urban Windelen: Ich stolpere über das Wort „günstiger“, an das man ein großes Fragezeichen machen muss. Welche Preise für was werden womit verglichen? Um eine Kilowattstunde von A nach B zu bringen, ist ein Kabel in der Regel ideal. Aber um Flexibilität ins System zu bringen, ist ein Speicher ein Multitalent mit Zeitkomponente.
Solarthemen: Wollen Sie sagen, dass einschlägige Studien Äpfel mit Birnen vergleichen?
Windelen: Ja, und zudem auf alten Daten beruhen – wenn man sich etwa die große Speicher-Studie der Agora Energiewende ansieht, die besagt, bis 2040 bräuchten wir keine Speicher. Dieser Studie liegen nun Annahmen zugrunde, die einfach nicht mehr stimmen. Wir müssen konstatieren, dass wir mit dem Netzausbau nicht voran kommen. Eigentlich hätten wir schon tausende Kilometer weiter sein sollen. In den Annahmen der Agora-Studie wird zum Beispiel auch der komplette Neubau von 5 Gigawatt an Pumpspeicherwerken als gegeben hingenommen. Aber kein einziges dieser Pumpspeicherwerke wird gebaut. Also fehlen uns diese 5 Gigawatt an Spei­cher­kapazität, die die Studie voraussetzt. Und wenn wir denn tatsächlich erst 2040 diese Speicherkapazitäten bräuchten, müssten wir die doch auch irgendwann bauen. Die kommen ja nicht in der Silvesternacht plötzlich aus der Kiste gesprungen. Irgendwie müssen wir ja das Wissen aufbauen, wie wir mit den Speicherkapazitäten umgehen, wie sie sich in der Praxis bewähren, wie sie über Jahre erhalten bleiben und weiterentwickelt werden können. Das ist ein Prozess der nun endlich hochgefahren werden muss.
Solarthemen: Gibt es einen Paradigmenstreit zwischen Netzausbau einerseits und lokaler Systemoptimierung mit Hilfe von Speichern andererseits?
Windelen: Bei der Energiewende haben wir in Deutschland das Bild einer zweispurigen Autobahn, die in die Wüste gebaut wird. Die eine Spur ist der Ausbau der Erneuerbaren und die andere Spur ist der Ausbau der Netze. Die Spur mit den Erneuerbaren ist auch schon recht weit Richtung Horizont vorgetrieben worden, aber die Spur mit den Netzen ist Baustelle, und deshalb stehen alle im Stau. Immer mehr derjenigen, die da im Stau stehen, klettern genervt über die Leitplanke und sagen, jetzt mache ich mir mein System selbst. Politik und etwa Bundesnetzagentur verstehen zwar, dass sie eigentlich eine dritte Spur aufmachen müssten, um Flexibilität ins System zu bringen und ausweichen zu können, weil es sonst nicht voran geht. Aber wer es schon nicht schafft, zwei Spuren zu managen, der sagt lieber: Wir laufen mal noch zehn Jahre mit Scheuklappen weiter und machen die Leitplanken dafür immer höher, damit niemand drüber klettert. Man versucht, alle ins System zu zwingen und diskreditiert die anderen mit Schlagworten wie Entsolidarisierung und Strafabgaben. Zugleich bremst man den Ausbau der Erneuerbaren, damit der Unterschied zum schleichenden Netzausbau kleiner wird, und schon scheint die Welt wieder in Ordnung.
Solarthemen: Sie beschreiben das Weltbild anderer. Geht denn in Ihrem eigenen Weltbild der Ausbau erneuerbarer Energien ausschließlich über Speicher?
Windelen: Nach unserer Ansicht werden künftig nicht mehr die Netze alleine die Systemführerschaft haben. Die Treiber im System müssen die Erneuerbaren sein, und das funktioniert nur zusammen mit Speichern und Digitalisierung. Damit bin ich in dezentralen Lösungen und nicht mehr in einem zentral gesteuerten System. Das System von gestern, in dem zentrale Erzeugung über die Netzebenen nach unten verteilt wird, besteht so nicht mehr.
Solarthemen: Viele Ökonomen gehen davon aus, dass es je größer, desto günstiger geht – auch bei Erneuerbaren.
Windelen: Wieder das Wort günstiger. Was und für wen? Mit dezentralen Einheiten kann ich lokale und regionale Wertschöpfung generieren. Gleichzeitig habe ich eine hohe Akzeptanz. Ist der Nutzen eines Kabels wirklich höher als der Nutzen dezentraler und flexibler Lösungen mit lokalem, regionalem Handwerk und Industrie, mit lokalen Erneuerbaren und Speichern? Hier liegt eine Chance, Wertschöpfung und Innovation auch in strukturschwache Gegenden zurückzubringen.
Solarthemen: Viele denken beim Thema Speicher nur an Batterien. Welche Rolle spielen die vielen anderen Speichermöglichkeiten in Ihren Überlegungen?
Windelen: Eine ganz wesentliche. Die Technologieoffenheit ist in der DNA des BVES angelegt. Bei der Gründung sprach noch niemand von Sektorenkopplung. Man sprach von den Bereichen Strom, Wärme und Mobilität und allen Speichertechnologien, die in diesen Bereichen infrage kommen – von thermischen Speichern über elektrische, elektrochemische und mechanische. Das reicht vom Ultracapacitor über Pumpspeicher, Wasserstoff und Power-to-X, über die verschiedenen Batteriespeicher bis zu Lageenergiespeichern, Schwungrad oder Druckluftspeichern. Unser Ansatz ist: Beim Einsatz eines Speichers sollte man immer von der Anwendung her starten, nicht von der Technologie.
Solarthemen: Ein Beispiel bitte!
Windelen: Wenn Sie Ihr Haus warm haben wollen, dann können Sie das clever lösen über Wärmepumpe und einen Warmwasserspeicher. Damit können Sie aber auch nur Ihr Haus heizen. Auto fahren und Strom für den Toaster ist schwierig. Aber für das warme Haus haben Sie eine sehr hohe Effizienz und damit geringe Kosten. Mit einer Power-to-Gas-Anlage geht alles gleichzeitig: Haus wärmen, mit dem Gas Auto fahren und auch Toaster betreiben. Sie haben verschiedene Benefits aus einer einzigen Anlage. Aber Sie haben natürlich höhere Kosten und eine geringere Effizienz. Es kommt also immer darauf an, was ich mit meinem System erreichen möchte.
Solarthemen: Apropos Auto: Könnte es sein, dass die ungenutzten Kapazitäten der Batterien von Elektrofahrzeugen schon bald stationäre Heimspeicher weitgehend überflüssig machen werden.
Windelen: Da sind wir skeptisch. Zunächst mal muss man unterscheiden zwischen Vehicle to Grid und Vehicle to Home. Dass wir demnächst die Fahrzeugbatterie als zusätzlichen Hausspeicher nutzen – behind the Meter – kann durchaus sein. Es hat zwar technischeGrenzen und auch die Zugriffsrechte durch den Autohersteller sind nicht ganz einfach, doch kann ich mir Vehicle to Home durchaus vorstellen. Vehicle to Grid ist noch komplizierter. Wo kommt der Strom her, den ich dem System übergebe, ist er grün oder grau oder im Ausland geladen? Und dann hat der Netzbetreiber Zugriff auf meine vielleicht 40 Kilowattstunden im Auto. Was kann der damit anfangen, wenn ich in einer halben Stunde wieder losfahre und was kostet dagegen der Anschlusspunkt ans Netz. Vehicle to Grid kann ich mir erst vorstellen, wenn irgendwann das autonome Fahren kommt und damit zentrale Lade-Hubs für die Autos. Hunderte Car-Sharing-Fahrzeuge an einem Ladepunkt außerhalb der Stadt, das könnte dann systemisch interessant werden.
Solarthemen: Halten wir fest: „Vehicle to Grid“ ist Utopie. Aber mit „Heimspeicher to Grid“ versuchen Batteriehersteller schon Kunden zu ködern. Noch fließt zwischen den Mitgliedern dieser Speicher-„Communities“ kein Strom. Erwarten Sie, dass sich dies bald ändert?
Windelen: Ja. Und das ist auch eine unserer Forderungen, diese lokalen Energiepartnerschaften zuzulassen und so lokaleMärkte zu schaffen. Peer to Peer, also Überschüsse und Leistung auch mit dem Nachbarn austauschen. Wenn ich etwa in meinem Büro in einer Dunkelflaute stecke, dann könnte ich den Strom möglicherweise aus der Batterie meines Nachbarn beziehen, der gerade zwei Wochen im Urlaub ist. Das steht im Zusammenhang und wird möglich über die Digitalisierung. Diese erneuerbare Flexibilität bedeutet aber, dass wir eine neue Systemführerschaft akzeptieren, die nicht mehr zentral ist.
Solarthemen: Was verhindert, dass diese Idee jetzt schon verwirklicht wird? Liegt das Problem auf der technischen Ebene, etwa in fehlenden Smart Metern, oder sind es eher regulatorische Hürden?
Windelen: Das Problem liegt allein in der Regulatorik.
Solarthemen: Sie fordern seit Jahren, dass zumindest die doppelten Abgaben und Umlagen beim Ein- und Ausspeichern von Strom abgeschafft werden. Welche Fortschritte erkennen Sie bislang?
Windelen: In Deutschland? Keine!
Solarthemen: Aber der Koalitionsvertrag enthält doch eindeutige Passagen.
Windelen: Im Koalitionsvertrag ist sogar eine prioritäte Umsetzung dieses Punktes festgeschrieben. Inzwischen ist über ein Jahr vergangen – es ist aber noch nichts passiert. Die Regierung droht damit die Chance zu verspielen, die für die deutsche Industrie in einem zukunftsorientierten und flexiblen Energiesystem steckt. Die Politik verhindert bisher, dass die mittelständische deutsche Industrie, die all diese Systeme entwickelt, auf die die ganze Welt mit Staunen schaut, diese hier in Deutschland in den Markt bringen kann.
Solarthemen: Welche Impulse erwarten Sie diesbezüglich von den im letzten Jahr beschlossenen europäischen Energierichtlinien?
Windelen: In der Erneuerbare-Energien-Richtlinie und der Strombinnenmarkt-Richtlinie werden wichtige Grundsätze festgelegt, für die wir lange gekämpft haben. So wird etwa die bisherige Bagatellgrenze für Prosumer von 10 auf 30 kW erhöht und festgestellt, dass ihre Speicher ohne Abgabenlast betrieben werden sollen. Zudem finden wir erstmals eine Definition für Speicher, die sehr in unsere Richtung geht. Zu begrüßen ist auch die Betonung des Unbundling-Prinzips, dass also Netzbetreiber keine Betreiber von Speichern sein sollen. Das ist ein wichtiger Punkt, um die Märkte zu öffnen beziehungsweise neue Märkte zu ermöglichen. Außerdem wird in der Strombinnenmarkt-Richtlinie auch die Rolle des Prosumers, der hier „Active Consumer“ genannt wird, entschieden gestärkt. Hier steht klar, dass der Eigenverbrauch nicht mit Abgaben und Umlagen und insbesondere der Speicherbetrieb nicht mit doppelter Abgabenlast belegt werden soll.
Solarthemen: Was müssten in Deutschland die konkreten gesetzgeberischen Konsequenzen aus diesen Vorgaben sein?
Windelen: Wir landen immer wieder bei unserer Kernforderung: Speicher als vierte Säule! Das komplette Energie-Regelwerk basiert noch auf dem alten zentralistischen Bild der drei Säulen: zentrale Erzeugung, Transport und Verbrauch. In diesem System sind wir abernicht mehr, sondern wir sind in einem System, in dem von jeder Netzebene auf dieandere, von unten nach oben und von rechts nach links, Energie hin und her getauscht wird. Dem muss man sich endlichanpassen. Der Speicher passt in das alte System nicht hinein. Speicher sind nicht Erzeugung, sie sind nicht Transport und siesind keine Verbraucher. Speicher sind Speicher! Sie sind ein Verzögerungselement im
System. Und als das muss es endlich rechtlich aufgestellt werden. Speicher müssen letztlich aus dem EEG raus. Speicher sind schließlich keine Erzeugung – ein Trafo ist auch nicht im EEG geregelt. Solche Werkzeuge können im Energiewirtschaftsgesetzgeregelt werden.
Solarthemen: Wie ändert man, dass ein Speicher abwechselnd als Verbraucher oder als Erzeuger behandelt wird?
Windelen: Zu diesem leidigen Grundsatz gibt es bereits die verschiedensten Ausnahmen. In bestimmten Anwendungen sagt der Gesetzgeber heute schon: Ich weiß ja, dass Du, Speicher, kein Erzeuger und kein Verbraucher bist. Deshalb befreie ich Dich in dieser und jener Anwendung von gewissen Steuern und Umlagen. Das muss nun vereinheitlicht werden. Die Ausnahmen, die an verschiedenen Stellen und für jeweils ganz bestimmte Einzelkonstellationen definiert sind, versteht leider jeder etwas anders und sie sind rechtlich nicht so ausformuliert, dass sie auf die heutigen modernen Anwendungen passen. Also blickt keiner mehr durch.
Solarthemen: Dann hilft nur der ganz große gesetzgeberische Wurf?
Windelen: Es fehlt in der Tat an grundlegenden Dingen. Eine weitere Ausnahme für einen bestimmten Einzelfall hilft hier nicht. In unseren Arbeitsgruppen haben wir konkrete Vorschläge erarbeitet. Und es zeigt sich, dass bereits mit wenigen Worten an passender Stelle viele Probleme gelöst werden könnten. Kleine Gesetzesänderungen hätten eine große Wirkung und würden die innovative Speicherbranche endlich ertüchtigen, die vielen systemdienlichen Anwendungen auch einzusetzen. Dazu bedarf es einfach des politischen Willens.
Interview: Guido Bröer
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