André Thess: Kohlekonversion mit Wärmespeichern
Solarthemen: Hochtemperatur-Wärmespeicher werden seit einigen Jahren dafür eingesetzt, dass solarthermische Kraftwerke in der Wüste auch nachts Strom erzeugen können. Wie kommen Sie darauf, diese Technologie jetzt für die deutschen Braunkohlereviere vorzuschlagen?
André Thess: Kohlekraftwerke sind weltweit der größte einzelne Emitent von CO2. Wenn wir die Emission von CO2 reduzieren wollen, dann müssen wir uns überlegen, wie wir diese Kohlekraftwerke dekarbonisieren, also von ihren CO2-Emissionen befreien. Wir könnten theoretisch alle 10.000 Kohlekraftwerke weltweit abreißen; das wäre jedoch ein gigantischer wirtschaftlicher Schaden. Mit unserem Konzept des Wärmespeicherkraftwerks schlagen wir vor, einen Teil der Infrastruktur des Kraftwerks zu erhalten, nur einen Teil der Anlage abzureißen und trotzdem CO2 zu sparen.
Wie macht man aus einem bestehenden Kohlekraftwerk ein Wärmespeicherkraftwerk?
Ein Kohlekraftwerk besteht in seinem ersten Leben aus einem großen Kohlebunker, zweitens aus einem kohlebefeuerten Dampferzeuger, drittens aus einer Dampfturbine und viertens aus einem Generator, der den Strom erzeugt. Wir wollen den Generator und die Dampftubine stehen lassen. Den Kohlebunker und den kohlebefeuerten Dampferzeuger wollen wir abbauen und durch einen großen Wärmespeicher ersetzen, der aus zwei Flüssigsalz-Tanks besteht, wie man sie aus solarthermischen Kraftwerken schon kennt. Wir wollen diesen Wärmespeicher mit erneuerbarer Energie aus Wind und Sonne aufheizen. So können wir mit der Turbine und dem Generator Strom nach Bedarf erzeugen. Dieser Strom ist aus erneuerbaren Energien und verursacht kein CO2.
Wie ausgereift sind denn diese Salzspeicher? Reden wir über ein Forschungsthema oder ist das eine anwendungsreife Technologie?
Wir unterscheiden ein „Wärmespeicherkraftwerk 1.0“ und ein „Wärmespeicherkraftwerk 2.0“. Die Generation 1.0 lässt sich mit vorhandenen Technologien aufbauen: Mit Windkraft- und Solaranlagen, mit Salzspeichern aus den solarthermischen Kraftwerken und dem vorhandenen Know-how über die Systemintegration. Der Wirkungsgrad ist mit 30 bis 35 Prozent allerdings relativ bescheiden. Mit dem Wärmespeicherkraftwerk 2.0 erhöhen wir den Wirkungsgrad. Denn hier wird der erneuerbare Strom nicht nach dem Tauchsiederprinzip in Wärme verwandelt, sondern mit einer Hochtemperaturwärmepumpe. Das ist ein riesiges Aggregat – so groß wie eine Dampfturbine –, mit dem Sie eine Kilowattstunde erneuerbaren Strom in 1,5 bis 2 Kilowattstunden Hochtemperaturwärme umwandeln können. Damit steigern wir den Gesamtwirkungsgrad auf über 50 Prozent. Für das Wärmespeicherkraftwerk 2.0 brauchen wir allerdings noch Forschung.
Kann man abschätzen, wie viel und wie lange dafür noch geforscht werden muss? Für den Kohleausstieg steht ja bereits ein Zeitplan.
Das Wärmespeicherkraftwerk 1.0 wollen wir gemeinsam mit RWE in einem sogenannten Reallabor ab 2020 realisieren. Für das Wärmespeicherkraftwerk 2.0 brauchen wir 3 bis 4 Jahre Forschung und eine anschließende Demonstration, bevor es eingesetzt werden kann.
Welchen Vorteil hat ein Salzspeicher gegenüber konkurrierenden Technologien wie etwa Power-to-Gas?
Wir müssen unterscheiden zwischen der Nachnutzung von Kohlekraftwerken und der großskaligen Speicherung von Elektrizität. Wenn man ein Kohlekraftwerk umbauen will, dann ist die Power-to-Gas-Technologie wenig hilfreich, weil sich ein Kohlekraftwerk nach meiner Kenntnis nur sehr schwer auf einen Wasserstoffbetrieb umbauen lässt. Insofern konkurriert die Power-to-Gas-Technologie nicht mit unserem Konzept des Wärmespeicherkraftwerkes. Wenn Sie unabhängig von existierenden Kohlekraftwerken in einem neuen Speicherprojekt auf der grünen Wiese Strom speichern wollen, dann konkurriert die Strom-Wärme-Strom-Technologie mit einer Technologie Power-to-Gas-to-Power. Der Vorteil der Wärmespeichertechnologie besteht hier in der preiswerten Speichermöglichkeit für Wärme. Wir brauchen keine Druckbehälter, wir müssen keinen Wasserstoff speichern und wir haben einen höheren Wirkungsgrad.
Schon in der ersten Generation?
In der ersten Generation ist der Wirkungsgrad vergleichbar, in der zweiten Generation ist er höher.
Erklären Sie doch bitte den Begriff Carnot-Batterie!
Eine Carnot-Batterie ist ganz allgemein ein schwarzer Kasten, bei dem auf der einen Seite Strom rein geht und auf der anderen Seite Strom raus kommt. Und im Inneren dieses schwarzen Kastens steckt ein Wärmespeicher. Das kann ein Flüssigsalzspeicher sein, ein Eisspeicher oder auch ein Speicher mit flüssigem Stickstoff. Es gibt sehr viele Varianten. Batterie heißen sie alle, weil Strom rein und rausgeht, und benannt ist dieser Batterietyp nach Nicolas Léonard Sadi Carnot, dem Begründer der Thermodynamik als Wissenschaft.
Gibt es bei Ihrem Wärmespeicherkraftwerk die theoretische oder auch praktische Option einer KWK-Nutzung?
Das ist sowohl theoretisch wie praktisch möglich. Sie können mit einer Carnot-Batterie nicht nur Strom im großen Stil speichern. Sie können als Nebenprodukt Wärme und auch Kälte für Klimatisierungszwecke gewinnen. Damit gewinnt diese Energiespeichertechnologie im Rahmen der Sektorkopplung noch eine größere Bedeutung als die reine Stromspeicherung.
Müsste diese Technologie dann nicht eher in der Nähe von großen Wärmeverbrauchern, also Ballungsräumen, angesiedelt werden statt an den heutigen Kraftwerksstandorten in den Braunkohlerevieren.
Die Kohlekraftwerke stehen heute durchaus dort, wo auch Verbraucher sind. Und eine Tendenz zur Dezentralisierung ist dazu kein Widerspruch. Wir müssen allerdings zwei Handlungsstränge unterscheiden, die wir beide im Blick haben. Der erste Handlungsstrang ist die Dekarbonisierung vorhandener Kohlekraftwerke durch den Umbau zu Wärmespeicherkraftwerken. Dieser Handlungsstrang bezieht sich ausschließlich auf existierende Kohlekraftwerksstandorte. Der zweite Handlungsstrang das sind die so genannten Carnot-Batterien, mit denen wir elektrische Energie durch Umwandlung in Wärme und Rückverwandlung in Strom preiswert speichern können. Diese Technologie können Sie im großen Maßstab ebenso wie im kleineren und in ganz kleinen Energiespeicher-Einheiten anwenden. Damit kann man sie für zentrale ebenso wie für dezentrale Konzepte nutzen. Aber wir müssen immer unterscheiden zwischen dem Wärmespeicherkraftwerk, welches eine vorhandene Infrastruktur nutzt und der Carnot-Batterie. Ich vergleiche das mit einer Pferdekutsche, die nachträglich motorisiert wird. Aus einer Kutsche wird kein optimales Automobil, aber es fährt. Das eine ist eine umgenutzte vorhandene Infrastruktur. Das andere ist eine von Grund auf neu konstruierte Technologie – wie der PKW.
Aber für die Konversion der Kohlekraftwerksstandorte denken Sie konkret nur an Flüssigsalz-Speicher?
Das ist richtig. Diese Flüssigsalz-Speicher sind an solarthermischen Kraftwerken bereits bewährt. Die können wir industriell kaufen und sofort für das Wärmespeicherkraftwerk einsetzen.
In welchen Größenordnungen gibt es diese Speicher? Die heutigen Kohlekraftwerksblöcke leisten viele hundert Megawatt; an einem Standort sind teils mehrere Gigawatt installiert.
Solarkraftwerke gibt es heute in zwei- bis dreistelligen Megawattleistungen. Kohlekraftwerke sind zwar noch größer. Mit vorhandener Salzspeichertechnologie lässt sich aber das gesamte Spektrum bis in den Gigawattbereich abdecken.
Es ist also kein Problem eine 600 bis 800 MW große Turbine in einem Kohlekraftwerk damit zu versorgen?
Das ist im Prinzip kein Problem. Wir müssen uns nur über die Kosten im Klaren sein. Strom aus Wärmespeicherkraftwerken wird teurer als Strom aus Kohlekraftwerken. Klimaschutz kostet Geld – den gibt’s nicht zum Nulltarif.
Über welches Kostenniveau reden wir heute und wo könnte die Technologie in 10 oder 20 Jahren stehen?
Wir haben in einem Positionspapier für das Jahr 2030 mal hypothetisch den Preis für die Herstellung einer Kilowattstunde berechnet. Beim Kohlekraftwerk liegen wir bei etwa 5 Cent, beim Wärmespeicherkraftwerk beim dreifachen Betrag. Das klingt hoch; wenn wir allerdings die Zusatzkosten in Relation setzen zum eingesparten CO2 , dann liegen wir mit den so genannten CO2 -Vermeidungskosten unterhalb von 90 Euro pro Tonne. Das ist preiswerter als viele andere CO2-Vermeidungsstrategien.
Die Leistung ist die eine Seite jeder Batterie, die andere ist ihre Kapazität. Für welche Einsatzzeiten sind Ihre Wärmespeicherkraftwerke geeignet?
Wir reden typischerweise über die Überbrückung einer Nacht, also über eine Speicherdauer von 8 bis 12 Stunden. Der Nutzen dieses Speicherkraftwerks besteht darin, dass es den fluktuierenden Strom aus Wind und Sonne ausgleicht und daraus regelbaren Strom macht.
Wir reden also über einen Tagesspeicher. Wäre auch Saisonalspeicherung als Anwendungsgebiet denkbar?
Die nächstliegende Anwendung ist in der Tat der Tagesspeicher. Denn über den täglichen Speicherzyklus amortisiert sich der Speicher recht schnell. Aber sie können diesen Speichertyp auch für kürzere oder längere Zeiträume einsetzen. Für sehr lange Speicherzeiten lohnt sich dieser Typ jedoch weniger, weil die Zahl der Zyklen, über die sich der Speicher amortisiert, sonst sehr klein wird. Wie lange halten solche Salzspeicher? Altern die oder funktionieren die ewig? Die Alterung von Salzspeichern und speziell die Wechselwirkung des flüssigen Salzes mit dem Wandmaterial des Stahlspeichers ist ein aktuelles Forschungsgebiet. Sie können aber davon ausgehen, dass heutige Flüssigsalzspeicher in Solarkraftwerken für Standzeiten von über 30 Jahren konzipiert werden und diese Zeiten mit hoher Wahrscheinlichkeit auch erreichen werden.
Sind die flüssigen Salze für die Umwelt unbedenklich?
Die Salze ähneln Düngemitteln, die heute in Millionen von Tonnen gehandelt und gelagert werden. Die Materialien sind umweltverträglich und in großen Mengen preiswert verfügbar. Auch dieser Umstand macht diese Speichertechnologie sehr attraktiv.
Wie weit sind die Pläne für ein konkretes Wärmespeicherkraftwerk gediehen?
Das DLR führt gemeinsam mit RWE 2019 eine Machbarkeitsstudie durch. Das Ergebnis wird ein konkretes Konzept für den Umbau eines RWE-Kraftwerks zu einem Wärmespeicherkraftwerk sein. Parallel bewerben wir uns mit RWE für ein so genanntes Reallabor – ein Experiment, bei dem wir diese Technologie ab 2020 an einem noch auszuwählenden Kraftwerksstandort demonstrieren wollen.
Interview: Guido Bröer