Nina Scheer im Interview: Politik nicht in Konstellationen denken!

SPD-Abgeordnete Nina ScheerFoto: Benno Kraehahn / SPD-Bundestagsfraktion
Solarthemen 518. Nina Scheer bewirbt sich zusammen mit dem Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach für den Parteivorsitz der SPD. Die Bundestagsabgeordnete ist Umweltpolitikerin und Expertin für erneuerbare Energien. In das Thema und die Partei wurde sie als Tochter des Pioniers Hermann Scheer gewissermaßen „hineingeboren“. Im Interview sagt die Kandidatin, wie sie sich eine sozial-ökologische SPD-Energiepolitik vorstellt.

Solarthemen: In dem Positionspapier, mit dem Sie sich zusammen mit Karl Lauterbach als Doppelspitze für das Amt der SPD-Parteivorsitzenden bewerben, schreiben Sie: „Dieses Amt ist es wert wie kaum ein anderes, sich darum zu bewerben“. Warum?

Nina Scheer: Wir leben in einer Parteiendemokratie. Wenn von großen Parteien nicht die Antworten auf die entscheidenden Fragen unserer Zeit gegeben werden, von wem dann? Die SPD muss von ihrem Selbstverständnis her die Ressourcenfragen unbedingt beantworten, weil es zugleich die zentralen Gerechtigkeitsfragen sind. Für mich ist die Motivation für diese Bewerbung, die SPD noch stärker in die Richtung zu bringen, dass Gerechtigkeitsfragen und die Themen Freiheit und Solidarität auf den Erhalt von Lebensgrundlagen fokussiert werden. Die Nachhaltigkeitsfragen müssen ins Zentrum der Gerechtigkeitsdebatte gerückt werden.

Die SPD ist nicht gerade für ihren pfleglichen Umgang mit ihren Vorsitzenden bekannt. Warum wollen Sie sich das antun?

Diese Frage stellt sich durchaus, wenn man sieht, wie mit Menschen in der öffentlichen Diskussion umgegangen wird. Aber es ist nicht so, dass dies nur Menschen erfahren, die Parteiämter ausüben. An ganz vielen Stellen, auch etwa in Betrieben, wird nicht korrekt mit Menschen umgegangen. Allerdings fällt es in Spitzenpositionen der Politik mehr auf und es macht auch mehr Spaß, darüber öffentlich zu reden. Es ist aber nicht parteispezifisch für die SPD. Dies sollte einen nicht abhalten, einen Weg zu gehen, den man von der Sache her für richtig hält.

Die SPD tut sich mit ökologischer Energiepolitik oft schwer. Gerade mit dem Argument der sozialen Ausgewogenheit von Energiepreisen sind Umweltpolitiker in der SPD immer wieder ausgebremst worden.

Zu fragen, ob etwas sozialdemokratisch und an der Gerechtigkeit orientiert ist, ist etwas anderes als nur um einen Ausgleich von Interessen bemüht zu sein. Es ist von Grund auf eine Gerechtigkeitsfrage, die Ressourcen zu erhalten. Da geht es nicht um Interessenausgleich, sondern um das Grundverständnis davon, welchen Umgang mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen wir pflegen. Bei der Ausgestaltung dessen muss man sich dann natürlich um Ausgleich bemühen. Aber Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität sind nicht denkbar, wenn wir weiterhin unseren Verbrauch endlicher Ressourcen so gestalten, wie wir das bisher tun. Und wenn immer pauschal gesagt wird „die“ SPD, dann ist das nicht meine Wahrnehmung. Ich nehme die SPD immer schon sehr stark von der Basis her wahr. Und da höre ich von SPD-Wählern und in den Ortsvereinen landauf landab, dass man bei der SPD ein stärkeres Engagement für den Erhalt von Lebensgrundlagen erwartet. Das bezieht sich auf die Energiewende, aber auch auf gesunde Lebensmittel, den Einsatz von Pestiziden und vieles mehr. Da wird von der SPD Haltung erwartet. Aber in der Tat ist es in Koalitionen immer schwerer geworden, eine solche SPD-Haltung zu identifizieren, weil gerade in der großen Koalition Pragmatismus Einzug gehalten hat: Man orientiert sich daran, was beim Koalitionspartner bestenfalls erreichbar ist. Das färbt ab und hat eine reflexartige Wirkung auf die Haltung der Parteiführung. Dies erschwert die Profilierung, und dann ist die Identifikation dessen, was noch sozialdemokratisch ist, in der Öffentlichkeit verändert. Es hat eine Entwicklung gegeben, die nicht zu dem passt, was die Basis möchte.

Nun bewegt sich die Politik aber selten auf dieser programmatischen Ebene, sondern streitet sich um praktische Fragen. Und dann steht die SPD mit ihrem Gerechtigkeitsanspruch sofort blöd da, wenn sie erklären soll, warum sie den kleinen Leuten in Form der CO2-Steuer den Mallorcaurlaub wegnehmen will.

Ich bin dafür, dass man solche Vorschläge nicht verhetzbar darstellt. Ich setze mich dafür ein, dass Flugbenzin verteuert wird, so dass sich die ökologischen Kosten im Preis des Flugtickets spiegeln. Zugleich trete ich aber dafür ein, dass Mobilität auch für Menschen, die nicht viel Geld haben, bezahlbar bleibt. Wenn eine Alternative gegeben ist, dann ist es auch verkraftbar. Die Verhetzbarkeit von teureren Flugtickets ergibt sich ja daraus, dass alle wissen, dass die Bahn auch schon sehr teuer sei und dass man deshalb dann gar nicht mehr weg kann. Dadurch wird die CO2-Steuer plötzlich zur Frage verweigerter Teilhabe an Mobilität. Das darf nicht sein. Wenn Lenkungswirkungen erzeugt werden, muss man immer Alternativen schaffen. Es ist ein Problem der öffentlichen Debatte, dass sehr schnell immer in Verhetzungsbildern debattiert wird.

Wie wollen Sie das vermeiden? Dass Svenja Schulze bei der Präsentation ihrer Vorstellungen von einer CO2-Steuer gleich die Idee eines sozialen Ausgleichs mitpräsentiert hat, hat ja Populisten nicht davon abgehalten, den Vorschlag zu „verhetzen“, wie Sie es nennen.

Ich finde es schade, wenn jeder einfach nur Geld ausgezahlt bekäme. Es muss ein anreizorientierter Ausgleich geschaffen werden. Ich würde versuchen, eine positive Lenkungswirkung damit zu verknüpfen. Wenn man Flugbenzin, Kraftstoffe und Heizöl teurer macht, könnte man zum Beispiel im Stromsektor staatlich verursachte Belastungen senken. Das würde ganz konkret die Sektorenkopplung fördern. Aber da gibt es noch Barrikaden, weil ein Anreiz zur Verwendung von Strom und Wärme unter dem Effizienzgesichtspunkt nicht gewünscht ist. Wir müssen genau das Gegenteil tun, weil es für das Gesamtsystem wichtig ist, das Strom auch in Verkehr und Wärme hineinkommt.

Dazu müsste der zusätzliche Strom dann aber auch regenerativ erzeugt werden – nicht ganz trivial.

Die Behauptung ist sehr verbreitet, dass wir begrenzte Vorkommen erneuerbarer Energien hätten. Ich weiß nicht, woher die Daten kommen, heute von einer begrenzten Verfügbarkeit der Erneuerbaren zu sprechen. Das ist eine Annahme, die falsch ist. Manchmal muss man einen Schritt zurückgehen und fragen: „Stimmt hier überhaupt die Annahme?“

Das Thema sind heute weniger begrenzte technische Potenziale als eine möglicherweise begrenzte Akzeptanz.

Das wird miteinander vermischt. Die Akzeptanzfrage stellt sich nur dadurch, dass die Menschen nicht mehr wissen, was es ihnen bringt. In Schleswig-Holstein haben wir ein Akzeptanzproblem, wenn die Leute sehen, dass die Windkraftanlagen still stehen und dass – wer auch immer – dafür bezahlen muss. Diese Tatsache ist auch leicht verhetzbar. Deshalb muss man dafür sorgen, dass die Anlagen nicht still stehen, sondern dass der Strom genutzt wird. Es muss möglich sein, dass man auch für die anderen Sektoren erneuerbare Energien gewinnt. Ich bin überzeugt, dass sich die Wogen dann glätten werden. Das Akzeptanzproblem ist ein Produkt aus verfehlten Anreizen, einer Fokussierung auf Effizienz und auch ein Ergebniss von geschickter Lobbyarbeit, die versucht, die Geschäftsfelder der fossil-atomaren Energiewirtschaft so lange wie möglich am Laufen zu halten.

Wir haben inzwischen 40 Prozent Regenerativstrom im Netz. Was muss aus dem EEG werden? Es ist immerhin ein Erbe Ihres Vaters, Hermann Scheer.

Bedauerlich ist, dass die zentralen Fehlstellungen der Energiepolitik der letzten Jahren als Elemente des EEG ausgestaltet wurden. Die Mengenbegrenzungen sind Elemente des EEG, ebenso die Verkomplizierung des Einspeisesystems. Und auch die durch die besondere Ausgleichsregelung aufgeblähten Umlagesätze sind Teil des EEG. Genau das ist ­– ich muss das Wort nochmal verwenden – ein Verhetzungspotenzial. Das ist gerade jetzt gefährlich, während in der Energiepolitik über neue Elemente diskutiert wird. Viele, die heute darüber sprechen, man müsse was an der EEG-Umlage ändern, wollen im Grunde das EEG abschaffen. Das wäre fatal, weil damit das nach wie vor notwendige System des Einspeisevorrangs und des Vergütungssystems vermengt wird mit den Fehlstellungen, die ich gerade benannt habe. Man muss diese Fehlstellungen angehen, nicht hingegen das EEG als Ganzes kritisieren.

Ist denn überhaupt denkbar, dass dieses EEG, das immer aufgeblähter und komplizierter geworden ist, wieder schlank wird. Oder hilft da nur ein radikaler Übergang zu etwas Neuem?

Das ist alles eine Frage des politischen Willens und der Gemeinsamkeiten der mehrheitsbildenden Fraktionen. Und es ist Tenor in unserem Bewerbungs-Team um den Parteivorsitz, dass die große Koalition diese Fragen nicht beantworten kann. CDU/CSU und SPD gehen an die Energiewende einfach zu verschieden heran. Alle auf den Ausbau erneuerbarer Energien hin orientierten Elemente des Koalitionsvertrags sind ausschließlich auf die SPD zurückzuführen. Die CDU bremst, wo es geht. Selbst so kleine Zugeständnisse wie die Sonderausschreibungen werden noch auf Teufel komm raus blockiert. Ich nehme wahr, dass die Weichen bei CDU/CSU ganz klar auf Abschaffung des EEG gestellt sind. Sie wittern jetzt die Chance, im Zuge von CO2-Bepreisung und anderen Fragen das EEG abzuschaffen. Wenn man sich einig wäre darüber, dass die wesentlichen Veränderungen des EEG in den letzten Jahren Fehlstellungen waren, dann wäre es überhaupt kein Problem, das EEG zu entschlacken und auf die Elemente zurückzuführen, die nach wie vor erfolgsbewährt sind.

Mit welchen Parteien wäre eine SPD unter Karl Lauterbach und Nina Scheer koalitionsfähig?

Fragt sich, ob man das zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt diskutieren sollte, denn damit verschiebt man den Fokus weg von den prioritären Fragen. Aber es ist natürlich kein Geheimnis, dass wir das EEG damals unter Rot-Grün hinbekommen haben. Und es ist auch kein Geheimnis, dass in den Fragen einer sozial-ökologischen Wende auch mit den Linken große Schnittmengen bestehen.

Schlecht gefragt. Ich wollte eigentlich nicht Ihre Wunsch­koalition hören, sondern wer überhaupt als Partner für Sie denkbar ist.

Mit der CDU/CSU haben wir ja nun erlebt, dass es in diesen entscheidenden Fragen nicht funktioniert. Das gilt auch im Gesundheitsbereich, wo wir die Bürgerversicherung dringend bräuchten. Das will aber die CDU/CSU nicht. In der Rentenpolitik ist es das gleiche – wir kriegen mit denen keine Solidarrente hin, weil sie es nicht wollen. Die FDP nehme ich als sehr opportunistische Partei war. Deshalb kann ich da zum jetzigen Zeitpunkt keine Aussage treffen.

In welcher Richtung sollte man den Wärmesektor eher angehen – mit finanzieller Steuerung über Förderprogramme, steuerlicher Förderung der Gebäudesanierung und CO2-Steuer? Oder ist eher Ordnungspolitik über ein verschärftes Gebäudeenergiegesetz gefragt?

Da muss ich etwas ausholen. Man muss die Prämissen hinterfragen, also was überhaupt von welchem Sektor erwartet werden kann. Man müsste erkennen, dass im Stromsektor viel mehr mit viel produktiveren Maßnahmen erreicht werden kann als noch die letzte Einsparung im 60er-Jahre Bau rauszuholen. Wenn wir den Klimaschutzplan 2050 als Grundlage für unsere Sektorziele nehmen, dann werden wir immer das Problem haben, dass wir im Gebäudesektor mehr erreichen wollen, als möglich ist, und in anderen Sektoren weniger erreichen werden, als möglich wäre. Wir müssen eigentlich mit dem Klimaschutzplan 2050 nochmal auf Null gehen. Ich würde viel stärker den Stromsektor in die Pflicht nehmen. Wir sollten Abstand nehmen von der Vorstellung, jeden Altbau sanieren zu können, wenn wir in den beiden anderen Sektoren mehr CO2-Einsparung rausholen – und auch unter dem Aspekt Arbeitsplätzesicherung und Technologiestandort Europa mehr gewinnen können. Zum Instrumentenmix ist zu sagen, dass die steuerliche Absetzbarkeit von Sanierungsinvestitionen wahrscheinlich schon Wirkung entfalten würde. Aber wenn man das nicht ganz schnell schafft, dann nimmt man das Wort am besten gar nicht mehr in den Mund, weil jede Erwähnung sonst nur Attentismus hervorruft.

Kann die SPD mit ökologischer Energie- und Umweltpolitik überhaupt punkten? In der großen Koalition scheitert sie damit, wird zum Loser gestempelt, und zusammen mit den Grünen werden die als das Original wahrgenommen und die SPD kommt schlimmstenfalls als Bremser rüber.

Das ist mir zu sehr in Konstellationen gedacht. Eine Regierungskonstellation ist überhaupt nur erreichbar, wenn eine Partei klar erklärt, wofür sie steht. Diese Grundausrichtung darf auch nicht verhandelbar sein über die Aussicht auf mögliche Regierungskonstellationen. Sonst wäre man käuflich. Ich halte auch nichts davon, bei bestimmten Themen zurückzustecken, um Koalitionspartnern Raum zur Profilierung zu lassen. Das geht immer auf Kosten des eigenen Profils und damit der Glaubwürdigkeit. Eine Programmatik mit Blick auf Konstellationen zu denken, ist für mich der grundfalsche Ansatz. Bei der Hessenwahl 2008 ist die SPD mit Andrea Ypsilanti und Hermann Scheer nach einem ganz klaren sozial-ökologischen Wahlkampf durch die Decke gegangen, während CDU und Grüne massiv verloren haben. Das zeigt: Die SPD darf sich nicht programmatisch über die Ko-Existenz der Grünen definieren, weil diese sozial-ökologischen Themen zu ihrem sozialdemokratischen Grundverständnis gehören.

Interview: Guido Bröer

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