Windbranche sucht Wege aus der Krise

Foto: Olha Rohulya / stock.adobe.com
Solarthemen 518. Die Krise in der deutschen Windbranche wird auch in Berlin inzwischen so deutlich, dass Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier wohl bald wird darauf reagieren müssen. Da­her hat er für den 5. September zu einem Windkraftgipfel eingela­den.

Die Einladung zu diesem Windkraftgipfel überraschte sogar die Fachabteilungen in seinem eigenen Haus, so ist zu hören. Bislang gibt es aber offenbar auch noch keine Tagesordnung und unklar ist, wer zum Gipfel eingeladen werden soll.

Schon Anfang Juli hatten nicht nur mehrere SPD-Bundestagsabgeordnete ein solches Krisen-Treffen gefordert, sondern wenig später auch der Bundesverband Windenergie BWE). „Altmaier hat einiges gut zu machen“, umreißt Matthias Miersch, als Fraktionsvize in der SPD-Bundestagsfraktion auch zuständig für Klima und Energie, seine Erwartungen an den bevorstehenden Windkraftgipfel.

Probleme sind kumuliert

Die Windbranche ist sich einig, dass nicht nur die schlecht gemachte Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im  Jahr 2017 – Stichwort: gefakte Bürgerenergiegesellschaften – für die Baisse beim Wind­kraftausbau verantwortlich ist. Mehrere seit geraumer Zeit von der Politik nicht angepackte Probleme haben sich kumuliert. Die wohl beste Analyse dazu hat jüngst die Fachagentur für Windenergie an Land (FA Wind) vorgelegt: Danach werden derzeit durch Klagen gegen bereits genehmigte Windparks und Konflikte um Drehfunkfeuer für die Luftverkehrssicherheit mehr als 9 000 Megawatt Windkraftleistung blockiert.

Rechtliche Risiken

So stehen nach der FA-Wind-Analyse derzeit allein bereits mehr als 300 genehmigte Windturbinen mit mehr als 1000 MW Leistung auf dem juristischen Prüfstand, Tendenz steigend. „Nicht nur die Zahl allein ist besorgniserregend“, sagt FA-Wind-Experte Jürgen Quentin: „Diese Klagen, die sich teilweise über viele Jahre hinziehen, haben abschreckende Wirkung auf neue Projekte.“ Denn laut dem seit Anfang 2017 gültigen Ausschreibungsregime müssen genehmigte und bei Auktionen erfolgreiche Windprojekte innerhalb von zweieinhalb Jahren in Betrieb sein, sonst droht den potenziellen Betreibern und Investoren der Verlust des Zuschlags und eine Strafzahlung von 100.000 Euro und mehr pro Windrad. „Dass sich Projektierer mit Neubauprojekten in dieser unsicheren Situation zurückhalten, ist nachvollziehbar“, so Quentin.

Bei den Klagen gegen neue Windenergieanlagen steht der Artenschutz ganz oben an. Die Hälfte aller Klagen wird laut der Branchenbefragung mit Verstößen gegen den Schutz von Vogel- und Fledermausarten begründet. Deshalb verwundert es auch nicht, dass Umwelt- und Naturschutzverbände gegen 60 Prozent der erfassten Windturbinen prozessieren. Diese auffällig hohe Zahl der Klagen von Umwelt- und Naturschutzverbänden ist für BWE-Präsident Albers nicht hinnehmbar: „Hier müssen sowohl das Umweltbundesamt als auch die Anerkennungsbehörden der Länder noch einmal die Kriterien für die Anerkennung als Umweltvereinigung überprüfen.“

Flugsicherheit blockiert

Neben dem Artenschutz hat die Windbranche zunehmend auch mit Blockaden der Flugsicherung zu kämpfen. Mehr als 1 000 Anlagen mit zusammen 4800 MW Leistung können derzeit nicht gebaut werden, da die Deutsche Flugsicherung negative Einflüsse auf ihre Flugnavigationsanlagen (sogenannte Drehfunkfeuer) befürchtet. Das Problem spitzt sich zu. Im Vergleich zur letzten Umfrage zu diesem Thema von 2015 hat sich der Umfang der betroffenen Vorhaben etwa verdoppelt. Außerdem ergaben Rückmeldungen im Bereich der militärischen Luftraumüberwachung, dass 900 Windturbinen mit rund 3600 MW Leistung nicht genehmigt werden. Hemmnisse sind vor allem Tiefflugkorridore für Hubschrauber sowie die Radarüberwachung zur Flugsicherung und zur Luftraumverteidigung.

Bei den Drehfunkfeuer-Blockaden entfällt nach der jüngsten Umfrage die Hälfte aller betroffen Anlagen auf Standorte in NRW und Niedersachsen. Fünf der bundesweit fast 60 aktiven Drehfunkfeuer-Anlagen sind ausschlagend für die Hälfte aller gemeldeten Blockaden. Verantwortlich ist dafür ein deutscher Sonderweg, den Niedersachsens Umwelt- und Energieminister Olaf Lies (SPD) Anfang Mai gegenüber der Deutschen Flugsicherung kritisiert hatte: „Nur in Deutsch­land gilt ein Abstandsradius von 15 Kilometern zu den Drehfunkfeuern, in anderen EU-Staaten ist es deutlich weniger“, sagte Lies. Die bislang nicht gebauten Windenergieanlagen seien „ein erhebliches Potenzial, das uns für die Energiewende fehlt“.

Mehr Flächen erforderlich

Was derzeit auch fehlt, sind weitere Flächen für den Bau neuer Windturbinen. Dass in allen Bundesländern der Windkraftnutzung zwei Prozent der Landesfläche eingeräumt wird, ist bislang ein frommer Wunsch der Windbranche – aber angesichts der nationalen Klimaziele unverzichtbar.

Bei der Vielzahl der Probleme rät Thorsten Müller, bei den Erwartungen für den bevorstehenden Windkraftgipfel den Ball eher flach zu halten. Für den langjährigen Windkraftexperten von der Stiftung Umweltenergierecht ist es ein strategischer Fehler, dass Altmaier als einziges Mitglied des Bundeskabinetts zu dieser Zusammenkunft einlädt: „Auch das Umwelt- und das Verkehrsministerium müssten Minister Altmaier zur Seite stehen, um so den Anspruch einer konzertierten Aktion der Bundesregierung für mehr Windkraft zu unterstreichen.“ Aus Sicht der Windbranche wären Initiativen von Svenja Schulze beim Naturschutz und von Andreas Scheuer bei der Luftverkehrssicherung dringend notwendig: „Minister Altmaier allein wird wenig ausrichten können, denn die aktuellen Probleme liegen in erster Linie nicht in seiner Zuständigkeit“, resümiert Müller.
Und selbst wenn sich die Bundesregierung einig wäre, mit welchem Mengengerüst und mit welchen gesetzgeberischen Maßnahmen der Windkraftausbau wieder forciert werden sollte, müssten unbedingt die Bundesländer eingebunden werden. „Der Verwaltungsvollzug ist Ländersache“, verweist Müller auf das föderale Zusammenspiel.

Klarer Wille würde helfen

Nach seiner Einschätzung wäre bereits ein klares Bekenntnis aus Berlin für einen dynamischen Windkraftausbau in den kommenden Jahren ein Fortschritt: „Seit Monaten wird die Windenergie nur als Problem diskutiert. Dass so entstandene negative Image führt bei den Genehmigungsbehörden sicherlich dazu, dass mehr Zurückhaltung an den Tag gelegt wird und im Zweifel die Entscheidung gegen die Windenergie getroffen wird. Warum soll sich der einzelne Behördenmitarbeiter für etwas einsetzen, dass offensichtlich in Berlin und den Landeshauptstädten unerwünscht ist? Das ist sicherlich ein Grund für die sinkende Zahl der Genehmigungen.“ In Berlin müsse es endlich wieder einen Pro-Windkraft-Modus geben.

Denn die Lage für die Unternehmen spitzt sich zu, wie Einzelbeispiele deutlich illustrieren. So musste in der zweiten Julihälfte die Spedition W&F Franke mit Hauptsitz in Bremen Insolvenz angemelden. Das Schwerlast-Logistikunternehmen hatte sich in den vergangenen Jahren darauf spezialisiert, Windkraftanlagen zu transportieren. Bei einem der Hauptkunden sei „in einem sehr kurzen Zeitraum das Geschäft eingebrochen“, begründete W&F-Franke-GeschäftsführerJörg Fleischer den Gang zum Insolvenzgericht. „Dies hatte für unser Unternehmen negative Auswirkungen, die wir nicht kompensieren konnten, da eine Umstellung auf andere Geschäftsbereiche kurzfristig nicht zu leisten war.“

In der Windbranche ist es ein offenes Geheimnis, dass der Auricher Windturbinenhersteller Enercon zuletzt der Hauptkunde von W&F Franke gewesen ist. Bei W&F Franke läuft derzeit die „Umstruktrurierung“, um so die 119 Arbeitsplätze zu erhalten.

Das Bremer Speditionsunternehmen ist kein Einzelfall in der heimischen Windbranche. Allein im Jahr 2017 gingen bei Herstellern, Zulieferern und Dienstleistern rund 26.000 Arbeitsplätze verloren, wie die Bundesregierung Anfang August auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion einräumte. „Dabei war 2017 noch ein gutes Jahr für unsere Branche, seitdem hat die Negativentwicklung deutlich an Fahrt zugelegt“, sagt Hermann Albers, Präsident des Bundesverbandes Windenergie (BWE).

So zynisch der Vergleich anmuten mag, er ändert nichts an der Tatsache: 26.000 Arbeitsplätze sind weitaus mehr Jobs als demnächst nach dem Aus der Braunkohleförderung in der Lausitz und im Rheinischen Revier zusammen verloren gehen. Was im Berliner Regierungsviertel anscheinend niemanden beeindruckt.

Sturzflug für die Branche

Beeindruckt hat in den letzten Monaten auch kaum jemanden am Spree­bogen der rasante Sturzflug im Windsektor, der bereits im vergangenen Jahr beim Bau neuer Windturbinen an Land eingesetzt hat. Konnte sich die Branche im Jahr 2017 bei einer neu installierten Leistung von 5333 MW brutto noch über ein sehr gutes Rekordergebnis freuen, so sieht die Wind-Welt knapp achtzehn Monate danach ganz anders aus: Im ersten Halbjahr dieses Jahres umfasste der Zubau nur noch eine Leistung von 287 MW brutto – der niedrigste Wert seit mehr als 20 Jahren bei einer Halbjahresbilanz. Deshalb sind auch Aussichten für das Gesamtjahr trübe: Die Windenergieverbände rechnen mit einer neu installierten Leistung von rund 1500 MW, allerdings macht die Zahl von 1000 MW längst die Runde in Branchenkreisen.

Text: Ralf Köpke

Schließen