Gerhard Stryi-Hipp: PV in Großstädten antreiben

Solarthemen 519. Gerhard Stryi-Hipp leitet am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) die Gruppe Smart Cities. In dieser Funktion koordinierte er auch eine For­scher- ­gruppe des ISE sowie Berliner Experten, die gemeinsam einen Masterplan Solarcity Berling entwickelt haben. Er wurde Anfang September vorgelegt. Die Solarthemen sprachen mit ihm über die wesentlichen Ergebnisse dieses Masterplans.

Solarthemen: Solarstrom ist wirtschaftlich. Braucht man da überhaupt einen Masterplan?

Gerhard Stryi-Hipp: Der unzureichen­de Ausbau der Photovoltaik zeigt, dass mehr getan werden muss, insbesondere in den Städten. Deshalb ja, wir brauchen Masterpläne, die die Markteinführung forcieren. Dass die solaren Stromgestehungskosten günstiger sind als der Strombezugspreis, wie typischerweise die Wirtschaftlichkeit definiert wird, reicht nicht aus. Das entsprechende Geschäftsmodell muss auch nutzbar sein. Gerade in Großstädten ist die PV-Eigenstromnutzung, bei der dieser Kostenvorteil genutzt wird, oft aufgrund der hohen Mieterquote nicht möglich. Und oftmals sind die Kosten für die Installation einer PV-Anlage dort höher als in kleineren Städten. Doch unabhängig von der Wirtschaftlichkeit sind auch viele andere Randbedingungen für die Nutzung von PV-Anlagen in einer Großstadt schwieriger als in Kleinstädten und ländlichen Gebieten.

Was sind mit Blick darauf die wesentlichen Ziele des Masterplans in Berlin?

Die Grundlage für den Masterplan ist das Berliner Klimaschutzgesetz und das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm. Deren Ziel ist das Erreichen der Klimaneutralität bis zum Jahr 2050. Ein wichtiger Baustein ist die Nutzung der Solarenergie – Photovoltaik und Solarthermie – in großem Umfang. Das basiert auf der Erkenntnis, dass die Solarenergie die wesentliche erneuerbare Energiequelle in einer Großstadt ist. Eine Machbarkeitsstudie hatte gezeigt, dass 25 Prozent der Stromerzeugung mit Solarenergie erfolgen kann. Mit dem Masterplan soll dieses Potenzial so schnell wie möglich erschlossen werden.

Was kann sich in Berlin durch den Masterplan ändern?

Es war die zentrale Frage, welche Maßnahmen geeignet sind, das Marktvolumen zu vervielfachen. Wir haben den Masterplan gemeinsam mit 26 Expertinnen und Experten erarbeitet, die viel Praxiserfahrungen eingebracht haben. Viele Maßnahmen gehören dabei zum Standardprogramm der Marktstimulation, wie zum Beispiel Öffentlichkeitsarbeit, Beratung, zusätzliche Förderprogramme und die Vorbildfunktion des Senats. Um zu spezifischeren Maßnahmen zu kommen, haben wir deshalb die Entscheidungsprozesse und Barrieren für die Gruppen von Gebäudeeigentümern und Solaranwendungen differenziert analysiert. Es hat sich gezeigt, dass es in der Großstadt Berlin oft relativ aufwändig ist, eine Solaranlage zu installieren, weil Dächer teilweise schlecht zugänglich und die einzelnen Dachflächen oftmals nicht so groß sind. Das erhöht die Kosten. Zweitens ist Berlin eine Mieterstadt, 85 Prozent der Berlinerinnen und Berliner wohnen zur Miete. Die Eigenstromnutzung als Geschäftsmodell ist somit nicht möglich. Die Bundesregierung hat richtigerweise im EEG die Mieterstromregulierung etabliert, doch leider die Rahmenbedingungen nicht attraktiv genug gestaltet. Somit fehlt bislang der notwendige Anreiz, um im größeren Maßstab PV-Mieterstromanlagen zu realisieren. Und drittens kommen andere ungünstige Rahmenbedingungen von der Bundesebene wie die umfangreichen Nachweispflichten bei der Eigenstromnutzung in Gewerbebetrieben oder der 52-GW-Deckel hinzu. Deshalb macht Berlin mit einigen anderen Bundesländern zurecht Druck beim Bund, dass sich die Bedingungen für die PV verbessern.

Wenn in einer Großstadt wie Berlin die Photovoltaik nicht so richtig vorankommt, sind es denn dann vor allem die regulatorischen Bedingungen, die bremsen, oder liegen die Hürden in der Stadt selbst?

Definitiv ist beides der Fall. Die Rahmenbedingungen des Bundes müssen sich verbessern, damit Berlin sein Solarziel in Gänze erreichen kann. Allerdings braucht die Stadt nicht auf den Bund zu warten, sondern kann schon unter heutigen Rahmenbedingungen einen relevanten Teil des Solarpotenzials erschließen. Auf vielen Berliner Dächern ist die Nutzung der Solarenergie heute schon wettbewerbsfähig, es wird aber keine Solaranlage installiert. Die Stadt sollte deutlich machen, dass die Erschließung dieser Potenziale notwendig ist, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Es geht also vor allem darum, die verschiedenen Eigentümergruppen zu motivieren, einen Beitrag zum städtischen Klimaschutzziel zu leisten. Das ist jedoch nur glaubhaft, wenn die Stadt selbst als Vorbild vorangeht und das Potenzial auf eigenen Gebäuden systematisch und sichtbar erschließt. Dieses beträgt immerhin über 500 MW, ohne die landeseigenen Wohnbaugesellschaften. Bislang fehlt einfach das Bewusstsein, dass es sinnvoll und notwendig ist, Solarenergie in großem Umfang zu nutzen. Deshalb braucht es eine politische Initiative, um dieses Bewusstsein zu ändern.

Welche Impulse versprechen Sie sich von dem Masterplan?

Um 25 Prozent Solarstrom zu erreichen, müssen 4400 Megawatt an PV-Anlagen installiert werden. Das ist gemessen an den bis Ende 2018 installierten 106 MW eine enorme Steigerung. Das Marktvolumen beträgt im Moment etwa 10 MW pro Jahr und müsste auf über 250 MW anwachsen. Jede einzelne Maßnahme für sich ist sinnvoll, wird aber nicht den Durchbruch zu diesen Dimensionen bringen. Allerdings glauben wir, dass die Kombination der Maßnahmen der Schlüssel dazu ist, eine positive Stimmung für die Solarnutzung zu erzeugen. Wichtig ist, dass die potenziellen Investoren ihre Perspektive ändern: Statt eine Solaranlage nur dann zu realisieren, wenn sie in allen Aspekten vorteilhaft gegenüber einer konventionellen Lösung ist, sollte das Ziel sein, klimaneutral Strom zu erzeugen, und geprüft werden, wie dieses am günstigsten erreicht wird. Hierzu ist eine Kombination aus Information und Imagebildung, dem Senat als Vorbild, Beratungsangeboten, städtischen Förderprogrammen, zum Beispiel für Stromspeicher oder zur Deckung von Mehrkosten für schwierige Einbausituationen, sowie eine Stärkung der Branche erforderlich. Die Summe aller Maßnahmen soll zu einem Meinungsumschwung führen und die verschiedenen Berliner Akteure als Partner für den Masterplan gewonnen werden. Das Maßnahmenbündel soll die Umsetzung des Masterplans in den kommenden fünf Jahren anschieben, danach soll evaluiert und dann gegebenenfalls zusätzliche Initiativen ent­- wickelt werden. Allerdings werden sich in der Zwischenzeit sicherlich auch die Rahmenbedingungen verändern und der Druck auf die Politik, auf Energieversorger, Gebäudeeigentümer und Vermieter steigen, mehr für den Klimaschutz zu tun. Der Masterplan bietet hierfür Unterstützung.

Gerade in Berlin ist immer wieder über eine Solarpflicht gesprochen worden. Welche Rolle kann sie spielen?

Der Expertenkreis hat empfohlen, die Implementierung einer Solarpflicht für Neubauten und bei konkreten Sanierungsanlässen für Bestandsgebäude zu prüfen. Es gibt tatsächlich eine Reihe von berechtigten Fragen, die mit der Einführung einer solchen Pflicht verbunden sind, vor allem im Gebäudebestand. Nur wenn die Solarpflicht eine belastbare Rechtsgrundlage hat und die Mieterinnen und Mieter nicht belastet, ist ihre Einführung sinnvoll. Ein solches Gutachten ist sehr hilfreich, da damit eine Anleitung erarbeitet wird, wie eine wirksame und rechtlich abgesicherte Solarpflicht gestaltet werden müsste. Ob sie dann politisch entschieden wird, wird man sehen. Da es aber viele Akteure gibt, die ohne Verpflichtung nicht aktiv werden, ist es notwendig, die Handlungsoptionen abzuwägen und zu klären, wie erreicht werden kann, dass diese auch einen Beitrag zur Erreichung der langfristigen Ziele leisten.

Interview: Andreas Witt Foto: Fraunhofer ISE

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