Kämpferische Töne beim Windbranchen-Treff

Foto: Guido Bröer
     Solarthemen+plus. Zum Auftakt der seit gestern laufenden Husum-Wind pochten Vertreter der Windbranche und der norddeutschen Politik auf schnelle Maßnahmen der Bundesregierung zur Stabilisierung der Arbeitsplätze in der hiesigen Windenergie.  

Selbst eilige Kursänderungen der Berliner Politik, wie sie beim von Wirtschaftsminister Peter Altmaier in der vergangenen Woche veranstalte­ten Windgipfel (vgl. Solarthemen+plus vom 6.9.2019) diskutiert wurden, würden allerdings Jahre benötigen, um zu wirken. Angesichts der dramatischen Arbeitsplatzverluste von rund 40.000 Jobs, ein Viertel ihres einstigen Bestandes, die die deutsche Windbranche laut BWE-Präsident Hermann Albers zu verzeichnen hat, blickt die in Husum versammelte Branche voller Erwartung, aber skeptisch auf die Dinge, die da kommen sollen.

Ernüchternd wirkt auch, dass kein einziger Vertreter der Berliner Politik den Weg zum wichtigsten Branchentreff dieses Jahres in den Norden gefunden hat – und dies obwohl Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier die Schirmherrschaft übernommen hatte. „Es wäre gut gewesen, wenn mal jemand aus Berlin gekommen wäre, um sich das hier anzuschauen“, sagte Hans-Dieter Kettwig, Chef des Windkraftanlagen-Herstellers Enercon enttäuscht.

Leistungsschau in Husum

Denn die Branche zeigt sich in Husum von ihrer besten Seite: Mit rund 600 Ausstellern und einer Auslastung von 98 Prozent präsentiert sich die Windmesse auf dem Niveau der vorherigen Veranstaltung im Jahr 2017. Und so nutzte zumindest die schleswig-holsteinische Landesregierung die Gelegenheit, um hier Flagge zu zeigen: Nach der Eröffnung durch Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU) und seinen grünen Energieminister Jan-Philipp Albrecht reisten auch die anderen Regierungsmitglieder nach Husum, um dort, statt in Kiel, ihre Kabinettssitzung abzuhalten.

Günther nutzte in Husum einmal mehr die Gelegenheit, um auf eine Einhaltung des Berliner Koalitionsvertrages zu pochen, in dem ein Zuwachs erneuerbaren Stroms auf 65 Prozent des deutschen Stromverbrauchs angekündigt wird: „Wir können nicht länger warten – wir warten schon viel zu lange -, dass die Bremsklötze auf Bundesebene beiseite geräumt werden.“ An seinen Parteikollegen im Bundeswirtschaftsministerium gewendet, sagte Günther: „Wir haben von Peter Altmaier und anderen in der Bundesregierung schon öfter Signale gehört. Jetzt wollen wir Taten sehen!“

Doch der Geschäftsführer des Bereichs Power Systems im Verband Deutscher Maschinenbau (VDMA) Matthias Zehlinger macht sich keine Illusionen: Selbst wenn die Sitzungen des Windgipfels in der vergangenen Woche und des sogenannten Klimakabinetts in der kommenden Woche schnelle Änderungen auf regulatorischer Ebene zur Folge haben sollten, dürfte es nach seiner Einschätzung zwei Jahre dauern, bis die gebeutelte Windbranche davon in den Auftragsbüchern etwas spüren könne.

Klare Signale sind gefordert

Um so wichtiger sind für Hermann Albers, den Präsidenten des Bundesverbandes Windenergie (BWE), jetzt klare politische Aussagen aus Berlin – und zwar auch auf der symbolischen Ebene. Denn die Unternehmen würden ihre anstehenden Investitionsentscheidungen an langjährigen Perspektiven wie den Ausbauzielen bis 2030 ausrichten. Aber, so Alber: „Wir brauchen jetzt ein klares politisches Signal.“

Aus Sicht der Industrie spielt dies auf dem aktuellen Arbeitsmarkt auch im Kampf um die Köpfe eine große Rolle, wie Enercon-Chef Kettwig deutlich machte: „Wir haben hochintelligente Mitarbeiter; die schauen aber auch links und rechts.“ Kettwig will damit sagen: Wenn die Situation so unsicher sei wie zurzeit und wenn zugleich klare politische Signale ausblieben, dann sei es im Wettbewerb mit anderen Branchen sehr schwer, hochqualifizierte Mitarbeiter zu halten und neue zu werben.

Was die politischen Ziele angeht, so konzentriert sich die Windbranche derzeit weniger auf das grundsätzliche Problem der EEG-Ausschreibungen, die zwar in der Analyse von Hermann Albers keines der mit ihrer Einführungen verbundenen vier Ziele erreicht hätten: planbare Zubaumengen, Kostensenkung, Akzeptanz/Bürgerbeteiligung und Versorgungssicherheit. Darauf von einer Journalistin angesprochen, sagte Albers aber: „Ich glaube, dass wir diese Fragestellungen im System der Ausschreibungen lösen können, aber wir müssen sie jetzt ansprechen.“ Damit ließ Albers indirekt die frühere Top-Forderung der im Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) zusammengeschlossenen Verbände fallen, den in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU verbrieften Freiraum bis zu einer Windparkgröße von 36 MW zu nutzen, um kleinere Windparks von der Ausschreibungspflicht auszunehmen.

Konzentration auf drängende Fragen

Stattdessen konzentriere sich der BEE, so machten dessen Präsidentin Simone Peter und der Geschäftsführer Wolfram Axthelm im Hintergrundgespräch mit den Solarthemen deutlich, „auf die derzeit drängendsten Fragen“. Dies seien Ausbaukorridore, Flächenkulisse und Genehmigungsverfahren. Gute Realisierungschancen für einige der in einem 10-Punkte-Papier vor dem Windgipfel zusammengefassten Forderungen sehen sie beispielsweise im Bereich der Flugsicherung, wo die Deutsche Flugsicherung GmbH (DFS) und die Bundeswehr viele Windprojekte per Veto blockieren. Viel wäre hier schon erreicht, wenn der Bund den Prüf­radius, in dem die DFS zuständig ist, von derzeit 15 Kilometern auf den europaweiten 10-Kilometer-Standard verringern würde.

Im Bereich des Artenschutzes, wegen dem offenbar 50 Prozent aller Klageverfahren anhängig sind, hoffen Peter und Axthelm auf einen vom Bund moderierten konzertierten Leitfaden, in dem die Bundesländer einheitliche Regelungen finden sollten. Der Leitfaden solle den Gedanken der Arterhaltung vor den des Individuenschutzes stellen. Diese Linie wird nach Peters Eindruck auch in den Umwelt- und Naturschutzverbänden zunehmend konsensfähig.

Kommt die Länderöffnungsklausel?

Das heikelste Thema bleibt weiterhin die Flächenkulisse. Peter und Axthelm favorisieren hier die Möglichkeit, dass der Bundesgesetzgeber im Raumordnungsgesetz (ROG) einen Passus einfügt, nach dem der Nutzung erneuerbarer Energien, insbesondere auch der Windenergie „signifikant Raum gegeben werden“ müsse. Eine solche Formulierung hat bislang lediglich durch ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshof in die Rechtssprechung zum Baurecht Eingang gefunden. Eine gesetzliche Regelung gibt es dazu aber nicht. Der BEE schlägt vor, einen Maßstab von 2 Prozent der Landesfläche für Windvorranggebiete vorzugeben. Selbst wenn aus diesem Anliegen ein Bundesgesetz werden sollte, unterläge freilich das ROG der konkurrierenden Gesetzgebung von Bund und Ländern. Die Bundesländer sind also nicht formal daran gebunden, sondern können abweichende Gesetze verabschieden.

Somit widerspräche eine solche Festlegung zwar sehrwohl in der Sache, nicht aber formal den von starken Teilen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion weiterhin verfolgten Mindestabständen von Windkraftwerken von der Wohnbebauung. Das Thema Mindestabstände, das seit fast einem Jahr die weiteren Beratungen in der so genannten „Arbeitsgruppe Akzeptanz“ der Koalitionsparteien blockiert, wurde in den jüngsten Beratungen deshalb weitgehend umschifft. Diese Dissonanz war aber in der vergangenen Woche auch in der Pressekonferenz nach dem Windgipfel am Donnerstag vergangener Woche deutlich geworden. Während Baden-Württembergs Energieminister Franz Untersteller einer Länderöffnungsklausel eine energische Absage erteilte, machte sich NRW-Ministerkollege Andreas Pinkwart genau dafür weiterhin stark.

Text und Foto: Guido Bröer

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